Wenn Menschenrechtsorganisationen zum Feind werden
Die Tragödie auf der Gaza-Soliflotte sollte Anlass zu kritischen Fragen an beide Seiten werden

"Schießt nicht auf Amnesty International" (http://www.trend.infopartisan.net/trd1209/t121209.html) hatte ich vor einigen Monaten einen Beitrag überschrieben, in dem ich mich kritisch zur Feinderklärung rechter israelischer Kräfte und ihrer deutschen Unterstützer gegen zivilgesellschaftliche Organisationen gewandt habe. Dabei bezog ich mich auf Erklärungen des Publizisten Alex Feuerherdt, der geschrieben hatte:

"Es ist höchste Zeit, dass sowohl die UNO – insbesondere ihr Menschenrechtsrat – als auch NGO wie Human Rights Watch, Amnesty International und das Palestinian Center for Human Rights nicht länger als den Menschenrechten verpflichtete Institutionen angesehen werden, denen an einer Beilegung des Nahostkonflikts gelegen ist, sondern als Konfliktparteien, die an der Perpetuierung des Krieges gegen Israel schon deshalb interessiert sind, weil diese ihre Existenz und ihre Pfründe sichert".

"Schießt nicht auf Amnesty International – erklärt die NGO nicht zu Konfliktparteien, das ist ein Mindeststandard an Humanität", beendete ich meinen Beitrag. Wohin es führt, wenn Menschenrechtsorganisationen zum Feind und nicht zum manchmal auch unbequemen Kritiker und auch realitätsblenden Utopisten gestempelt werden, zeigte sich nun mit der Erstürmung der Gaza-Solidaritätsflotte und den Folgen.

Mir geht es durchaus nicht darum, das Projekt blind zu verteidigen. Die Mischung aus Solidaritätsfahrt und gesinnungstüchtigen Antizionismus war sicherlich von Anfang an problematisch. Von Solidaritätsprojekten aus Lateinamerika beispielsweise ist bekannt, dass ein humanitäres Solidaritätsprojekt eben von jeglicher politischer Äußerung getrennt werden sollte.

Was allerdings nicht vor Angriffen schützt, wie der Überfall auf eine mexikanische Menschenrechtskarawane in Oaxaca vor einigen Wochen. Damals kamen die mexikanische Radioaktivistin Beatriz Carino und der finnischer Menschenrechtler Jyri ums Leben.

Die Gaza-Reisenden müssen sich auch fragen lassen, ob sie die Gefahr nicht unterschätzten, wenn sie sich in einen der weltweit am meisten verhärteten Konflikte einmischten. Gab es unter den TeilnehmerInnen eigentlich Absprachen über ein Verhalten bei einem möglichen Sturm auf die Schiffe? Wurde darüber gesprochen, dass Messer oder gar Feuerwaffen an Bord einer solchen Mission völlig kontraproduktiv sind?

Keine einseitige Parteinahme

Ja, bei aller Verurteilung des Angriffs auf die Soliflotte dürfen auch solche Fragen nicht tabu sein. Es muss eben verhindert werden, dass sich weltweit die Fronten noch mehr verhärten. In den Tagen nach dem Sturm der Schiffe sahen wir in aller Welt Bilder von Demonstrationen, in denen Israel als das absolut Böse dargestellt und damit stigmatisiert wird. Deshalb gilt es gerade jetzt, die Stimmen der Vernunft zu stärken.

Der Angriff gegen zivilgesellschaftliche Organisationen hat weltweit eine lange Tradition, in Lateinamerika, aber auch in Europa, wie die Übergriffe auf Globalisierungskritiker in Italien in den letzten Jahren zeigten. Auch hier wurden konkrete Politiker, wie Berlusconi, Fini oder Polizeibeamte mit Recht kritisiert, nicht aber der Staat Italien als solcher. Genau so sollte auch die berechtigte Kritik an der israelischen Rechtsregierung nicht mit einer Delegitimierung Israels verwechselt werden. Es gibt in Israel viele Menschen, bis weit ins das konservative Lager, die mit der Feinderklärung an die Zivilgesellschaft nicht einverstanden sind. Sie wissen, dass es die demokratische Verfasstheit ist, die damit beschädigt wird.

Die Kampagne der Rechtsregierung gegen Flüchtlinge in Israel gehört ebenso dazu, wie die erneute Inhaftierung des Physikers Mordechai Vanunu. Er hatte eine achtzehnjährige Strafe wegen Weiterverbreitung von militärischen Geheimnissen abgesessen. Heute, wo er keinerlei sicherheitsrelevante Informationen mehr hat, reichte ein Kontakt zu ausländischen Journalisten für eine erneute Haft. Wie in Italien und anderen bürgerlich-demokratischen Ländern gibt es auch in Israel eine Zivilgesellschaft, die diese Tendenzen sehr genau beobachtet.

Logo CUBA LIBRE Peter Nowak

CUBA LIBRE 3-2010