»Was einen bis heute an Alexander von Humboldt fasziniert, ja, den Atem verschlägt, ist eine an die Grenzen gehende Weltzugewandtheit, ja Weltsüchtigkeit, die wenn man ihr nachgibt, den Routinebetrieb der Wissenschaften und Wissensproduktion in Frage zu stellen droht. Diese Weltzugewandtheit erfaßt die Gegenstände, an denen sich die Formen der Wissensproduktion herausbilden, sie diktiert die Arbeitsweise, den Forschungsprozeß, die Darstellungsform. Alexander von Humboldt ist bei aller olympischen Klassizität ein wildes Tier der Erfahrung, fast ein Künstler, der die Regeln des Spiels selber entwirft. Für ihn gab es nichts, was nicht interessant war.«
Karl Schlögel, Historiker
Kindheit und Jugend in Berlin 1769 bis 1787
Alexander von Humboldt wird am 14. September 1769 in Berlin geboren - im Schein des Messierschen Kometen,
der seine Bahn am Himmel zieht. Sein Vater ist der preußische Offizier und königliche Kammerherr
Alexander Georg von Humboldt; seine Mutter Marie Elisabeth entstammt einer französischen Hugenottenfamilie,
die den Namen Colomb, französisch für Columbus, trägt.
Alexander wächst in Schloß Tegel auf, gemeinsam mit seinem älteren Bruder Wilhelm von Humboldt,
dem späteren Sprachenforscher, Erziehungsminister und Gründer der heutigen Humboldt-Universität
zu Berlin. Die Brüder genießen eine umfassende Erziehung unter der Anleitung des Oberhofmeisters
Christian Gottlob Kunth, der eine Reihe von Hauslehrern verpflichtet: unter ihnen der Maler Daniel Chodowiecki
und Geheimrat Christian Wilhelm Dohm, der sich mutig für die Emanzipation der Juden einsetzt.
Unter dem Einfluß seines Erziehers Joachim Heinrich Campe begeistert sich Alexander früh für die
großen Entdeckungsreisenden seiner Zeit wie James Cook oder La Condamine. Dennoch ist Humboldts Kindheit
nicht die glücklichste: Als er sieben ist, stirbt sein Vater, das Verhältnis zu seiner Mutter bleibt
zeitlebens kühl. Aus der Enge des elterlichen »Schloß Langweil« flüchtet Alexander in den
Berliner Salon von Henriette Herz, mit der ihn eine tiefe Freundschaft verbindet.
Studienjahre 1787 bis 1792
Auf Wunsch der Mutter studiert Humboldt, der als der weniger begabte der beiden Brüder gilt, Kameralistik
in Frankfurt an der Oder. Das Studium diente zur Vorbereitung für den preußischen Verwaltungsdienst.
Nach einem halben Jahr kehrt er nach Berlin zurück und nimmt Privatunterricht in Physik, Mathematik,
Zeichnen, Griechisch und Philosophie. Von Karl Ludwig Willdenow wird er in die Botanik eingeführt.
1789 immatrikuliert sich Alexander an der Universität Göttingen, dem Zentrum der wissenschaftlichen
Aufklärung in Deutschland. Dort studiert er Chemie und Physik, unter anderem bei Georg Christoph
Lichtenberg. Er wohnt in demselben Haus wie der junge Fürst Metternich, der spätere
Außenmininister Österreichs. In Mainz lernt er Georg Forster kennen, der James Cook auf dessen
zweiter Weltumseglung begleitete. Die Nachricht von der Französischen Revolution nehmen sie beide
begeistert auf. Mit Forster reist Humboldt 1790 von Mainz über Köln, Brüssel und Amsterdam nach
England. Auf der Rückreise kommen sie ins revolutionäre Paris. Humboldt bezeichnet die wenigen Tage
dort als die eindrucksvollsten seines Lebens.
