Was bringt Obama ?

Keiner soll abtun, dass Barack Obamas Wahlsieg für die USA ein historisches Ereignis war. Die Verbreitung von Gefühlen der Überheblichkeit und des Hasses gegenüber Afroamerikanern sowie die clevere Schürung von Angst unter weißen Arbeitern, dass sie etwas von den Privilegien, die sie bei Lohn, Stellung, Wohn- und Bildungsmöglichkeiten genießen durften, an den angeblichen schwarzen Konkurrenten verlieren könnten, war eine Hauptstrategie des Kapitals.

Schon zur Zeit der Sklaverei – von 1619 bis 1865 – verbreitete man bei weißen Arbeitern im Norden Angst, dass unbezahlte Sklaven – oder auch befreite Sklaven mit mageren Löhnen – sie ersetzen könnten. Nach der offiziellen Beendigung der Sklaverei als Folge des Bürgerkrieges (1861 – 1865) benutzte man Varianten der gleichen Strategie mit Erfolg: die neuen reichen Großindustriellen und Finanziers im Norden setzten sich bald in der Republikanischen Partei durch und verbündeten sich mit den früheren Plantagenbesitzern im Süden, die bei der Demokratischen Partei blieben (den Abraham Lincoln, der "Befreier der Sklaven" war ja Republikaner), um gemeinsam jeden Fortschritt im Lande zu bekämpfen.

Auch im 20. Jahrhundert blieb das so. Nur in den 1930er Jahren, als trotz oder wegen der großen Krise Millionen von Arbeitern sich erstmalig organisiert hatten, sehr oft durch die Mitwirkung von Kommunisten und anderen Linken, die den Rassismus bekämpften, wurde es möglich, den eher aufgeschlossenen und volksverbundenen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt (1933-1945) und den Kongress dazu zu bewegen, groίe Fortschritte einzuführen: Renten- und Arbeitslosenversicherung, die 40Stunden-Woche und vor allem das verbriefte Recht, sich in Gewerkschaften legal zu organisieren. Doch mit dem Kalten Krieg nach 1945, als die wenigen restlichen Linken an der Rand der Gewerkschaftsbewegung gerückt wurden, kamen die alten Bonzentypen wieder nach vorn, und mit ihnen, wenn auch wortreich geleugnet, die alten Spaltungsmethoden.

Nach den besseren 1960er Jahren, ermöglicht durch die Kämpfe der Schwarzen und der Anti-Vietnamkriegsbewegung, ging dann wieder der Trend scharf nach rechts. Ein wichtiger Grund war, dass zur Zeit von Präsident Richard Nixon (1969-1974) die meisten Rassisten im Süden zur Republikanischen Partei überwechselten, die nunmehr beim völligen Verzicht auf noch verbliebene schwarze Wähler, ganz auf Rassismus setzte. Zur Zeit von Präsident Ronald Reagan ( 1981-1989) gelang es den Rechten, viele traditionelle Wähler der Demokratischen Partei, vor allem Arbeiter in den nördlichen Großstädten, ebenfalls für die Republikanische Partei zu gewinnen, wiederum durch immer neue Injektionen des Rassismus gegen Afroamerikaner. Mit den Siegen von George W. Bush 2000 und 2004 – in beiden Fällen gefälscht – schien die Lage auf längere Zeit hoffnungslos. Die Finanziers, die Erdölmagnaten, die Waffenhersteller, vereint mit den religiösen Fundamentalisten, hielten das Land fest in ihren Fäusten, und kürzten immer radikaler die Rechte der meisten Menschen, zumal die Gewerkschaften und die Bewegung der Schwarzen sehr geschwächt worden waren. Die Resultate wurden sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik immer deutlicher und erschreckender. Der Horizont schien äußerst düster.

Doch die Republikaner und ihre Hintermänner, wenn auch kaum von den allzu kompromissbereiten Demokraten behindert, trieben es in ihrer Arroganz wohl zu weit.

