Die Fußballweltmeisterschaft bringt Südafrika in die Medien der Welt Doch, wer das Event zum Anlass nehmen will, um sich über die sozialen und politischen Verhältnisse des Landes am Kap der Guten Hoffnung zu informieren, der greife statt zu WM-Broschüren besser zu einem kürzlich im Verlag Assoziation A erschienenen Buch. In 17 Aufsätzen geben südafrikanische Wissenschaftler und Aktivisten von sozialen Bewegungen einen kurzen Überblick über ein Land, das bis zum Ende der Apartheid im Focus der internationalen Linken stand.
Die WM wird nur in zwei von Romin Khan geführten Interviews gestreift. Während der Historiker Achille Mbembe moniert, die Regierung habe mit der konkreten Ausgestaltung der WM eine Chance auf eine Gesellschaftsumgestaltung verpasst hat, berichtet der aus Kongo stammende Straßenfriseur und soziale Aktivist Gaby Bikombo, was die WM für die Armen bedeutet. Um die Vorgaben der FIFA zu erfüllen, sollen Bikombo und seine Kollegen während des Fußballevents von den Straßen verschwinden. Solche unterschiedlichen Sichtweisen stehen in dem Buch häufiger nebeneinander. Damit machen die Herausgeber deutlich, dass es im heutigen Südafrika nicht die eine Lesart der Gesellschaft gibt.
Was aber in den unterschiedlichen Beiträgen angesprochen wird, sind die Probleme von sozialen Bewegungen, die in den letzten Jahren des Apartheid-Regimes gewachsen sind und später zum großen Teil vom mächtigen ANC kooptiert oder an den Rand gedrängt worden sind. Dass dafür aber auch interne Probleme verantwortlich sind, zeigt Stephen Greenberg am Scheitern der Landlosenbewegung und Prishani Naidoo an den internen Konflikten des Antiprivatisierungsforums.
Allerdings kommen in dem Buch auch kritische ANC-Mitglieder zu Wort, wie der Anti-Aids-Aktivist Zackie Achmat. Er sieht die Partei noch immer als ein Bollwerk gegen Xenophobie und Rassismus. Achmat und die Aktivistin Manisa Mali zeichnen in ihren Beiträgen ein wesentlich differenziertes Bild von der Aids-Politik der ANC-Regierungen, als ein Großteil der hiesigen Medien. So sehr die Ignoranz vom vorletzten Präsidenten Mkebi und seiner Gesundheitsministerin in der Frage der Aidsentstehung kritisieren, so machen sie doch deutlich, dass es in der Frage der Herstellung von wirksamen, günstigen Medikamenten sogar eine Zusammenarbeit gegen die Verbände der Pharmaindustrie gegeben hat.
Niederlage der Linken
Die letzten beiden Kapitel befassen sich mit dem Rassismus gegenüber MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern. Dabei geht der in der Arbeiterbildungsarbeit tätige Oupa Lehulere scharf mit der Position der größten südafrikanischen Gewerkschaft Cosatu ins Gericht, der er vorwirft, sich hauptsächlich für die südafrikanischen Arbeiter zu engagieren. Für Lehulere ist der wachsende Rassismus in Südafrika nicht in erster Linie eine Folge der Verarmung sondern eine Niederlage linker Kräfte in der Arbeiterbewegung. Erst dadurch sei der Raum für rassistische Deutungsmuster der Armut geöffnet worden.
Das Buch schließt mit einer Erklärung von AktivistInnen aus Armensiedlungen in der Nähe von Durban, die sich wenige Tage nach den rassistischen Pogromen vom Mai 2008 in bewegenden Worten für einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten ausgesprochen haben. Das Buch liefert einen guten Blick hinter die WM-Kulissen, die in den nächsten Monaten die Sicht auf die realen Lebensverhältnisse in Südafrika verstellen.
Südafrika in deutschen Medien
Das Buch kann auch helfen, die vielen teilweise rassistischen Klischees zu abzubauen, die noch über Südafrika im Umlauf sind. Da wurde im April 2010 sogar der Tod des Faschistenführers Eugène Terre' Blanche in deutschen Medien als Scheitern einer Regenbogengesellschaft kommentiert. Dabei wurde der Hitlerverehrer, der schon einen schwarzen Angestellten auf seiner Farm erschlagen war, von zwei Landarbeitern getötet, die sich damit dagegen wehrten, geschlagen und als Sexobjekte missbraucht zu werden. Ein taz-Kommentator schreibt über diesen Fall von antifaschistischer Selbstverteidigung:
"Der Führer der radikalen Burenpartei AWB, Eugene Terre'blanche, ist auf seiner Farm brutal getötet worden. Das Motiv ist kein politisches, doch die Sorge vor Spannungen wächst"
Sehr ausführlich werden die Positionen der südafrikanischen Faschistenbande, der Terre'blanche angehörte, in dem Beitrag der Taz referiert:
"Die radikale Burenpartei Afrikaner Widerstandsbewegung (AWB) erklärte, Terreblanche sei im Schlaf brutal mit Macheten und Schlagstöcken erschlagen worden. Sie führte den Mord auf den Streit über ein Lied aus der Apartheidszeit, "Kill the Boer" (Tötet die Buren), zurück, das der Vorsitzende der ANC-Jugendorganisation (ANCYL), Malema, im vorigen Monat öffentlich gesungen hatte."
Die bedrohten Landarbeiter werden zu Mördern, der Faschist und seine Bande zu Opfern erklärt. Auch in der monatlich der Taz beilegten Zeitschrift Le Monde Diplomatique, die sich in der Regel durch eine gute Berichterstattung über den globalen Süden auszeichnet, fanden sich über Südafrika Artikel, die das Ressentiment der weißen Bevölkerungsminderheit, die ihren politischen Machtverlust noch immer nicht verwinden kann, ausdrücken. Das sind nur zwei Beispiele von Medien, von denen man einen kritischeren Blick auf Südafrika erwarten könnte. In den überwiegenden Medien in Deutschland ist Afrika noch immer der "schwarze Kontinent" und einen differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Gesellschaften sucht man vergeblich. Das Buch von Khan und Ambacher bietet zumindest in bezug auf Südafrika eine lobenswerte Alternative.
Ambacher Jens Erik, Khan Romin, Südafrika – die Grenzen der Befreiung
Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg, April 2010
263 Seiten, ISBN 978-3-935936-60-6