Autopsie eine Kampagne
Der Fall Zapata, die politische Instrumentalisierung der Menschenrechte und die westlichen Medien

Das Haus des kubanischen "Chefdissidenten" Oswaldo Payá liegt unscheinbar an dem Manila-Platz unweit des Sportstadions "Estadio Panamericano" von Havanna. Nichts erinnert hier an den Mann, der 2002 von einer rechten Mehrheit des Europa-Parlamentes gegen das bis dahin übliche Konsensprinzip mit dem Sacharow-Preis der EU ausgezeichnet wurde. Kein ortsfremder Passant würde vermuten, dass in dem Flachbau mit gelb gekachelter Terrasse der Mann wohnt, der 2003 von dem ehemaligen tschechischen Präsidenten und Antikommunisten Vaclav Havel – wenn auch erfolglos – für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Der "Chefdissident" der "Christlichen Befreiungsbewegung" ist in seiner Nachbarschaft allenthalben bekannt, weil in dem Haus Ausländer ein- und ausgehen. Diplomaten, Journalisten und auch Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks Misereor.

Die so genannte "innere Dissidenz" Kubas ist eine Chimäre, die in den Zeitungen der internationalen Medienkonzerne lebt. Von dort aus erhebt sie sich immer dann, wenn sie ihren Herren dienen kann. So etwa im Februar dieses Jahres. Die sozialdemokratische spanische Regierung hatte seit nicht einmal acht Wochen die halbjährlich wechselnde Präsidentschaft der Europäischen Union inne, als der Strafgefangene Orlando Zapata nach einem mehrwöchigen Hungerstreik in Kuba verstarb. Der wegen zahlreicher Gewaltdelikte Verurteilte hatte die selbstzerstörerische Protestaktion Ende 2009 zu einem Zeitpunkt begonnen, als die "Menschenrechtsbeauftragte" der Unionsfraktionen im deutschen Bundestag, Erika Steinbach, vor einer Annäherung der EU an das "Regime" in Kuba warnte. Eine solche Politik der spanischen Ratspräsidentschaft müsse auf jeden Fall verhindert werden.

Mit dem Tod Zapatas nur wenige Wochen später, hatten die Gegner einer Annäherung die nötige Munition. Der Fall des "Märtyrers" Zapata füllte tagelang Zeitungsseiten und Nachrichtensendungen. Die Darstellung der sozialistischen Regierung in Havanna, nach der Zapata kein politischer Gefangener war, fand keine Erwähnung. Qui bono?, fragte der kubanische Journalist und Chefredakteur der Wochenzeitung "La Calle del Medio", Enrique Ubieta. Der bedauernswerte Tod Zapatas habe doch nur jene erfreut, die nun scheinheilig trauerten. Tatsächlich sei Zapata der "perfekte Kandidat" für die Gegner der kubanischen Revolution gewesen: ein "entbehrlicher" Mann, zudem leicht davon zu überzeugen, auf absurde Forderungen nach Fernsehen, einer eigenen Küche und einem eigenen Telefon in der Zelle zu bestehen. "Wie die Geier lungerten einige Medien, Söldner und internationale Medienvertreter um den Sterbenden herum. Sein Tod ist für sie ein Fest, es ist ein ekelerregendes Spektakel", so Ubieta.

In der Tat hatte der Fall Zapata unmittelbar Positionierungen der EU gegen Kuba zur Folge. Während Dutzende politische Morde unter dem honduranischen Putschregime unerwähnt blieben und sich auch niemand über zwei Tote in deutscher Abschiebehaft – einer von ihnen übrigens nach einem Hungerstreik – echauffierte, wuchs der Druck auf die spanische Ratspräsidentschaft massiv. Eine Aussetzung der so genannten Gemeinsamen Position der EU gegen Kuba, wie sie Madrids Außenminister Miguel Angel Moratinos gefordert hatte, war nunmehr undenkbar. Eine Annäherung zwischen Brüssel und Havanna auf dem EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel Ende Mai in Madrid? Ein absolutes Tabu!

