Ausgerechnet die "Sozialistische Tageszeitung - Neues Deutschland" veröffentlichte am
5./6. September eine Rezension von Benjamin Jakob mit dem Titel "Antonio José Ponte besichtigt
das moribunde Havanna - Trümmerfeld der Metropole" (Besprechung des Buches "Der
Ruinenwächter von Havanna") Nun ist es ärgerlich, wenn der Leser einer Rezension bereits
beim Titel gezwungen wird, zum Wörterbuch zu greifen. Dieses Ärgernis setzt sich ungebremst
fort, nachdem Autor und Rezensent dekretieren, dass nicht nur die kubanische Hauptstadt, sondern auch
Fidel Castro (in dem Beitrag wie Che kumpelhaft nur mit Kurz- bzw. Vornamen erwähnt)
"moribund", also laut Duden "med.: Im Sterben liegend, dem Tode nah" seien.
Wer jemals in Havanna zu Gast war, weiß jedoch, dass diese Stadt vor prallem Leben pulsiert. Um
diesen nicht zu leugnenden Widerspruch zu überwinden und dem eigentlichen Anliegen, nämlich der
Diskreditierung der kubanischen Revolution, gerecht zu werden, muss also ein Kunstgriff her. Denn zwar
erkenne der besprochene, bezeichnenderweise in Madrid lebende Autor "die stete Bereitschaft der
Habaneros zu feiern" an, die kubanische Gesellschaft in Gänze jedoch befinde sich "in
Auflösung".
Die dann folgenden Angriffe auf das durch seine Sicht auf Havanna widergespiegelte kubanische
Gesellschaftssystem, "die Stadt ruiniert, ihre Bewohner ruiniert, und Ruine wird, wer ins Mahlwerk
der Macht gerät", ist kaum mehr als der literarische Wurmfortsatz des antikubanischen
Propagandastreifens "Havanna - Die Neue Kunst Ruinen zu bauen" (2006), der - wie vom Regisseur
Florian Borchmeyer damals selbst zugegeben - "in Teilen unter konspirativen Bedingungen", also
mit geheimdienstlichen Mitteln produziert wurde.
Der ND-Rezensent teilt mehrmals die Behauptungen des offenbar von ihm sehr bewunderten Autors: "Die
Trümmer, sagt der Autor richtig, seien zu Teilen eine Schöpfung der Comandantes, Zeichen einer
´Sehnsucht nach dem militärischen Angriff´. Castro braucht die Ruinen - damit seine
Warnung vor der Intervention aus dem Norden auf paradoxe Weise glaubhaft blieb." Zusammengefasst:
Die Revolutionsführung lässt aus strategischen Gründen das Volk darben, die Städte
verkommen und betreibt ansonsten beständig eine kriegstreiberische Politik.
Dies alles ist jedoch interessanterweise weder in Form noch Inhalt neu. Im Gegenteil. Es wird zitiert auf
Teufel kommt raus, ohne dass die Zitate als solche ausgewiesen werden. Die ganze "Argumentation"
ist bereits im Begleitheft des genannten Films von 2006 enthalten und selbst der Titel stammt aus der
Begründung der Jury, die diesem den mit 10 000 Euro dotierten "Bayrischen Filmpreis
in der Kategorie Dokumentarfilm" verliehen hatte. Der Laudator Stoiber hatte damals formuliert
"Dabei verfallen Borchmeyer und Hentschler nicht der verlockenden Poesie des Moribunden, sondern
feiern die erstaunliche, nostalgiefreie Vitalität der Ruinenbewohner". Da lacht das alte
Kolonialistenherz ...
Der Autor selbst scheint, gelinde gesagt, eine schillernde Persönlichkeit zu sein. In der
ND-Rezension wird Ponte vorgestellt "als Liebling des Castro-Systems und Feind desselben,
ausgeschlossen aus dem Künstlerverband, als ein Gespenst, zum Schweigen verurteilt seit 2003 (...)
Seit 2006 lebt (...) Ponte in Madrid." Hans schreibt ("Kuba - Nachrichten von der
Schurkeninsel"): "Borchmeyer und Hentschler (...) bedienen sich dazu des nach eigener Aussage
einzigen in Kuba lebenden Redakteurs der spanischen Zeitschrift ´Encuentro da la Cultura
Cubana´, Antonio José Ponte, der sich selbst als Inhaber eines imaginären
"Lehrstuhls für Ruinologie" bezeichnet (...)." Das Ganze müffelt stark nach
Geheimdiensten.
Solch reaktionäre Propaganda verzerrt nicht nur die Realität Havannas. Sie lenkt auch bewusst
ab von dem hierzulande tatsächlich von Konzernen und Politikern aus Profitgründen gewollt
herbeigeführten Verfall ganzer Stadtviertel. "Ruinen" gesucht? Kommt mal in den Essener
Norden!
Heinz-W. Hammer
CUBA LIBRE 4-2009