Gespräch mit Deborah Azcuy Carrillo. Über Kuba und die deutsche Presse, über ihre Arbeit
als Diplomatin in Berlin. Und darüber, warum ihr Land keine Frauenquote braucht
Deborah Azcuy Carrillo hat drei Jahre lang als ISekretärin der Botschaft der Republik Kuba in Berlin
das Büro für Presseangelegenheiten geleitet und war Ansprechpartnerin für die Kuba-Solidaritätsgruppen
in Deutschland. Am Montag kehrte sie nach Havanna zurück, um künftig im Außenministerium
zu arbeiten.
Sie sind seit September 2005 I. Sekretär der kubanischen Botschaft in Berlin. Jetzt kehren Sie
vorerst in Ihre Heimat zurück. Mit welchen Gefühlen?
Ein gutes Gefühl gibt mir das Ansehen, das Kuba in den letzten drei Jahren weltpolitisch hinzugewonnen
hat. Kuba wurde zum Beispiel als Mitglied des Rates für Menschenrechte der Vereinten Nationen
gewählt – ebenso für den Vorsitz der Organisation der blockfreien Staaten. Seit 2005 hat auch
die Resolution zur Aufhebung der Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade der USA gegen Kuba bei den
Vereinten Nationen weitere Unterstützer gewonnen. Diese Resolution wird von Kuba seit 17 Jahren
alljährlich zur Abstimmung gestellt – und außer den USA und Israel stimmte zuletzt nur noch die
Inselgruppe Palau dagegen. Das zeigt, wie sehr sich die USA mit dieser Blockadepolitik selbst isolieren –
und daß Kuba seine Isolation durchbrochen hat. Das Ansehen Kubas nimmt zu, trotz gegenteiliger
Bemühungen der US-Regierung. Wir genießen heute mehr Respekt in der internationalen
Staatengemeinschaft als noch vor wenigen Jahren.
Werden auf Kuba selbst nicht ganz andere Dinge für Sie im Vordergrund stehen?
Sicher, wir hatten ja eine Naturkatastrophe, deren Auswirkungen ich von hier aus nur über die
Nachrichten verfolgen konnte. Kuba hat in diesem Jahr die schlimmste Hurrikansaison seit 60 Jahren erlebt.
Ende August den Hurrikan Gustav und Anfang September – also nur acht Tage später – den Hurrikan Ike.
Die Schäden sind erheblich, umgerechnet über acht Milliarden Dollar, über 440.000 Wohnungen
sind beschädigt, davon 60000 vollkommen zerstört.
Das ist keine leichte Situation – aber nachdem wir so viele Jahre der Blockadepolitik überstanden
haben, bin ich zuversichtlich, was den Wiederaufbau betrifft. Ich freue mich auch persönlich darauf,
dabei als ganz normale Kubanerin wieder mit anzupacken. Deshalb kehre ich mit viel Energie und Elan zurück.
Gibt es Orte, von denen Sie befürchten, daß Sie sie wegen der Verwüstungen erst mal
nicht wiedererkennen?
Pinar del Rio zum Beispiel, die westlichste Provinz. Dort gab es erhebliche Schäden, über 160.000
Wohnungen sind ganz oder teilweise zerstört. Das ist natürlich traurig – aber ich habe in den
Nachrichten verfolgen können, wieviel dort jetzt gebaut wird, daß Menschen aus anderen Provinzen
helfen und auch bekannte Persönlichkeiten dorthin fahren, um sich mit den Menschen zu unterhalten und
sie zu unterstützen. Auch die Isla de Juventud – die »Insel der Jugend« – ist zerstört. Das sind
zwei Orte, die ich sehr liebe – und die sehr unter der Hurrikankatastrophe gelitten haben. Da möchte
ich hin, um zu helfen, falls ich delegiert werde.
Wie sind die Arbeitsbrigaden organisiert, die beim Wiederaufbau helfen? Schickt zum Beispiel das
Außenministerium seine Mitarbeiter jeweils im Wechsel für ein paar Wochen dorthin?
Nein, man fährt als Freiwillige oder als Freiwilliger mit den Massenorganisationen, wie zum Beispiel
dem Frauenverband. Und die Freiwilligen kommen aus allen Provinzen. Das zeigt auch, wie viele Menschen
aktiv hinter dem revolutionären Prozeß stehen und welche Bedeutung die Solidarität hat.
