Interview mit Richard Klugh, einem der Anwälte der fünf Kubaner
Die Petition an den Supreme Court ist zum 30. Januar fällig

Richard Klugh


Richard Klugh, der ehemalige stellvertretende Vorstandsvorsitzende für Berufungsanträge in der Bundeskanzlei für Strafverteidigung in Miami, gehörte seit der Verhaftung der Cuban Five zum Verteidigerteam. Gloria La Riva vom National Committee to Free the Cuban Five führte das Interview




Können Sie uns bitte einen Rückblick auf das Urteil des Drei-Richter-Gremiums vom 11. Bezirks-Berufungsgericht vom 4. Juni dieses Jahres geben?

Das Gericht entschied sich in einer 2:1 Entscheidung, die Strafurteile in dem Fall zu bestätigen. Das am signifikantesten strittige Strafurteil ist das für Gerardo Hernández wegen Komplizenschaft an dem Abschuss der Flugzeuge der Brothers to the Rescue. Bei diesem Strafurteil war das Gericht deutlich gespalten. Es gab in dieser Angelegenheit drei verschiedene Urteilsbegründungen von drei verschiedenen Richtern. Eine der RichterInnen (Bezirksrichterin Phyllis Kravitch) dachte, dass die Beweislage insgesamt und total fehlerhaft sei, dass jeder Beweis dafür fehle, dass Gerardo Hernández an einer Verschwörung teilgenommen habe.

Die zweite Urteilsbegründung (von Bezirksrichter Stanley Birch) lief darauf hinaus, dass die Beweise sehr begrenzt seien, aber in Anbetracht der Auflagen, nach denen das Gericht Strafverurteilungen überprüft, sagte der Richter, er habe keine Alternative als die Verurteilung zu bestätigen.

Und die dritte Urteilsbegründung (von Bezirksrichter Willam Pryor) befand, nach der Auslegung seitens der Regierung von dem, was Gerardo Hernández bezüglich des Abschussrisikos geglaubt haben könnte, wenn die Brothers to the Rescue damit fortführen, die cubanische nationale Souveränität zu verletzen, sei der niedrige Grenzwert zur Vorlage ausreichender Beweise nach dem Verschwörungsgesetz erreicht worden.

Die übrigen Strafurteile wurden aufgrund dieser Regel für Urteilsüberprüfungen auch wieder bestätigt, wonach es dem Gericht genügt, wenn irgend ein Blick auf die Beweislage zugunsten der Regierung ausfällt, zu befinden, dass in diesem Kontext von Verschwörung ausreichend Beweise vorliegen. Daher befand das Gericht, obwohl keine Beweise für irgend eine Spionage in den Jahren, während die Fünf hier waren, vorlagen, dass das Gericht eine Verurteilung wegen Verschwörung, Spionage begehen zu wollen, noch aufrecht erhalten könne.

Das Gericht befand auch, dass es keinen Teil dieser Entscheidung des En banc (Gesamtgremiums,, Anm. d. Ü,) neu überdenken könne. Das Gericht beschloss, dass es das signifikante und fortgesetzte Fehlverhalten des Staatsanwaltschaft, das die Verteidigung vor dem Gesamtgremium geltend gemacht hatte, nicht überprüfen könne.

Abgesehen davon befand das Gericht auch, dass die auferlegten Akteneinsichtsbeschränkungen – die verhindern, dass die Verteidigung so viel erführe, wie sie brauchte, um sich auf das Gerichtsverfahren vorzubereiten – durch ein bundesstaatliches Gesetz genehmigt sei. Wir glauben nicht, dass das bundesstaatliche Gesetz solche Beschränkungen genehmigt.

Ein anderes zusätzliches Urteil von Interesse ist, dass das Gericht befand, obwohl die Regierung absichtlich Mitglieder der Jury aufgrund von deren Rassenzugehörigkeit eingeschüchtert haben mag, trotz des Präzedenzfalles, könne das Gericht so eine diskriminierende Handlung seitens der Regierung nicht überprüfen, solange die Regierung einigen Mitgliedern der diskriminierten Rasse erlaubt habe, in der Jury zu sitzen. Wir haben einen deutlichen Widerspruch gegen diesen Teil des Gerichtsurteils eingelegt.