Der immer unpopulärere Krieg im Irak, das Katrina-Desaster in New Orleans, und schließlich, verheerend wie ein Waldbrand, die Wirtschaftskrise, machten es möglich, auch uralte Rassenvorurteile von genügend Amerikanern zu überwinden, um einen Afroamerikaner in das Weiße Haus zu schicken. Das war in der Tat ein riesiger Schritt! Wenn auch die Überwindung von Rassenvorurteilen für viele aus reiner Angst vor der katastrophalen Wirtschaftslage und ihren Folgen für sie persönlich erfolgte, stellte sie eine nicht zu unterschätzende Änderung in der USA-Politik dar.

Daraus entstehen aber nicht zwangsläufig die entscheidenden Fragen: Was wird daraus? Das fragen sich zuallererst Millionen von betroffenen oder noch bangenden amerikanischen Arbeitern und Mittelschichtlern. Kann Obama die zerstörerischen Wellen der Wirtschaftskatastrophe aufhalten und zurückdrängen? Wird seine Amtszeit gar eine Ära des Fortschritts einleiten, wie damals die Ära des Präsidenten Roosevelt, mit dem er oft verglichen wird? Schon die ersten wichtigen Monate können zeigen, ob sich die Gezeiten wechseln. Eins scheint klar zu sein: auch mit dem besten Willen wird Obama ohne riesigen Druck von unten, durch die Betroffenen, kaum viel erreichen können. Und, so brilliant er sein mag, erst recht im Vergleich mit seinem Vorgänger – sein guter Wille gegen die Mächtigen der Wirtschaft bleibt vorerst noch nicht bewiesen.

Und international? So schlimm die Krise im Lande ist, was sich natürlich auch sehr auf die Weltwirtschaft auswirkt, die anderen Krisen der Welt, besonders in Westasien, sind weitaus brennender und blutiger. Wird Obama dabei bleiben, US-Truppen aus dem Irak zurückzuziehen? Wie viele davon wird er zurücklassen? Wie viele Militärstützpunkte? Und wie viele mächtige Erdölkonzerne? Will er wie angekündigt nunmehr immer mehr Truppen und Waffen in Afghanistan einsetzen und nach Pakistan schicken? Wie viel Blut wird dabei vergossen?
Und die bange Frage bleibt: wird er die Politik von Bush und allen seinen Vorgängern fortsetzen und Israel finanziell unterstützen, bewaffnen und in allen Massakern wie in Gaza den Rücken stärken? Manche von seinen Äußerungen während der Wahlkampagne deuteten darauf hin, oder waren sie eher nur Versuche, eben die Wahlen zu gewinnen? Für die Welt, was Präsident Barack Obama betrifft, ist das wohl die wichtigste Frage.

Außerdem bleibt noch eine sehr akute Frage. Wie wird Obamas Politik gegenüber Lateinamerika aussehen? Wird er weiterhin die Unterdrückung in Kolumbien, Peru und Teilen von Mittelamerika unterstützen? Wird er wie Bush die Konfrontation mit Venezuela, Bolivien und Ecuador verstärken oder gar auf Umstürze setzen? Wird er das zunehmende Selbstbewußtsein der Länder Süd- und Mittelamerikas als Drohung empfinden und mit allen Mitteln sabotieren? Viele Fragen warten hierbei auf eine Antwort.

Schließlich – last but not least – wie wird seine Cuba-Politik aussehen?

Einerseits hat er sich bereit erklärt, wenn auch ziemlich schüchtern, mit Cuba darüber zu reden. Das ist schon mehr als alle anderen Präsidenten vor ihm. Er versprach, den Florida-Cubanern oder andere in den USA lebenden "unbeschränkte Rechte" zu gewähren, ihre Familien zu besuchen und Geld zu überweisen. Damit würde er als erster den Mut zeigen, sich den schlimmsten der Miami-Gusanos zu widersetzen. Das hängt allerdings nicht unbedingt von seinem guten Willen ab. Obama hat nun inzwischen die Wahlen gewonnen, er hat sogar in Florida gewonnen, und braucht zur Zeit keine große Angst vor den Führern des Miami-Cuba-Kartells zu haben. Er wird sogar bedrängt von vielen Wirtschaftskräften, besonders in der Landwirtschaft, die allzu gern ihre Waren nach Cuba verkaufen möchten, und manche anderen möchten nicht alle Investitionen in dem Nachbarland völlig den Kanadiern, Europäern und anderen überlassen. Diese Sentiments haben sich auch im Kongress verbreitet, der heute nicht mehr so vollstimmig gegen die 90 Meilen entfernte "kommunistische Bedrohung" eingeschüchtert werden kann.