Als Leiterin des Büros für Presseangelegenheiten haben Sie Ihr Land in einem nicht gerade
befreundeten Staat repräsentiert. Was haben Sie in dieser Funktion nach außen tragen können
und was war aus Ihrer Sicht in der deutschen Öffentlichkeit schwer vermittelbar?
Mit war es wichtig, mehr Respekt in der Berichterstattung zu erreichen, in der natürlich Platz für
Meinungsunterschiede sein muß – aber eben auch Respekt vor den Konsequenzen, die das kubanische Volk
selbst aus seiner Geschichte gezogen hat, und was es heute trotz eigener Schwierigkeiten an internationaler
Hilfe leistet. Nach dem schweren Erdbeben in Pakistan im Jahr 2005 haben zum Beispiel kubanische Ärzte
dort gearbeitet, was hier weitgehend unbekannt geblieben ist. Über 37500 Kubanerinnen und Kubaner
nehmen als Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger freiwillig an solchen
Auslandseinsätzen in Afrika, Asien und Lateinamerika teil. Insgesamt in über 70 Ländern.
Hinzu kommen Technikerinnen und Techniker, Lehrerinnen und Lehrer – also gut ausgebildete junge Menschen,
die nach der Revolution geboren sind. Das sind Tatsachen, die häufig unterschlagen werden, wenn hier
über Kuba berichtet wird. Nach drei Jahren hat aber meines Erachtens die Zahl der Journalisten
zugenommen, die dafür ein offenes Ohr haben. Ich würde mir allerdings immer noch von vielen
Medien mehr Recherche und weniger Einseitigkeit wünschen. Die Revolution besteht seit fast 50 Jahren
– trotz der beschwerlichen Auswirkungen der Blockade auf den Alltag –, weil die überwiegende Mehrheit
der Kubaner dahinter steht. Anders könnte sie unter diesen Bedingungen gar nicht überleben.
Wonach wurden Sie in den letzten Jahren von deutschen Medienvertretern am häufigsten gefragt?
Am häufigsten gefragt wurde ich nach der Zukunft Kubas – danach, was sein wird, wenn die führenden
Persönlichkeiten der Revolution nicht mehr unter uns sind. Die Revolution wird immer noch viel zu oft
an einer Person festgemacht. Die Befürchtung, daß der kubanische Sozialismus ohne diese
Personen nicht überlebt, kommt nicht nur von unseren Gegnern, sondern auch von Medienvertretern, die
uns durchaus mit Respekt begegnen. Früher war das Fidel Castro – jetzt ist es sein Bruder Raúl Castro.
Die Medien haben, gewollt oder ungewollt, Personenkult betrieben, indem sie es immer so dargestellt haben,
als sei Kuba das Land von Fidel Castro; und jetzt das Land von Raúl Castro. Aber Kuba ist viel mehr.
Daß das sozialistische Kuba besteht, weil das Volk es mehrheitlich so will, wird in Deutschland noch
nicht verstanden. Dazu müßte man sich die Frage stellen: »Warum existiert dieser Staat seit 50
Jahren?« David könnte nicht vor Goliath bestehen, wenn der Wille nicht da wäre.
Wie würden Sie in wenigen Sätzen das Bild beschreiben, das in den deutschen Massenmedien
von Kuba gezeichnet wird?
Es war eine sehr interessante Erfahrung, alltäglich mit diesem Bild konfrontiert zu werden – einem
Bild, das meist nicht sehr positiv ist und oft nicht mit der Realität übereinstimmt. Allerdings
basiert diese Einseitigkeit oft auf Unwissen, deshalb würde ich sie nicht jedem einzelnen Journalisten
vorwerfen. Es gibt positive Ausnahmen, aber die Grundtendenz in der Berichterstattung ist immer noch, Kuba
als Schurkenstaat darzustellen. Wenn man nicht umhin kommt, auch die positiven Aspekte zu erwähnen,
werden sofort die Klischees ausgepackt. Eines dieser Klischees ist bekanntlich, daß es keine
Demokratie gibt – und das trotz unseres aktiven Wahlrechts ab 16.
Gibt es Zeitungen oder Fernsehsender, denen Sie journalistische Fairness gegenüber Kuba
bescheinigen würden, oder sind das außerhalb der linken Presse eher nur einzelne Journalisten
bzw. einzelne Veröffentlichungen?
Ich habe schon aufgeschlossene Journalisten aus Kuba zurückkehren sehen, die dann sagten: »So
böse ist das Land ja gar nicht«. Einige waren sogar begeistert und positiv überrascht, nachdem
sie das hier verbreitete Zerrbild mit der Realität vergleichen konnten. Dieser Austausch ist für
uns wichtig. Er wird aber auch durch die vielen Touristen gefördert, die Kuba besuchen und mit
eigenen Augen sehen, wie es wirklich ist. Manche fliegen öfter dorthin und können so über
Jahre hinweg die Fortschritte verfolgen.
