Vom 11. – 21. Februar fand sie statt, die zweitgrößte Buchmesse Lateinamerikas:
Feria del Libro 2010! Gastland in diesem Jahr war Russland.
Team Berliner Büros Buchmesse Havanna 2010 |
Wie bereits in den vergangenen 5 Jahren gab es wieder einen Stand des "Berliner Büros Buchmesse Havanna", ein Zusammenschluss fortschrittlicher Verlage und Solidaritätsorganisationen, bei dem auch ver.di-Brandenburg mitarbeitet. Entstanden war dieser Einsatz im Jahr 2005, als die Bundesregierung ihre Teilnehme wg. des sog. Kulturboykotts trotz ihrer damaligen Rolle als Gastland kurzfristig absagte: Auf Initiative der junge welt kam ein alternativer Auftritt deutscher Literatur zu Stande, an dem sich mehr Verlage beteiligten als es die Frankfurter Buchmesse, die dort für die Bundesregierung agierte, jemals gewinnen konnte.
Nunmehr zum dritten Mal waren sie wieder dort präsent, nachdem die Bundesregierung offenbar eingeschätzt hat, dass man die "Linken" dort nicht allein lassen darf. Der dritte deutsche Stand auf der Buchmesse 2010 war der Stand von Cuba Sí und ihrem Solidaritätsprojekt ACPA, einer landwirtschaftlichen Fördereinrichtung, die die Milchwirtschaft fördert. Doch dazu später.
Zehn Compañer@s der junge welt, der Freundschaftsgesellschaft, des Netzwerk Cuba, ver.di-Brandenburg sowie ein jw-Leser hatten sich aufgemacht, diesen Stand abzusichern. Verstärkt wurde das Team durch eine Krimi-Autorin aus Berlin und die Übersetzerin des Buches "Das Tahiti-Projekt", mit denen Autorenlesungen sowohl auf der Buchmesse als auch in der "Cátedra Alexander und Wilhelm von Humbold". Unterstützt wurden wir von fünf cubanischen StudentInnen, vier von ihnen waren Deutsch-StudentInnen der Universität von Havanna, die uns vor allem bei der Kommunikation mit den nicht deutsch sprechenden BesucherInnen halfen.
Anknüpfungspunkt für alle BesucherInnen war wieder die exta-Ausgabe der junge welt auf spanisch, in der auf vier Seiten sowohl das Projekt des Standes erläutert als auch politisch-soziale Situation in der Bundesrepublik geschildert wurde. Insofern wurden wir auch der Losung gerecht, die wir in den Eingang unseres Standes geschrieben hatten: Eine "alternative" Ausstellung! Die Freundschaftsgesellschaft hatte ihren flyer "Wir über uns" ins Spanische übersetzt und 1.000 Exemplare mitgebracht. So konnten Interessierte auch hierzu Informationsmaterial mitnehmen.
Ehrengast Russland |
Die Buchmesse selbst ist in Havanna ein außerordentliches Ereignis: Etwa 500.000 Menschen besuchen sie in der alten Festung oberhalb Havannas, von wo mensch eine herrliche Sicht auf die Silhouette der Stadt hat. An den Wochenenden kommen die Familien mit Kindern und Enkeln, in der Woche strömen -zig Schulklassen durch die Ausstellungsräume. Entsprechend ging es auf dem Stand zu. Häufig war die Enttäuschung groß, dass wir keine spanischsprachige Literatur hatten. Pures Entsetzen herrschte, wenn wir die in der Bundesrepublik gültigen Preise für die Bücher nannten: Solche Preise waren für sie nicht nachvollziehbar.
"Unsere" Kunden waren die Deutschlehrenden und -lernenden, diejenigen CubanerInnen, die sich teilweise über einige Jahre in der DDR aufgehalten – immerhin rund 60.000 sind bis 1989 dort gewesen - und die Sprache nicht wieder verlernt haben sowie in Cuba lebende Deutsche und einige wenige TouristInnen, für die die Buchmesse zu ihrem Programm gehörte, mit dem sie Cuba kennenlernen wollten.
Zusätzlich zu den vielfältigen Gesprächen auf der Buchmesse selbst hatte das ICAP (Cubanisches Institut für Völkerfreundschaft) Gesprächsrunden in der ganzen Stadt für uns vereinbart: Selbstverständlich waren wir in der Cátedra und konnten mit dem Leiter der Einrichtung auch über deren Zukunft sprechen. Eusebio Leal, der "liebe Gott" der Altstadt von Havanna – er ist der Leiter der gesamten Restaurationsprojekte dort, der Stadthistoriker – nahm sich fast zwei Stunden für uns Zeit und erläuterte Ziel und Wesen der umfangreichen Arbeiten (aber das wäre ein Artikel für sich). Wir waren bei der Granma International, beim Gewerkschaftsdachverband und bei etlichen weiteren Einrichtungen und Institutionen der cubanischen Gesellschaft.
Eine absolute Bereicherung "unseres" Programms waren wieder die Fahrten zu den von Cuba Sí ünterstützten Projekten der Milchproduktion in die Provinzen Pinar del Rio und Havanna: Wir "lernten" nicht nur, wie der cubanische Staat versucht, die Landwirtschaft zu stärken, wir lernten auch, was ein Hurrikan anrichten kann: Die Compañeros dort in Pinar zeigten auf die Stallungen der Kühe und die Umgebung und erläuterten dass 2008 nach den verheerenden Hurrikanen von all dem nichts mehr zu sehen war: Die Dächer der Ställe waren weggeflogen, die Tabak- und Bananenstauden einfach entwurzelt: Es wurde damals eine Windgeschwindigkeit von 386 km/h gemessen (Zum Vergleich: Bei dem Sturm in der BRD vor einigen Wochen wurde auf dem Brocken eine Windgeschwindigkeit von rd. 190 km/h gemessen). 72 Tage war die Kooperative auf den eigenen Stromgenerator angewiesen, bevor das Stromleitungsnetzt bei ihnen wieder funktionierte.
Diese Fahrten erwiesen sich sowohl zur "Anschauung" der tatsächlich guten und wirksamen Projekte, die dort angesiedelt waren, als auch im Sinne eigener Weiterbildung als außerordentlich wertvoll; genauso wie die vielfältigen Gespräche mit CubanerInnen über die soziale Situation hie und da. Und nicht zu vergessen, die – leider wegen des nicht gerade cubanischen Wetters nur seltenen – Besuche auf den Dachterrassen des Inglaterra oder anderer Hotels.
Fazit:
Es ist natürlich immer sinnvoll, das "Deutschland-Bild", welches die Frankfurter Buchmesse präsentiert, mit entsprechender Gegenöffentlichkeit zurechtzurücken. Wobei aber auch relativ klar ist, dass nicht die zu diesem event anreisenden Linken das Deutschland-Bild der cubanischen Bevölkerung prägen können / werden. Interessant in diesem Zusammenhang ist die reine Anwesenheit "alternativer" Deutscher, die im Zweifelsfall reaktionäre Veranstaltungen der "Frankfurter" "besuchen" würden.
Die Frage nach Aufwand und Nutzen ist aber vor allem eine Frage der jw: Diese trägt (als Organisation bzw. Firma) die wesentlichen Kosten; die FG z.B. hatte hier nur marginale Kosten und kann sich ein "mehr" auch nicht leisten
Gunnar Siebecke
CUBA LIBRE 2-2010