Rechter Rollback in Lateinamerika?

So schnell können sich die Einschätzungen verändern. Noch im Jahr 2007 war allgemein vom Linksruck in Lateinamerika die Rede. In den letzten Monaten hingegen wurde verstärkt vor einem verstärkten rechten Rollback gewarnt? Steckt dahinter mehr als nur Panikmache?

Nun sind die pessimistischen Einschätzungen nicht aus der Luft gegriffen. Vor allem der Putsch in Honduras wird als ein wesentlicher Einschnitt in der Entwicklung des Kontinents gesehen. Erstmals wurde gewaltsam ein Land, das sich dem von Venezuela initiierten Alba-Bündnis angeschlossen hatte, gewaltsam an der weiteren Entwicklung dieser außenpolitischen Orientierung gehindert. Gravierender aber ist noch, dass das Ergebnis des Putsches trotz andauernder Proteste der Bevölkerung international weitgehend anerkannt wurde.

Ein rechter Präsident, der die politischen Ziele der Putschisten verfolgt, wurde unter Bedingungen des Putsches bei einer von der Opposition und der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannten Wahl bestätigt.
Obwohl der Terror gegen GewerkschafterInnen, JournalistInnen und AktivistInnen sozialer Bewegungen weitergeht, wird nun demokratische Normalität geheuchelt. Jetzt heißt es immer, die Opfer sind nicht aus politischen Gründen ermordet worden sondern der Kriminalität zum Opfer gefallen. Dabei vermeldete die Organisation Reporter ohne Grenzen allein für März 2010 drei Morde an Journalisten.

Diese bestimmt nicht linkslastige Organisation konstatiert neben einer wachsenden kriminellen Gewalt auch gehäufte Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Honduras seit dem Putsch gegen den ehemaligen Präsidenten José Manuel Zelaya im Sommer 2009.

In Lateinamerika haben die Ereignisse in Honduras eine große Beachtung gefunden, weil sie an die Zeiten des Terrors in Lateinamerika der 70er und 80er Jahre erinnerten, als Militärs ganze Generationen von AktivistInnen, GewerkschafterInnen, StudentInnen aber auch AnhängerInnen der Theologie der Befreiung auslöschten.

Rückkehr der Mumien

Das Klima von Terror und Angst aber auch des schrankenlosen Individualismus, das die Militärs schufen, prägt bis heute die betroffenen Länder. Die Ergebnisse der chilenischen Wahlen lassen sich damit teilweise erklären. Dort gewann mit Sebastián Piñera ein ultrarechter Milliardär. Unterstützt wurde er von den schon von Pablo Neruda verdammten Mumien, die hinter dem Putsch gegen Allende standen und Pinochet so lange unterstützt haben, bis er ihnen lästig wurde.

Die Militarisierung des chilenischen Alltags nach dem Erdbeben in den Südprovinzen Chiles hatte bei den Opfern der Diktatur dramatische Wirkungen. Doch ein Großteil der Gesellschaft, auch in den Armenvierteln, beklatsche die Maßnahmen. In einer Gesellschaft, in der jede emanzipatorische Alternative scheinbar versperrt ist, triumphiert letztlich immer die Rechte mit ihren Law- und Orderparolen.

Zum Wahlsieg Piñeras hat aber auch eine Politik der christ- und sozialdemokratischen Mitte beigetragen, die den vom Pinochet-Regime hinterlassenen, schrankenlosen Neoliberalismus nur verwaltet und jegliche Gedanken an einen grundsätzlichen Wandel ausgeschlossen hatte.

Auch in Brasilien und Argentinien sind Wahlsiege der Rechten bei den nächsten Wahlen keineswegs ausgeschlossen. Das liegt in der Logik sogenannter linker Wahlsiege, die im sozialdemokratischen Sinne das kapitalistische System verwalten und vielleicht hier und da verbessern, aber die Grundlage der Kapitalverwertung nicht antasten. Daher müssen sie zwangsläufig die Erwartungen ihrer Wählerklientel enttäuschen. Diese bleiben dann den Wahlen fern oder gehen den Versprechungen der Rechten auf den Leim. Nach diesem Muster gibt es in Europa seit Jahrzehnten ein auf und ab "linker" und rechter Wahlerfolge und Niederlagen. In letzter Zeit stabilisiert sich die Rechte, siehe Italien.