Tun sie das denn auch oder nehmen sie eher nur die schönen Strände wahr?
Immer mehr Touristen entscheiden sich bewußt für Kuba als Reiseziel; aus Interesse an diesem
Land und am revolutionären Prozeß. Aber es gibt natürlich verschiedene Arten von Tourismus
auf Kuba, vor allem der Familientourismus nimmt zu. Es gibt auch Kultur-, Event- und Gesundheitstourismus.
Die Touristen kommen nicht nur wegen der schönen Strände. Die gibt es schließlich auch in
anderen Ländern der Karibik wie etwa der Dominikanischen Republik. Im Unterschied dazu kann man aber
auf Kuba noch andere Beobachtungen machen. Nämlich, wie sich eine Gesellschaft entwickelt, die trotz
aller Probleme ein Maximum an sozialer Sicherheit für alle gewährleistet. Und das wird von
vielen anerkannt. Die Zahl der Freunde Kubas in der BRD steigt.
Sie waren nicht nur Ansprechpartnerin der Botschaft für die Presse, sondern auch für die
Kuba-Solidaritätsgruppen in Deutschland. Haben diese Gruppen in den letzten Jahren Zulauf?
Die genaue Zahl der Aktiven kenne ich nicht, weil sie in 43 unterschiedlich strukturierten Gruppen
tätig sind. Aber viele der Kuba-Reisenden engagieren sich oder spenden im Katastrophenfall für
Kuba, wie zuletzt nach den Hurrikans Gustav und Ike. Die Solidaritätsbewegung ist seit den 90er
Jahren auch qualitativ gewachsen und politisch bewußter geworden.
Wodurch hat sich dieses Bewußtsein entwickelt?
Damals hat die Solidaritätsbewegung vor allen Dingen versucht, uns durch Spendensammlungen zu helfen,
weil unsere wirtschaftliche Situation direkt nach dem Verlust unserer Partner nach dem Ende der Sowjetunion
und der RGW-Staaten besonders schwierig war. Wir wissen auch heute noch sehr zu schätzen, was die
Solidaritätsbewegung damals geleistet hat. Heute nimmt sie darüber hinaus eine wichtige
Vermittlerrolle in der Öffentlichkeit ein. Es ist die Solidaritätsbewegung, die aufsteht, wenn
Unwahrheiten über Kuba verbreitet werden. Und sie verbreitet die Informationen, die sonst unterschlagen
werden.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Beispiele für diese Vermittlerrolle?
Die Mauer des Schweigens um die fünf Mitarbeiter der kubanischen Terrorabwehr, die in den USA zu
Unrecht im Gefängnis sitzen, wurde von der Solidaritätsbewegung gebrochen. Sie bringt die
Forderung nach Gerechtigkeit für die fünf an die Öffentlichkeit, die sonst kaum eine Chance
hätte, überhaupt von diesen Männern und ihrer Inhaftierung zu erfahren.
Auch die internationale Buchmesse in Havanna ist ein Projekt, das von der Solidaritätsbewegung
vorangetrieben wird. In dieser Bewegung engagieren sich Menschen, die Kuba verstanden haben und dies
weiter vermitteln. Darüber hinaus gibt es weiterhin ein hohes Spendenaufkommen. Nicht nur bei
Katastrophen wie den Hurrikans Gustav und Ike, sondern auch über das gesamte Jahr hinweg für
bestimmte Projekte.
Durch Ihren Kontakt zu den Solidaritätsgruppen kennen Sie die deutsche Linke – nicht nur die
Partei gleichen Namens – und auch die Diskussion über das vorläufige Scheitern des Realsozialismus
in Deutschland. Der kubanische Sozialismus hält sich nun trotz der Blockade schon einige Jahre
länger als die DDR. Worin sehen Sie die Ursachen dafür?
Wie ich schon sagte, das kubanische Volk hat diesen Weg selbst gewählt. Es hat sich selbst befreit
und weiß, was es zu verlieren hat. In Deutschland war ja die Situation nach dem Krieg völlig
anders.