Angeregt durch Forster, beschließt Humboldt, wie dieser die Welt zu bereisen, auch wenn er sich nach
außen den Wünschen der Mutter fügt: Von August 1790 bis April 1791 besucht er die
Handelsakademie von J. G. Büsch in Hamburg. Seine erste Publikation, Mineralogische Beobachtungen über
einige Basalte am Rhein, bringt ihm Anerkennung über Fachkreise hinaus.
Im preußischen Bergdienst 1791 bis 1796
An der Bergakademie in Freiberg/Sachsen nimmt Humboldt im Juni 1791 das Studium des Bergbaus auf. Eine
glänzende Karriere im Staatsdienst steht ihm offen: Im März 1792 wird er zum Assessor im
preußischen Bergdepartement ernannt, Anfang 1793 als Oberbergmeister mit der Leitung des Bergbaus der
fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth betraut. In kürzester Zeit gelingt es ihm,
die maroden Bergwerke wieder profitabel zu machen. Auf eigene Initiative und aus eigenen Mitteln gründet
er die Freie Königliche Bergschule in Bad Steben/ Frankenwald, die erste Arbeiter-Ausbildungsschule in
Deutschland. Um die Gesundheit der Grubenarbeiter zu schützen, erfindet er ein Atmungsgerät, den
Vorläufer der Gasmaske, und verschiedene Sicherheitslampen. In Anerkennung seiner Leistungen wird Humboldt
zum Oberbergrat befördert. Im Dezember 1794 lernt Humboldt in Jena Johann Wolfgang Goethe kennen, der sich
von dem jungen Naturforscher und Geologen begeistert zeigt. Mit dem Infanterieleutnant Reinhard von Haeften,
der in Bayreuth stationiert ist, führt Humboldt eine unglückliche Liebesbeziehung.
Die Jahre der Vorbereitung 1796 bis 1799
1796 gelangt Humboldt durch den Tod der Mutter in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens, das
ihm die Finanzierung seines Lebenstraums ermöglicht – als Forschungsreisender die Welt zu erkunden. Er
quittiert den Staatsdienst. Von nun an widmet er sich ganz der Vorbereitung seiner Reise. Doch die wechselhafte
politische Großwetterlage durckreuzt all seine Anläufe: Eine geplante Italienreise wird durch
Napoleons Krieg gegen Italien vereitelt, eine Westindienreise durch die englische Blockade vor der Küste
Europas. Die Nil-Expedition auf Einladung des Bischofs von Derry verhindert der ägyptische Feldzug
Napoleons.
In Paris lernt Humboldt 1798 den französischen Arzt und Botaniker Aimé Bonpland kennen. Zusammen reisen
sie nach Marseille, wo sie auf eine Überfahrtsmöglichkeit nach Nordafrika hoffen. Nach zwei Monaten
vergeblichen Wartens machen sie sich im tiefsten Winter zu Fuß auf den Weg nach Madrid. Dort gelingt es
Humboldt, zum spanischen König vorzudringen. Mit der Aussicht auf die Erschließung lukrativer
Bodenschätze stellt Karl IV. von Spanien Humboldt und seinem »Sekretär« Bonpland Pässe und einen
Freibrief aus, der ihnen ungehinderten Zugang zu den spanischen Kolonien und die Unterstützung der
Behörden sichert.
Die Reise nach Amerika 1799 bis 1804
Am 5. Juni 1799 brechen Humboldt und sein Gefährte Bonpland mit der Pizarro von La Coruña aus in die Neue
Welt auf. Sie bereisen das Gebiet der heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Kuba und Mexiko.
Die Reise, die einen halben Kontinent für die wissenschaftliche Forschung erschließt, macht Humboldt
in der Fachwelt und beim breiten Publikum berühmt. Es ist die erste Reise dieser Zeit, die aus rein
wissenschaftlichen Gründen unternommen wurde. Humboldt und Bonpland sammeln und exportierten mehr als
60.000 Pflanzen, von denen rund 6.300 unbekannt waren.
Erste Reiseetappe ist Teneriffa, wo sie den Vulkan Teide besteigen. Nach einer Überfahrt von 41 Tagen gehen
sie, nachdem auf dem Schiff der Typhus ausgebrochen war, in Cumaná von Bord.