Die Kampagne gegen Kuba, die in Anbetracht des Schweigens über den Terrorstaat Kolumbien mehr als zynisch ist, geschieht nicht anonym. In Deutschland wirken hier vor allem die Medien des Axel-Springer-Konzerns, allen voran die Tageszeitung Die Welt, deren Verlagsführung ihren Mitarbeitern die "Unterstützung des transatlantischen Bündnisses" und "die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika" auferlegt. So wundert es nicht, dass dieses Blatt der US-finanzierten Bloggerin Yoani Sánchez regelmäßig Platz einräumt. Ebenso wenig erstaunlich war es, dass die Lateinamerika-Redakteurin Hildegard Strausberg auf dem Höhepunkt der Kampagne am 7. Mai eine Propagandameldung der rechtsklerikalen Gruppierung "Internationale Gemeinschaft für Menschenrechte" verbreitete. In Kuba, hieß es dort, befänden sich eintausend politische Gefangene in Haft. Gegenrecherche? Fehlanzeige! Die Zahl ist durch keine seriöse Quelle gedeckt.

Dass "Die Welt" in der deutschen Presselandschaft die Speerspitze der antikubanischen und gleichsam antikommunistischen Kampagne gegen Kuba bildet, ergibt sich aus der politischen Ausrichtung ihres Verlagshauses. Gerade vor diesem Hindergrund aber lässt sich das auch andernorts wirkende Netzwerk aus publizistischer Konzernmacht und politischen Interessen gut nachvollziehen. Ende April 2007 trat "Welt"-Redakteurin Strausberg zusammen mit dem CIA-Agenten und Aktivisten des rechten kubanischen Exils, Frank Calzón, auf einer Tagung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung auf. Hier kristallisiert sich eine bemerkenswerte Struktur heraus: Deutsche Fachjournalistin trifft CIA-Agent trifft politische Stiftung trifft CDU-Vertreter. Kein Wunder also, dass in Zeiten einer rechtsliberalen Regierung Deutschland derzeit führend in der Kampagne gegen Kuba ist.

Wie effektiv diese international agierenden Verbindungen arbeiten, zeigte sich auch in den Wochen nach dem Fall Zapata. Als die Medienmehrheit ermüdete, immer neue empörte Meinungsbekundungen zu drucken, wurde ihnen neues Material geboten: Mitte März zogen die "Damen in Weiß" in Havanna auf die Straße, eine nachweislich US-finanzierte Gruppierung. Das neue Geschehen bot neue Schlagzeilen. Als seien die Demonstrationen bestellt gewesen.
Die Aggressivität der amtierenden deutschen Regierung sorgt inzwischen übrigens selbst in den kubanischen Medien für Schlagzeilen. Im Mai verwies der Mitarbeiter der Tageszeitung Granma, Jean-Guy Allard, auf eine neuerliche Kuba-Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Mit der Veranstaltung und ihrer Gästeliste bestätigte die KAS ihre aktiven Verbindungen mit der CIA, indem sie als Hauptakteure ihres Programms derartig mit US-Geheimdienst-Operationen identifizierte Individuen einlud wie Yaxis Cires Dib, der sich als Vizepräsident für auswärtige Beziehungen einer "Kubanischen Christdemokratischen Partei" aufspielt. Derartige Parteien seien von der CIA zu Dutzenden geschaffen worden, heißt es in dem Text. Eingeladen war auch Julio Hernández, der "Chef" auf Lebenszeit einer "Christlichen Befreiungsbewegung".

"In verschiedenen vom US-Außenministerium geförderten Publikationen erscheint der Name von Cires neben denen von Agenten und Terroristen wie Angel De Fana und Frank Calzón, die beide seit Jahrzehnten mit der antikubanischen Propaganda verknüpft sind", schreibt Allard, der die Geheimdienstkontakte der CDU-nahen Stiftung offen anprangert.

Angesichts solcher Interesse und aktiver Netzwerke drängt sich die Frage nach Gegenstrategien auf. Es geht dabei keinesfalls um Gegenpropaganda, sondern um das Beharren auf wahrer und umfassender Information. Im erwähnten Fall der IGFM-Meldung wirkt in der Redaktion schließlich keine journalistische, sondern eine politische Motivation. In solchen Fällen bleibt freilich nur die Möglichkeit, dieses Vorgehen anzuprangern, in themenbezogenen Medienblogs etwa. Die Mehrzahl der Journalisten aber wird für zusätzliche Informationen dankbar sein. Je mehr Sichtweisen der einzelne Journalist zur Verfügung hat, desto realitätsgetreuer wird seine Arbeit. Denn wer weiß schon in einer kleinen Redaktion, dass etwa der Mann, den er als "Chefdissidenten" präsentiert bekommt, in Wirklichkeit ein politischer Niemand ist?

Logo CUBA LIBRE Harald Neuber
Deutschland-Korrespondent der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina

CUBA LIBRE 3-2010