Mehr als den Kapitalismus verwalten

Nun existierten aber auf dem amerikanischen Kontinent mit Cuba, Ecuador, Bolivien und Venezuela vier Regierungen, die eben nicht nur den Kapitalismus verwalten, sondern in unterschiedlichen Ausmaßen grundlegende Veränderungen der Eigentums- und Machtstruktur eingeleitet haben. Erst wenn es der Rechten gelänge, in einem dieser Länder die Macht wieder an sich zu reißen, sei es formaldemokratisch durch Wahlen oder gewaltsam, könnte von einem rechten Rollback in Lateinamerika gesprochen werden.

Interessant werden in diesem Zusammenhang die nächsten Wahlen in Venezuela sein. Die Rechte bemüht sich schon um die Präsentation eines Kandidaten, der überhaupt eine ernsthafte Chance gegen Chavez hat. Aber bisher scheinen alle Einigungsbemühungen der Chavez-Gegner nicht zu klappen. Was aber nicht bedeutet, dass es nicht spektakuläre öffentlichkeitswirksame Aktionen geben wird, die die bolivarische Regierung in den Augen der Weltöffentlichkeit als antidemokratisch oder antisemitisch diskreditieren soll.

Dass diese Propaganda selbst bei kritischen Menschen zieht, zeigte ein Beitrag des Journalisten Stefan Frank in der Monatszeitung Konkret. Frank, der sich als Wirtschaftsexperte durchaus als guter Materialist und blendender Analytiker erwiesen hat, scheint in seiner Beurteilung zu Venezuela von all diesen Fähigkeiten verlassen. Er versteigt sich sogar zu der Aussage, dass es in Venezuela einen Antisemitismus gebe, der sich mit dem NS-Hetzblatt "Der Stürmer" vergleichen lasse. Die Quellen sind einige mangelhaft ins Deutsche übersetzte Zitate aus einer Internetseite, mit in der Tat kruden Texten zu Israel.

Dass es sich hier nicht um Verlautbarungen der venezolanischen Regierung, sondern um ein Onlineportal bolivarischer Basisaktivisten handelt, wird dabei nicht erwähnt. Das Beispiel zeigt, dass die Kampagnen gegen die fortschrittlichen Entwicklungen in Lateinamerika durchaus auf fruchtbaren Boden fallen. Für eine emanzipatorische Linke ist die Entwicklung einer kritischen Solidarität zu den dortigen Prozessen wichtig. Es ist nicht nötig, jede vermeintlich antizionistische, in Wirklichkeit latent antisemitische Verlautbarung aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen dieser Länder zu verteidigen. Auch die Beziehungen zwischen dem Iran und Venezuela bedürfen einer kritischen Betrachtung.

Genau so wichtig ist es aber daran zu erinnern, dass die israelische Regierung seit der 70er Jahren rechte Regierungen in Lateinamerika auch mit Waffen unterstützte. Dies entschuldigt keine antisemitischen Äußerungen, macht aber auch verständlich, warum die lateinamerikanische Linke nicht besonders israelsolidarisch ist.

Startschuss für eine nichtreformistische Linke

Statt sich im pessimistischen Geraune über einen rechten Rollback in Lateinamerika zu ergehen, sollten die Solidaritätsgruppen mit mehr Analyse an die Entwicklungen rangehen, um eine Position zu finden, die sich weder in Revolutionsromantik ergeht, noch in grundlegendem Pessimismus endet. Dabei wäre gerade die Frage zwischen Verwaltung oder Veränderung des kapitalistischen Systems eine wichtige Diskussionsgrundlage auch für Linke hier. Schließlich hat in den 60er Jahren ausgehend von Cuba eine linke Bewegung den Bruch mit der Unterordnung von linken Wahlparteien unter die Interessen der nationalen Bourgeoisie auf ihre Banner geschrieben und damit weltweit Zustimmung gefunden. Vielleicht könnte ja die momentane Entwicklung in Lateinamerika zur Herausbildung einer neuen antagonistischen Linken führen.

Logo CUBA LIBRE Peter Nowak
CUBA LIBRE 2-2010