Kuba könnte dem äußeren Druck nicht standhalten, wenn die Mehrheit der Bevölkerung
nicht dazu motiviert wäre. Trotz der Probleme, die es bei uns gibt – Kuba ist ein Land, das sich
nicht unter normalen Bedingungen entwickelt. Seit mehr als 46 Jahren wird eine unmenschliche Blockade
ausgeübt. Das ist eine Art der wirtschaftlichen Kriegsführung. Hinzu kommt die Tatsache,
daß die US-Regierung in den letzten beiden Jahren ihre Pressionen gegen Kuba noch gesteigert hat.
Zum Beispiel verhindern die USA den Export von Baumaterial, das gebraucht wird, um die Hurrikan-Schäden
zu beheben. Auf der anderen Seite finanzieren sie sogenannte Oppositionelle, die dadurch faktisch zu
Söldnern werden. Sie werden dafür bezahlt, Kuba als antidemokratisch darzustellen. Die
große Mehrheit der Bevölkerung steht aber hinter der Revolution.
Wie könnte sich die Großwetterlage durch die Wahl von Barack Obama zum Präsidenten
der USA verändern?
Das ist im Moment schwer zu sagen. Wir müssen abwarten, wie sich die Politik der neuen Regierung
jetzt artikuliert. Tatsache ist aber, daß Kuba zehn US-Regierungen überlebt hat. Tatsache ist
auch, daß die Blockade von einem Demokraten eingeführt wurde – nämlich von John F. Kennedy.
Verschärfungen wie das Torricelli-Gesetz 1992 und das Helms-Burton-Gesetz 1996 gehen ebenfalls auf
die Kappe der Demokraten.
Wir halten aber unbeirrt an der Revolution fest, sie ist das Erfolgsrezept für unser Land. Die
meisten Kubaner vergleichen ihr Land und ihren Lebensstandard nicht mit Europa oder den USA, sondern mit
dem Rest Lateinamerikas. Und da ist ein Land, in dem es keine Analphabeten, einen sehr hohen Bildungsstandard,
ein sehr kultiviertes Volk und ein kostenloses Gesundheitswesen für alle gibt, eben ein Vorbild. Und
diese Erfolge sind Resultate der Revolution. Vorher war es für die meisten Kubaner nicht
selbstverständlich, eine Schule zu besuchen.
Lassen Sie uns abschließend noch ein anderes Thema erörtern: die Gleichberechtigung. In
welchen Bereichen ist das Stichwort »Machismo« heute noch ein Thema? Wie weit ist aus Ihrer Sicht die
Gleichberechtigung von Mann und Frau auf Kuba ökonomisch, sozial und politisch fortgeschritten?
So weit, daß es heute kaum noch ein Thema der Diskussion ist. Schon vor dem Sieg der kubanischen
Revolution waren Frauen aktiv an ihr beteiligt. Wir haben auch keine Mindestfrauenquote gebraucht, um
heute immerhin 47 Prozent Frauen im Parlament zu haben. An den 50 Prozent arbeiten wir noch – aber ich
denke, daß wir das früher oder später auch erreichen, ohne dafür eine Quote
festzulegen. Die Frauen werden gewählt, weil sie sich die Achtung erkämpft haben. Auf Kuba sind
sie vielleicht gerade wegen ihrer früheren Unterdrückung – bis vor wenigen Jahrzehnten –
besonders motiviert, den Fortschritt aktiv zu gestalten. Es gibt viele kubanische Haushalte, in denen die
Frau mehr verdient als ihr männlicher Partner. Das »Mutterschaftsgeld« kann inzwischen auch von
Vätern in Anspruch genommen werden – und es entscheidet sich auch eine wachsende Zahl von
Männern dafür. Selbst 54,3 Prozent der kubanischen Universitätsabsolventen im
naturwissenschaftlichen Bereich sind heute Frauen. Aber natürlich existieren trotz dieses
Fortschritts noch Reste der Gewohnheiten, die sich in 500 Jahren eingeschliffen haben.
Wo macht sich das zum Beispiel bemerkbar?
Zum Beispiel ist die Hausarbeit nicht überall zwischen den Partnern aufgeteilt. Obwohl das
Bewußtsein dafür zugenommen hat, daß der Mann im Haushalt nicht nur freundlicherweise der
Frau helfen soll, sondern daß beide in gleicher Weise dafür zuständig sind. In der Praxis
wird es nicht immer so selbstverständlich umgesetzt. Auf Kuba war der »Machismo« traditionell sehr
stark. Und es wird natürlich auch weiterhin einen Frauenverband geben.
Interview: Claudia Wangerin
Erstveröffentlichung: Junge Welt, 22.11.2008
CUBA LIBRE 1-2009