Hinsichtlich der Verhängung von Strafen revidierte das Gericht die Strafen von Dreien der Fünf. Es bestätigte das Strafmaß für Gerardo Hernández und das von René González. Das Gericht entschied, dass das Bezirksgericht keinerlei Beschränkungen für die Auferlegung des Strafmaßes für René habe und daher könne es das Strafmaß nicht revidieren, obwohl die Richterin ihm die Höchststrafe gab.

Das Appellationsgericht revidierte die lebenslänglichen Strafen für Ramón Labañino und Antonio Guerrero wegen Verschwörung, Spionage begehen zu wollen, weil der Gerichtshof eine zulässig hohe Richtlinie in Anspruch nahm, wobei er versäumt hatte wahrzunehmen, dass es keinen Schaden an der nationalen Sicherheit gegeben hatte. Es wurde kein geheimdienstlich relevantes Material beschlagnahmt. Schließlich befand das Appellationsgericht, dass der Gerichtshof sich bei dem Strafmaß für Fernando González geirrt habe, als er ihm eine Hauptrolle unterstellt habe, ohne dass dafür Beweise vorlagen.

Was wird der nächste Schritt im Berufungsprozess sein?

Der Fall ist nun beim U.S. Supreme Court eingereicht. Der Supreme Court hat uns einen Zeitaufschub für die Einreichung unserer Petition zur writ of certiorary (Aktenanforderung, Anm. d. Ü.) *) gewährt. Sie ist nun am 30. Januar 2009 fällig. Die Regierung wird zwei oder drei Monate Zeit für die Beantwortung haben. Dann wird uns ein kurzer Zeitraum zur Verfügung stehen, darauf zu antworten. Und das Gericht könnte bis Mai 2009 entscheiden, ob es den Fall oder irgend einen Teilaspekt davon anhören will.

Wir sind sehr froh, den Beistand von Rechtsanwalt Thomas Goldstein von der Akin Gump Law-Gesellschaft zu haben, der einer der aktivsten und angesehensten Experten für Petitionen beim Supreme Court ist. Er hat sich bereit erklärt, sich an dem, wie wir glauben, sehr erstreitenswerten und zwingenden Fall zu beteiligen. Er vertrat in dieser Woche einen Fall vor dem Supreme Court der Vereinigten Staaten und einen anderen im November. Er ist in diesem Halbjahr für zusätzliche Supreme-Court-Fälle registriert.

Wie lauten die Hauptanliegen, die die Verteidigung zur Berufung vortragen will?

Alle Verurteilungen sollten aufgrund der Nichterfüllung einen Gerichtsortswechsel zu gewähren, des strafrechtlichen Fehlverhaltens und der unangemessenen und diskriminierenden Auswahl der Jury aufgehoben werden. Wir werden darlegen, dass Gerardo Hernández‘ Verurteilung wegen Verschwörung, Mord begehen zu wollen, aufgehoben werden sollte und dass seine lebenslängliche Strafe für Spionageverschwörung an die untere Instanz hätte zurück verwiesen werden sollen.

Der Gerichtsort ist eines der grundlegensten Anliegen, das nach dem amerikanischen Gesetz überhaupt oder nach jedem anderen Rechtssystem existiert. Gleichgültig, wie ein System unterteilt ist, wenn man einen voreingenommenen Richter oder eine voreingenommene Jury hat, zählt alles andere nicht. Wenn man einen Richter oder eine Jury hat, der oder die voraussichtlich von ortsabhängigen Befindlichkeiten und durch Druck beeinflusst sein könnte, kommt es zu einer Mob-Entscheidung – fern von jeder Gerechtigkeit.

Nach unserem Empfinden ist dieses Anliegen von so fundamentaler Bedeutung für eine faire Handhabung des Rechtssystems, dass es vom Gericht mit Interesse behandelt werden wird. Wir haben dasselbe Gefühl bei den noch verbleibenden Anliegen, dem der Auswahl der Jury, der Verurteilung von Gerardo Hernández für etwas, womit er eindeutig nichts zu tun hatte, sowie auch das Versäumnis, seine lebenslängliche Strafe zu überprüfen.