Hinzu kommt, dass sich die USA in ihrer Blockadepolitik weltpolitisch völlig isolieren. Die letzte Abstimmung darüber in der UNO brachte eine totale Blamage, mit nur Palau und Israel auf der Seite der US-Vertretung.

Eine Umfrage der Florida International University im Dezember ergab, dass 55 Prozent der gefragten Cubano-Amerikaner dafür wären die Blockade zu beenden, und sogar 65 Prozent meinten, Washington soll diplomatische Beziehungen mit Havanna wieder aufnehmen. Sogar in Miami macht sich also ein Generationswechsel bemerkbar. All das hilft erklären, warum Obama während der Wahlkampagne zu versprechen wagte, "die Seite umzudrehen und anzufangen, ein neues Kapitel in der Cuba-USA-Politik zu schreiben". Ein ende zur Blockade hat er allerdings nicht versprochen. Das wollte er als Mittel gebrauchen, um "demokratische Reformen" voranzutreiben. Also wieder die alte Leier – die schon einen Krieg gegen den Irak nachträglich zu rechtfertigen benutzt wurde, und für den Iran und vielleicht andere Länder immer parat gehalten wird.

Kann man erwarten, dass ein Präsident der USA, unter dem Ballast von mindestens einem Jahrhundert des Antikommunismus, wo die meisten Medien noch immer bei ihrer irreführenden, unfairen und damit recht effektiven Berichterstattung, über und gegen Cuba bleiben, dass er allem trotzen und mit der Vergangenheit brechen wird? Man darf auch nicht vergessen, dass Cuba, arm wie es ist, gegenüber dem reichsten Land der Welt trotzdem eine gewisse politische Gefahr darstellt. Die USA sind mitten in einer fürchterlichen Wirtschaftskrise, immer mehr Menschen sind von karitativen Lebensmitteltafeln und primitiven Obdachasylen abhängig, wobei besonders die schwarzen und Latino Minderheiten betroffen werden. Manche US-Amerikaner, wenn sie etwa von dem kostenlosen Bildungsweg oder von der ärztlichen Versicherung in Cuba erfahren – wie, recht dramatisch, durch Michael Moores Film "Sicko" - könnten doch überlegen: "Wenn das in einem so armen Land möglich ist. Warum nicht auch hier?"

Für Freunde des kapitalistischen Status quo bleibt Cuba immer potentiell bedrohlich, nie militärisch, sondern durch Exempel. Also besteht Druck auf Obama und seine Regierung, was Cuba betrifft, von allen Seiten.

Welcher Druck wird stärker? Könnte Obama nicht zumindest auf den Vorschlag eingehen, die fünf eingekerkerten Helden in Austausch gegen "Dissidenten" zu befreien? Kann er nicht das Ende der Blockade durchsetzen, oder gar normale diplomatische Beziehungen herstellen? Wie wäre es mit der verlogenen "Radio Martν" Propaganda-Offensive aufzuhören und mit der beinahe offenen Unterstützung von "Dissidenten" und ihren Umsturzplänen?

All das sind Möglichkeiten für Barack Obama. Nur, auch in den Beziehungen zu Cuba werden die Entscheidungen kaum von ihm allein im Oval Office gefaßt. Der Druck von fortschrittlichen US-Amerikanern, auch von Profitsuchenden in der Wirtschaft, von Vernünftigen und von Konkurrenten in EU, in der UNO und in anderen Ländern, wird eine Rolle spielen. Und nicht zuletzt werden die Fortschritte, welche die Cubaner trotz aller Schwierigkeiten selber erreichen können, trotz aller Orkane und noch komplizierteren Schwierigkeiten, können die Entscheidungen beeinflussen. Auf alle Fälle, Cuba kann man einfach nicht ignorieren!

Anders als bei Bush ist nunmehr mit Obama alles möglich. Als Realist darf man die Hoffnung nicht zu hoch schrauben, aber als Optimist auch nicht zu niedrig.

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Victor Großman, 8. Januar 2009

CUBA LIBRE 1-2009