Wenn man mit den P1 oder P7 Metrobussen des eit einiger Zeit in Havana wieder funktionierenden Nahverkehrs
sich Lawton/Luyanó im Municipio "10 de Octubre" nähert, bemerkt man bald, dass die
dort lebende Bevölkerung nicht unbedingt auf Rosen gebettet ist. Duque Estable, in den 70er Jahren
ein Star des cubanischen Boxsports, der viele nationale Meisterschaften gewann und Gold bei den
Panamerikanischen Spielen und der Kategorie 75 kg gewann, begrüßt einen am Eingang des
Viertels. Er ist jetzt Chef des lokalen "organopónicos", das sind Gebiete urbaner
Landwirtschaft, die ihre Produkte direkt an die Kunden verkaufen. Ansonsten ist aber zunächst nichts
Auffälliges festzustellen. Wenn man die Hauptstrasse entlang geht, fallen dem Besucher dann die
Wandmalereien auf, die sich über die gesamte Mauer hinziehen, die auf der einen Seite die Strasse
begrenzt.
Als wir da waren, versuchte sich gerade eine Soli-Brigade aus Puerto Rico in dieser Kunst. Schon zuhause
hatten sie detailliert skizziert, welche Art Kunstwerk ihnen vorschwebte. Die Künstler und ihnen
gaben die Umrisse vor, die weniger künstlerisch Begabten, aber auch cubanische Helfer pinselten die
nicht so komplexen Teile. Die Gruppe hatte sich als Motiv die "Fünf" ausgesucht. Es ging
ihnen aber nicht um die getreue Wiedergabe ihrer Gesichter, sondern jedem hatten sie ein Symbol
zugeordnet, das sich aus deren Leben und deren Vorlieben ergab.
Ein paar Tage später konnte man dann die offizielle Einweihung des Mauerstücks im Fernsehen
bewundern. Nun sind ein paar bemalte Mauern ja nicht wirklich etwas Besonderes, aber ein völlig
bemalter Stadtteil schon eher. Wunderbar gestaltete Malereien zieren die Hausfassaden, Einfahrten und die
kleinen und großen Mauern dieses "Barrios". Dazwischen immer wieder Denkmäler –
Skulpturen z.B. die von Bolivar, die auf kleinen Plätzen aufgestellt sind. Zur Enthüllung dieser
Statue kam sogar der venezolanische Botschafter. Das ganze Viertel scheint ein einziges Kunstwerk. Uns
interessierte natürlich, wie es dazu gekommen ist, dass in der Peripherie von Havanna Leute ihre
Häuser bemalen lassen und in alle Ecken eine Skulptur stellen.
Begonnen hat das alles am 28. Januar 2001. Damals initiierte man in der Grundschule "Nguyen Van
Troi" eine Malwerkstatt für die Kinder. Das geschah aus dem Bedürfnis heraus, etwas
für die Gemeinde zu tun. Gründer und bis zum heutigen Tag Hauptkoordinator des Projektes ist der
Künstler Manuel Diaz Baldrich. Er und sein frühen Mitstreiter sahen sich dem ernsten Problem
gegenüber, dass ihnen kein Raum zur Verfügung stand. So machte man aus der Not eine Tugend und
begann damit, draußen auf der Strasse zu malen. Die Bewohner wurden angehalten mitzumachen. Sie
sollten sich mit dem Projekt und der Gemeinde identifizieren und diese Identifikation sollte über das
neue schöne Ambiente erreicht werden. Die Gründungsmitglieder des Projekts waren alle
Künstler, meistens Maler; deswegen hat es auch als Schwerpunkt die bildenden Künste. Man
könnte sich aber genauso vorstellen, wenn die Initiative von Dichtern oder Schriftstellern ausginge.
Inzwischen sind "Muraleando" ein fester Bestandteil der Gemeindearbeit und auch als
Kulturprojekt in der "Casa de la Cultura Comunitaria" in Vedado eingeschrieben. Trotzdem bleibt
die Finanzierung weiterhin ein Problem, weil die Gründer schnell sahen, dass dies alles nicht aus
eigener Tasche bezahlt werden kann. Alle Künstler haben sich zwar bereit erklärt, einen
Prozentsatz jedes verkauften Bildes in den Fond des Projekts einzuzahlen, aber das reicht nicht aus. Das
Material ist teuer und gute Projekte haben die Angewohnheit immer weiter zu wachsen. Inzwischen gibt es
Werkstätten für Malerei, Pappmaché, Tanz, Theater, Musik, HipHop.
Ziel ist es, die Lebensqualität des ganzen Viertels zu verbessern und das Maß an Kultur zu
erhöhen, Dadurch erhofft man sich eine insgesamt gesündere Gemeinschaft.
Die Leute in diesem "Barrio" sind arm und eigentlich gut damit beschäftigt, ihr Leben
organisiert zu bekommen. Unter solchen Umständen ist es nicht ganz einfach, die Menschen für
Höheres zu gewinnen. So haben die Ecken und ihre Denkmäler eine ganz eigene Funktion.
Früher waren es einmal Müllabladeplätze. Nachdem man den Müll beseitigt hatte, war die
Gefahr einer zukünftigen wilden Müllkippe nicht gebannt. Da kam man auf die glorreiche Idee, den
Platz mit Pflanzen dekorativ zu gestalten und in die Mitte eine Skulptur zu stellen. Damit ist die
Hemmschwelle, an einem solchen Ort Müll abladen zu wollen, beträchtlich erhöht worden.
Trotzdem sind die Leute so von ihren Alltagsproblemen aufgefressen, dass es schwierig ist, die Orte
dauerhaft in Ordnung zu halten. Immer wieder müssen die Projektmitglieder zu Gemeinschaftsarbeiten
aufrufen.
Die Mitglieder des Vorstands, besteht aus einem Hauptkoordinator und vier Vizekoordinatoren, sind jeweils
für einen der Bereich zuständig: Werkstätten, Finanzen, Bauarbeiten. Dazu gibt es noch
weitere Vorstandsmitglieder.
Im Jahre 2007 wurde das Projekt international. "Muraleando 2007" bzw. 2008 etc. ist ein Event,
das in jedem Jahr in den letzten beiden Aprilwochen stattfindet. Dann sind Besucher aus anderen
Ländern in Lawton/Luyanó, um ihre Wandmalerei, Keramik oder irgendeine andere Form von Kultur
zu präsentieren.
Bis jetzt sind 2.500 Menschen in dieses Gemeindeprojekt involviert, aber sie sind nicht alle in der
Gemeinde ansässig. Das Interesse geht schon über die Gemeindegrenzen hinaus.
Insgesamt haben bereits 6.000 Personen "Muraleando" besucht, aus 39 Ländern der Erde und
natürlich auch aus Cuba.
Renate Fausten
CUBA LIBRE 2-2009