Sterr, Albert: Mexikos Linke - Ein Überblick, Soziale Bewegungen, Guerillagruppen und die ‚Andere Kampagne’ der Zapatisten
ISP-Verlag, Köln 2008, 216 Seiten, ISBN: 978-3-89900-127-3.
Der Kommunistische Bund (KB) hatte in Westdeutschland in der radikalen Bewegung der 70er Jahre eine besondere politische Linie. Seine AktivistInnen sahen auch bewaffnet kämpfende Gruppen als Linke, die sie vor der Repression des Staates verteidigten. Gleichzeitig suchten sie in der damals regierenden Sozialdemokratie nach dissidenten Strömungen und propagierten die Zusammenarbeit mit ihnen.
Der Nürnberger Lateinamerikaexperte Albert Sterr gehörte damals zu den KB-Aktivisten und das merkt man seinem Buch über die mexikanische Linke an und das ist durchaus als Lob gemeint. Sterr schafft es, einen guten Überblick über die aktuelle linke Szene in Mexiko zu geben. Wie der KB vor über 30 Jahren zählt auch Sterr verschiedene Guerillagruppen dazu, die in Mexiko jenseits der Zapatistas operieren.
Gleichzeitig wirbt er für einen differenzierten Blick auf die größte sozialdemokratische Oppositionspartei, die PRD. Er benennt dabei durchaus deren Opportunismus - vor allem da, wo sie in Landesregierungen mitregiert. Auch die Kritik an der fehlenden innerparteilichen Demokratie in der PRD fehlt nicht.
Doch er rechnet es dem linkspopulistischen Flügel um Lopez Obrador hoch an, dass er eine wochenlange Mobilisierung gegen den Wahlbetrug und die Privatisierungspolitik der gegenwärtigen konservativen Regierung initiierte. Kritisiert werden die Zapatistas, die sich an dieser Mobilisierung nicht beteiligen haben, weil sie aktuell jede Zusammenarbeit mit der PRD und deren Verbündeten ablehnen.
Kritischer Blick auf die Zapatistas
Eines der großen Verdienste von Sterrs Buch ist, einen kritischen und trotzdem solidarischen Blick auf die Zapatisten zu werfen. Denn sie sind in Deutschland hauptsächlich im Gespräch, wenn von der mexikanischen Linken die Rede ist. Dass es daneben noch weitere Bewegungen der radikalen Linken gibt, ist kaum bekannt.
Teilweise werden diese Gruppen aber auch als traditionalistische Hardliner bezeichnet, wogegen die Zapatistas die moderne, neue Linke repräsentieren. Als jemand, der schon seit Jahren auch in der Cuba-Libre für einen differenzierteren Blick auf die mexikanische Linke wirbt, bin ich erfreut, dass Sterr diese Haltung jetzt faktenreich untermauert.
So zeigt er im Kapitel "Metamorphosen des Zapatismus" auf, wie die ehemalige guevaristische EZLN in Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung ihre neue Linie entwickelte. Aber auch nach dem Aufstand vom 1. Januar 1994 war die zapatistische Bündnispolitik ständigen Veränderungen unterworfen.
So gehörte in der Zeit von 1994 – 1996 die PRD zu den wichtigsten Bündnispartnern, die von Subcommandante Marcos geradezu umworben worden war. Erst als es nicht gelang, eine landesweite Oppositionsbewegung aufzubauen, zogen sich die Zapatistas auf Chiapas zurück und stellten den Kampf um die Rechte der Indigenas in den Mittelpunkt.
Der Schwenk in der Haltung zur PRD vom favorisierten Bündnispartner zum erklärten politischen Gegner hat nach Sterr mehrere Gründe. Ein wesentlicher dürfte in der Politik des PRD-Gouverneurs von Chiapas liegen, dessen Politik sich nicht von denen der anderen Parteien unterscheidet. Nachdem sich die Zapatistas aber auf ihre Hauptbasen in Chiapas zurückgezogen haben, sind sie mit diesem Gouverneur ständig konfrontiert.