1800 Auf dem Flußgebiet des Orinoco legen die Reisenden in 75 Tagen 2000 Kilometer zurück. Humboldt
gelingt die geographische Ortsbestimmung des Casiquiare, der umstrittenen Gabelteilung des Orinoco. Er
registriert die Abnahme der magnetischen Feldstärke vom Pol zum Äquator und mißt die
Temperaturen des später nach ihm benannten Humboldtstroms. Daneben erforscht er die Sprachen, Kultur und
Kunst der Indianer.
1801 reisen Bonpland und Humboldt nach Cuba, von dort aus nach Cartagena und auf dem Rio Magdalena nach Honda.
In Bogotá empfängt sie der berümte Botaniker José Celestino Mutis. In Quito und Ecuador (1802)
führt Humboldt genaue Ortsbestimmungen und Höhenmessungen durch, so auch auf dem Chimborazo, den er
bis auf 5759 Meter Höhe (rund 400 Meter fehlten zum Gipfel) erklimmt. Dies trägt ihm den
Höhenrekord im Bergsteigen ein.
Von Callao aus segeln Humboldt und Bonpland nach Guayaquil und von dort weiter nach Acapulco (Neu-Spanien).
In Mexiko untersuchen sie den Vulkan Jorullo. Die Rückreise führt 1804 von Veracruz über Havanna
nach Philadelphia. Als persönlicher Gast des Präsidenten Thomas Jefferson hält Humboldt sich
drei Wochen in den Vereinigten Staaten auf.
Pariser Jahre 1804 bis 1827
Am 3. August 1804 treffen Humboldt und Bonpland, zusammen mit vierzig Kisten ihrer wissenschaftlichen Ausbeute,
in Bordeaux ein. In Paris wird Alexander von Humboldt wie ein heimkehrender Held gefeiert. Von nun an lebt
Humboldt, dem das provinzielle Berlin verhaßt ist, vorwiegend in Paris und konzentriert sich auf die
wissenschaftliche Auswertung der Reise. Seine Teilnahme an der politischen Mission des Prinzen Wilhelm, die
Napoelon zu einer Milderung der Preußen auferlegten Zahlungsverpflichtungen bewegen sollte, nutzt
Humboldt im Jahr 1807, um ganz nach Paris überzusiedeln.
Im selben Jahr werden Humboldts Ideen zu einer Geographie der Pflanzen veröffentlicht, deren deutsche
Ausgabe er Goethe widmet; im Jahr darauf die – in Deutsch geschriebenen - Ansichten der Natur ("mein
Lieblingsbuch" AvH). In Verbindung mit seinem monumentalen 36bändigen Werk über die amerikanische
Reise, Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent, erscheinen zwischen 1810 und 1813 in
französischer Sprache seine Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas
(Vues des Cordilléres et Monumens des Peuples Indigènes de l’Amérique).
Berlin und der »Kosmos« 1827 bis 1859
Die Forschungsreisen und die Publikation seiner aufwendig gestalteten Reisewerke haben Humboldts
Privatvermögen verschlungen. Er ist jetzt auf die finanzielle Unterstützung Preußens angewiesen.
Im Mai 1827 kehrt er auf Drängen Friedrich Wilhelms III. als dessen Kammerherr nach Berlin zurück.
An der Universität und in der Singakademie hält er im darauffolgenden Winter seine Kosmos-Vorlesungen,
die begeisterten Zulauf aus allen Bevölkerungsschichten finden. Auf Anregung des Verlegers Cotta beginnt
er 1834 mit der schriftlichen Niederlegung jenes Werkes, das ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigen
sollte: der Kosmos.
