Interview mit Georgina Alfonso González, stellvertretende Leiterin des Philosophischen Instituts der Universität von Havanna

Welches sind die Schwerpunkte deiner Arbeit am philosophischen Institut?

Themen meiner Arbeit sind die sozialen, alternativen, emanzipatorischen Bewegungen in Lateinamerika. Dabei wenden wir insofern neue Methoden der Partizipation an, indem die sozialen Protagonisten am Studium des emanzipatorischen Prozesses, von dem sie selbst ein Teil sind, beteiligt sind. Das ist neu, dass die sozialen Akteure selbst ihren eigenen Prozess studieren. Die Erfahrungen der sozialen Bewegungen werden dann in die Gemeindeprojekte eingebracht.

Damit erübrigt sich die Frage, warum Cuba eine Professorin der Philosophie zu einer so politischen Veranstaltung wie der Rosa Luxemburg Konferenz schickt.

Die Philosophie in Lateinamerika war und ist sehr politisch. Es gibt zwar auch die akademische Philosophie, aber es dominierte immer die des sozialkritischen Denkens. Das ergab sich aus unserer Geschichte aus der und die konkrete Fragestellung erwuchs, ob wir menschliche Wesen oder Wilde sind.
Früher war die Philosophie in Lateinamerika oft eine Kopie europäischen Denkens. Trotzdem unterstützte man hier in Cuba bereits vor der Revolution Ideen, auch wenn später einige dieser Intellektuellen das Land verließen.

Wie bist Du zur Philosophie gekommen?

Ich komme aus einer Familie, in der ein Elternteil Sozialwissenschaftler und das andere Historiker ist. Ich habe mich zunächst mehr für Geschichte interessiert aber schließlich faszinierte mich das universelle Denken. Am meisten genieße ich es aber, wenn ich lehren darf.

Was bedeutet es für dich an der Rosa Luxemburg Konferenz teilzunehmen?

Ich war sehr überrascht darüber, dass ich ausgewählt wurde, um an dieser wichtigen Konferenz teilzunehmen Aber Rosa Luxemburg hat mich schon immer beeindruckt. Sie war eine mutige und sensible Frau, die ich seht bewundere. Ich habe nicht nur ihre Schriften gelesen, sondern auch das, was andere Frauen über sie geschrieben haben. Obwohl ich noch nie in Deutschland war, habe ich doch das Gefühl, dieses Land schon zu kennen. Zum Beispiel gibt Paul Lafargue ein interessantes Bild von den Deutschen.
Ich habe natürlich alle klassischen deutschen Philosophen gelesen und lese auch gerne deutsche Poesie.

50 Jahre Revolution – welche Bedeutung hat dieses Ereignis für dich?

Die cubanische Revolution eröffnete die 60er Jahre, die überall eine Zeit des Aufbruchs und der Träume waren, nicht nur in Cuba, sondern auch in Europa, den USA und ganz Lateinamerika. Cuba hat gezeigt, dass es möglich ist, diese Träume zu verwirklichen.

Die Revolution hat die Lage des Volkes hin zu Emanzipation, Würde, sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Solidarität verändert. Die ganze Epoche hindurch hat aber Cuba die Prinzipien der Menschheit, die für ihre Recht kämpft, aufrechterhalten. Damit hat es die Möglichkeit geschaffen, sich selbst zu verwirklichen, aber auch seine Verpflichtungen gegenüber anderen Völkern erfüllt.

In den 90er Jahren glaubte jeder, das Ende des Sozialismus sein gekommen und die Idee des Sozialismus hätte sich in Luft aufgelöst. Cuba aber hat trotz allem nicht aufgegeben und wurde dabei von einigen anderen begleitet, wie z.B. vom Subcomandante Marcos, der sagte: Wir haben nicht verloren, wir haben nur nicht gewonnen.

Wie hat die sogenannte "Batalla des las Ideas" deine Arbeit beeinflusst. Hat sich etwas verändert?

Die "Batalla de las Ideas" geht auf eine Idee Fidels zurück und beruht auf einem philosophischen Konzept, das sich an den Einzelnen, aber auch an die Menschheit insgesamt richtet. Es enthält die Botschaft, dass wir, wenn wir unser Denken nicht ändern, als menschliche Spezies von der Erdoberfläche verschwinden. Die uns vom Kapitalismus auferlegten Konzepte beruhen auf einem elitären Herrschaftsdenken, das andere ausschließt. Sie sich desorganisiert, verachten die Natur und haben nur den Zweck, diese Realität aufrechtzuerhalten. Wenn man die Realität verändern will, muss man die Konzepte verändern.

Welches sind die größten Herausforderungen der Revolution in den nächsten 50 Jahre?

Zuerst kommt es darauf an, dass die Jugend das Werk der Revolution weiterführt. Die heutige Jugend ist in der Sonderperiode aufgewachsen. Sie hat ein belagertes Land erlebt, ein Land mit wirtschaftlichen Krisen, Hurrikanen – das alles gehört zu dieser jungen Generation. Sie muss jetzt die Aufgabe übernehmen, den cubanischen Sozialismus in einem globalen Kontext zu verwirklichen. Cuba muss innerhalb des globalen kapitalistischen Marktes mit seinen transnationalen Konzernen existieren, ohne dabei die emanzipatorischen Prinzipien seiner Gesellschaft aufzugeben.

Eine weitere Herausforderung betrifft das Thema der Emanzipation des Volkes, die darin besteht, dass es sich neuen Raum für die Partizipation schafft. Es muss sich neue Wege der Mitsprache eröffnen, die schon einmal bestanden haben, deren Weiterentwicklung aber unter den schwierigen Bedingungen der Blockade behindert wurde. Es geht also darum, diesen Raum für Partizipation bei der Entscheidungsfindung und bei der Kontrolle über die Ressourcen zurückzugewinnen.

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CUBA LIBRE 2-2009