Hinsichtlich der fälschlichen Verurteilung wegen Mordverschwörung gegen Gerardo erinnere ich mich an drei Anhörungen, bei denen wir anwesend waren, zuerst in Miami, und dann die zweite und dritte Anhörung in Atlanta. In den drei Anhörungen machten Stanley Birch, der Vorsitzende des Gremiums sowie auch Phyllis Kravitch Anmerkungen, die die Behauptung der Staatsanwaltschaft über Verschwörung seitens Gerardos, anzweifelten. Dennoch stimmte Birch in der letzten Urteilsbegründung vom 4. Juni mit William Pryor und machte damit das Abstimmungsergebnis 2:1. Was war passiert.

Bei dem ursprünglichen Drei-Richter-Gremium hatten wir das Gefühl, dass alle Richter die Unzulänglichkeit der Beweislage begriffen hätten. Bei der mündlichen Anhörung vor dem neuen Gremium hatten wir wieder das Gefühl, dass die Mehrheit begriffen hätte, dass es keinen Sinn mache, Gerardo für den Abschuss verantwortlich zu machen. Obwohl die Mehrheit des Gremiums der Ansicht gewesen sein mag, dass Gerardo in diesem Anklagepunkt unschuldig sei, war schließlich die Mehrheit überzeugt, dass nach vorausgehender Interpretation des Bundesrechtes, die Vorgaben des Elften Gerichtshofes für die Bestätigung von Urteilen eine so geringe Hürde für die von der Regierung erhobenen anklage wegen Verschwörung darstellen, dass er (der Gerichtshof) das Urteil nicht umstoßen könne.

Wir haben vor, diese Haltung vor dem Supreme Court anzufechten. Die Mehrheit des Gremiums war ebenso davon überzeugt, dass eine Theorie, die die Staatsanwaltschaft vor Gericht nicht verfolgen durfte, trotzdem in der Berufung als Weg angesehen werden könne, das Urteil zu bestätigen. Wir glauben, dass auch das ein fundamentaler Irrtum ist, und somit mitten im Verfahren die Regeln geändert werden, was nach unserer Meinung nicht in Einklang mit dem steht, was das Gesetz verlangt.

Und was war das für eine Theorie, die die Staatsanwaltschaft benutzte?

Die Theorie der Staatsanwaltschaft, mit der das Urteil bestätigt wurde ist, dass Gerardo der Verschwörung für schuldig befunden werden kann, ein Verbrechen nach (US-)amerikanischer Rechtssprechung begehen zu wollen, auch wenn er lediglich das Recht eines Landes, sich gegen eine feindselige und illegale Verletzung seiner Souveränität zu verteidigen, unterstützt hatte. Diese Theorie, die vom Bezirksgericht komplett zurückgewiesen wurde, weil sie den Rahmen des Strafrechts sprenge, wurde in der letzten Entscheidung des Gremiums wiederbelebt. Das brachte Gerardo in eine prozesstechnisch benachteiligte Lage. Wir glauben, dass diese Theorie nicht einmal der Regierung zur Verfügung stehen sollte. Aber die zweiköpfige Mehrheit sah das im Juni anders.

Sie sprechen über die Prüfungsmaßstäbe des Elften Gerichtshofs.

Im Zusammenhang mit der Anklage "Verschwörung, Mord begehen zu wollen" glauben wir, dass die Maßstäbe für die Beweisführung weit höher anzulegen sind, als es bei der Berufung geschah. Das ist besonders wahr, wenn wir es mit einer Aktion der Regierung zu tun haben – dem Abschuss der Flugzeuge der "Brothers to the Rescue" (Brüder zur Rettung) – was prinzipielle gesetzliche und souveräne Rechtfertigung in historischer Beziehung besitzt, und wo Gerardo keine Grundlage hatte, vorher zu wissen, was seine vorgesetzten Offiziere oder vorgesetzten Regierungsbeamten letztendlich tun würden.
Gerardo dafür haftbar zu machen, verstößt auf viele Weisen gegen ein rechtsstaatliches Verfahren, und gemeinsam mit dem vorurteilsbehafteten Gerichtshof rechtfertigt das eine Aufhebung (des Urteils).
Im Gegensatz zu der abweichenden Ansicht eines Mitglieds der Mehrheit, wiederholt der Richter zum dritten Mal, dass er glaube, die Jury sei wegen des Gerichtsortes und schlechter Anleitung befangen gewesen. Die Sichtweise des entscheidenden Richters war eigentlich "wir sollten dieser Jury (von Miami) nicht vertrauen, aber wenn ich gezwungen bin, der vorherigen Jury des Elften Gerichtshofs zu vertrauen, dann kann ich unter den erforderlichen Anforderungen die Entscheidung nicht umstoßen".
Unsere Hoffnung ist, dass wenn der Fall vom Supreme Court angenommen wird, diese Frage zugunsten von Gerardo geklärt werden kann. (...)