Ein weiterer Grund dürfte in der Tatsache liegen, dass Politiker wie dieser Gouverneur auch in der PRD keine Ausnahmen sind. Eine weitere Ursache ist das Ende des PRI-Regimes, gegen das die Zapatistas und die PRD gemeinsam in der Opposition waren.
Mit dem Machtantritt der rechtskatholischen PAN veränderte sich die politische Landschaft in Mexiko. Darauf waren auch die Zapatistas nicht vorbereitet. Mit der "Anderen Kampagne" versuchen sie ein nichtreformistisches Bündnis jenseits der PRD aufzubauen. Doch die Erfolge sind bisher äußerst bescheiden. Sterr sieht einen Grund in der seiner Meinung nach sektiererischen Politik gegenüber der PRD.
Sterr macht kein Geheimnis daraus, dass er auf eine breite Widerstandsfront hofft, die von der PRD bis zu den Zapatistas und den übrigen linken Guerillagruppen reichen soltel. "Grund zur Hoffnung gibt die Tatsache, dass sich die Zapatistas schon mehrfach in ihrer Geschichte grundlegend neu orientiert haben".
Absolute Pionierarbeit
Ein besonderes Lob verdient Sterr für das 3. Kapitel, das sich mit den drei Strömungen der nicht-zapatistischen Guerilla- und Aufstandsbewegungen in Mexiko befasst. Eine dieser Strömungen orientiert sich politisch an den Zapatistas, ist aber eigenständig organisiert und verhält sich gegenüber der sozialdemokratischen PRD und deren Umfeld taktischer als die Zapatistas. Das trifft auch auf die ehemals marxistisch-leninistische Guerillaströmung EPR und die von Sterr als bewegungsnah klassifizierten Gruppierungen zu.
Mehrere Rezensenten haben Sterr dafür kritisiert, dass er hier so akribisch recherchiert hat. Doch für Linke, die sich für die politische Geographie Mexikos interessierten, ist seine Arbeit sehr hilfreich. Es wäre schließlich nur eurozentrisch, neben den Zapatistas alle anderen linken Gruppierungen zu ignorieren.
Man kann ihre Politik kritisieren, was Sterr auch macht, aber man sollte sie zumindest erstmal zur Kenntnis nehmen. Zudem gerade die EPR aus zwei Gründen für die internationale Linke interessant sein sollte. Zwei ihrer Aktivisten sind am 25.Mai 2007 verschleppt worden uns seitdem verschwunden. Die Regierung weigert sich bis heute, Informationen über ihren Verbleib zu geben. Nachdem alle legalen Proteste erfolglos geblieben sind, hat die EPR mit einer militanten Kampagne gegen die Energieversorgung reagiert.
Für Sterr bedeuteten diese Aktionen einen qualitativen Sprung für diese Gruppen. "Wenngleich die Ursachen und Akteure des revolutionären Handelns vorwiegend mit den konkreten Bedingungen in ländlichen Armutsregionen zu tun haben, so vermochte die EPR mit dieser Kampagne erstmals, diese geographische Begrenzung hinter sich zu lassen und ihren Widerstand auf unübersehbare Art und Weise in die Kernzonen der wirtschaftlichen Dynamik zu tragen. Hierin manifestiert sich eine potentielle Vetomacht, die beträchtliche politische Möglichkeiten in sich birgt."
Sollte Sterr Recht behalten, könnte sich in Mexiko neben den Zapatistas eine weitere linke Guerilla etablieren. Und das ausgerechnet in dem Land, in dem es in den 60er und 70er Jahre die Linke besonders schwer hatte. Sie war größtenteils pro-cubanisch, aber anders als viele anderen Länder in Zentral- und Lateinamerika hat die mexikanische Regierung die Beziehungen zu Havanna nie abgebrochen. Das brachte die mexikanische Linke in ein großes Dilemma, weil sie eben aus Cuba wenig Unterstützung erwarten konnte.
Peter Nowak
CUBA LIBRE 1-2010