Von April bis Dezember 1829 unternimmt Humboldt seine russisch-sibirische Forschungsreise. Sie führt ihn
in Begleitung des Mineralogen Gustav Rose bis zur chinesischen Grenze. Der 60jährige Asienreisende legt
mit seinen Begleitern in neun Monaten mit Hilfe von 12 244 Pferden rund 15 000 Kilometer zurück (»mehr als
die sichtbare Hälfte des Mondes«). Vom Petersburger Hof und den Gelehrten wird er begeistert gefeiert, beim
Zaren verwendet er sich erfolgreich für polnische und andere politische Verbannte. Als Ergebnis seiner
Reise, von der er u.a. den ersten Diamanten außerhalb der Tropen zurückbringt, erscheint in den
Jahren 1843 und 1844 sein Rußland-Werk Asie Centrale.
Am 8. April 1835 stirbt Humboldts Bruder Wilhelm an einer Lungenentzündung. "Ich glaubte nicht,
daß meine alten Augen so viel Tränen hätten", schreibt Alexander an Varnhagen von Ense.
In den Folgejahren übernimmt Humboldt mehrfach diplomatische Missionen in Paris und begleitet den
König auf Reisen. Obwohl er Republikaner ist, hält er enge Kontakte zu den Repräsentanten und
Institutionen des preußischen Staates. In seiner Rolle als »Hofdemokrat« gelangt er als politischer
Stratege zu großem Einfluß: 1842 protestiert Humboldt beim preußischen Minister Anton Graf
von Stolberg-Wernigerode gegen das beabsichtigte diskriminierende "Judengesetz". Im selben Jahr wird
er zum ersten Kanzler der von Friedrich Wilhelm IV. neu gestifteten Friedensklasse des Ordres Pour le mérite
ernannt. Als im März 1848 die Pariser Unruhen auf Berlin übergreifen, eilt Humboldt in das Berliner
Schloß, um vermittelnd auf König Friedrich Wilhelm IV. einzuwirken. Auf der Beisetzung der
Märzgefallenen im Berliner Friedrichshain folgt er im Trauerzug den Särgen.
Zu den engsten Freunden der Berliner Zeit gehört der Publizist Karl August Varnhagen von Ense, der als
einer der schärften Kritiker des reaktionären preußischen Staates gilt. Varnhagen von Ense ist
es auch, der Humboldts Abfassung des Kosmos begleitet und ihm mit stilistischen und literarischen
Ratschlägen zur Seite steht. Die Publikation der ersten Bände des Kosmos in den Jahren 1845, 1847,
1850 und 1858 gerät zur verlegerischen Sensation. Vom Erstverkaufstag des zweiten Bandes berichtet der
Verleger Georg von Cotta: In den Buchhandlungen »wurden Schlachten geschlagen, um in den Besitz des Werkes zu
kommen«. Von der ersten Auflage des Kosmos werden insgesamt mehr als 80.000 Exemplare verkauft.
Am 6. Mai 1859 stirbt Alexander von Humboldt in seiner Wohnung in der Oranienburger Straße in Berlin.
Um Humboldt die letzte Ehre zu erweisen, wird für den 10. Mai ein Staatsbegräbnis im Berliner Dom
angeordnet. An der Spitze des Sarges marschieren vier königliche Kammerherren, dahinter der Leichenwagen,
von sechs Pferden gezogen. Im Gefolge die Träger des Ordens Pour le Mérite, die Staatsminister, das
diplomatische Corps, 600 Studenten, die Mitglieder beider Parlamente, die Mitglieder der Akademie der
Wissenschaft und der Akademie der Künste, die Professoren und Lehrer der Universität und der Berliner
Schulen, die Beamten und Gemeindevertreter. Der Klerus allerdings hielt sich fern: Nur der obligatorische
offizielle Geistliche ist anwesend. Am 11. Mai wird Alexander von Humboldt im Familiengrab in Tegel beigesetzt.
Seine Besitztümer, darunter die Bibliothek mit 11.164 Bänden, hatte er Johann Seifert vermacht, der
über dreißig Jahre sein Diener und Vertrauter war.
Quellen: Humboldt-Portal, Eichborn-Verlag
CUBA LIBRE 3-2009