Wann wird die Neufestlegung der Stafmaße für Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Fernando González stattfinden?

Das ist noch nicht entschieden. Es ist möglich, dass es passiert, bevor der Supreme Court entscheidet, aber wahrscheinlicher ist nachher. Es hängt davon ab, wie die Verfahren voran kommen, sowohl im Supreme Court als auch anderswo.

Das geht jetzt schon über zehn Jahre lang, und die Mühlen der Justiz mahlen sehr langsam. Viele Verzögerungen basieren auf den Formalitäten, die sie beschrieben haben.

Das ist sicher hart, Es ist hart zu warten, besonders wenn man uns Recht gibt, was wir, wie wir glauben, auch haben. Es ist eine lange Zeit.

Wass kann juristisch passieren,wenn der Supreme Court den "Writ of Certioari" abweist?

Die Angeklagten haben dann immer noch juristische Optionen, einschließlich einer Prozedur, die Urteile und Strafen in dem Bezirksgericht zu annullieren. Und das muss innerhalb eines Jahres passieren, nach dem der Supreme Court entschieden hat, es benötige einen Vorgang nach dem "Habeas Corpus-Gesetz" (Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit) genannt "motion to vacate judgment/conviction" (Antrag auf Annullierung). Das unterliegt einer Frist von einem Halben Jahr. Nahezu allen "Habeas"- und Nachverurteilungs.Rechtsstreiten wurden nach einem Bundesgesetz von 1996 Fristen auferlegt. Wir hätten eine Frist von einem Jahr nach Beendigung des Prozesses vor dem Supreme Court, einen ersten Antrag nach "Habeas Corpus" zu stellen. Es gibt nachfolgende Habeas-Rechte, aber der erste Antrag muss innerhalb eines Jahres gestellt werden.

Heißt das, dass jedwede Angelegenheit, jede verbleibende Angelegenheit der dann vorgelegt werden muss?

Das ist richtig.

Inwieweit können das öffentliche Bewusstsein und die Unterstützung der Cuban Five helfen ihre Freiheit zu erlangen?

Die Unterstützung der Fünf ist standhaft und wächst noch. Jeder der sich Zeit nimmt, die Ungebührlichkeiten der Staatsanwaltschaft, die offensichtlich politisch motiviert sind, zu betrachten, kann klar sehen, dass einige Aspekte dieses Falles einfach nach einer Revision schreien. Ich Glaube, dies ist ein Fall, der vom Supreme Court angesprochen werden muss. Das war von Anfang an mein Eindruck. Ich glaube, der Supreme Court könnte ein Zeichen setzen, eine wichtige Vorgabe für die Gerechtigkeit in den Vereinigten Staaten. Das könnte dem Ansehen der USA in der Welt und der Verbesserung bilateraler Beziehungen helfen. (...)

Kürzungen: CL
Deutsche Übersetzung: Basta Ya
Anmerkungen: *) Certioriari ist ein Rechtsterminus (lat. Certioro, ceriorem facio – etwa bestimmen, zulassen, bestätigen), der auf die Prozesslehre von Ulpian zurückgeht und die Prozesshandlungen bezeichnet mit der ein übergeordnetes Gericht (iudex ad quem) sich an ein untergeordnetes Gericht (iudex a quo) wendet, um seine Entscheidung zu überprüfen.
Heute wird der Terminus frei übersetzt mit "sende die Akten", in dem allgemeinen Sinne, dass eine übergeordnete Stelle die Akten bei einer untergeordneten anfordert.
Insbesondere in den USA bezeichnet der Terminus (auch "cert" oder "certworthy") einen Verfahrensschritt als Kombination oder Zulassung eines eingelegten Rechtsmittels und der Kundgabe der Devolutiveffekts nach außen, Bestätigung der Appellationszulassung. Das Rechtsmittelgericht erlässt in diesem Fall ein writ of certiorari. (Wikipedia)


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CUBA LIBRE 1-2009