"Der Spiegel", Ausgabe Nr. 3, 14. Januar 1959, 1 DM
Vor mir liegt die Originalausgabe des Spiegels von vor genau 50 Jahren, die mir ein Freund vor ein paar Jahren überließ. Titelbild: der vielleicht 32-jährige Fidel Castro. Titelzeile: "Mit zwölf Pistolen an die Macht". Innen dann der siebenseitige Bericht (Mit vielen Fotos) über die gerade stattgefundene Revolution in Cuba.
Die Schilderung der Vorgänge vor der Revolution ist realistisch und entspricht tatsächlich der Historie. Die Beschreibung lässt ein gewisses Wohlwollen, jedoch auch immer eine vorsichtige Distanz und Abwertung der Revolutionäre erkennen, hier ein Auszug:
"Nur zwölf Männer entkamen (nach der Landung der Granma, d. Verf.), darunter ihr Anführer, der 29-jährige fidel Castro, ein hühnenhafter Rechtsanwalt mit schwarzem Piratenbart und feuchtem Existentialistenblick. ...
Während am Fuße der Sierra Maestra Armeepatrouillien vergeblich darauf warteten, dass Castro und seine Männer aus ihren schlangen- und moskitobevölkerten Schlupfwinkeln herauskriechen würden, schlichen sich Hunderte von jungen Leuten aus ganz Cuba – Bauernsöhne, Studenten, Arbeite – in die Berge und rotteten sich unter Castros Kommando zu einer fanatischen Partisanengruppe zusammen. Der Guerillakrieg gegen eine 30.000 Mann starke, mit modernen amerikanischen Waffen ausgerüstete Armee züngelte hoch."
Dann folgt, recht gut dargestellt, der Weg des Cubanischen Staates vom Befreiungskrieg 1898 bis zur Vertreibung Batistas in den letzten Dezembertagen 1958. Die Schilderungen über die Verbrechen der verschiedenen Regime, die zu den grausamsten ganz Lateinamerikas gehörten, die ekelerregende Unmoral und Verkommenheit der jeweiligen Diktatoren, die in der Regel nur sich selbst und ihre Günstlinge bereicherten und die Darstellung der ständigen, immer vorhandenen Involviertheit der us-amerikanischen Regierungen haben, denke ich, den damaligen LeserInnen des Spiegels ein einigermaßen realistisches Bild der sozialen und politischen Zustände der damaligen Zeit vermittelt.
Natürlich gibt es Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten in dem Artikel: So werden z.B. die "Rogh Riders" unter dem Kommando des späteren US-Präsidenten Theodore Roosevelt hochstilisiert, die die Spanier ins Meer getrieben hätten. Und: "Zum Verdruss der cubanischen Freiheitskämpfer erklärten die Amerikaner nach ihrem Sieg über die Spanier, das hunger- und seuchengeplagte, von Natur aus anarchistischen Inselvolk sei unmöglich imstande, sich ab sofort selbst zu regieren. Die Zuckerinsel Cuba wurde das erste Opfer amerikanisch-demokratischer re-education.
Insgesamt aber führt der Spiegel seine LeserInnen auf die Konsequenz der damaligen Auseinandersetzungen hin: "Der Batista-Terror bewirkte, dass die jungen Männer Cubas sich nunmehr in Scharen zu den Rebellen schlugen und dass auch Soldaten und Offiziere der Regierungstruppen in steigender Zahl überliefen. … Der einstige Rebellenhaufen wuchs sich mehr und mehr zu einer regulären Armee aus, die amerikanische Berichterstatter im vergangenen Herbst auf mindestens 10.000 Mann schätzten."
Vollständig aber irrt der Spiegel in seiner Vorhersage, wie die USA nach der Anerkennung des "Castro-Regimes" im Januar 1959 mit der Revolution umgehen wird. Er zitiert die New York Times aus den Tagen zuvor: "Kuba wird in den kommenden Monaten unsere (die der USA, der Verf.) Hilfe sehr brauchen. Sie sollte mit Großzügigkeit und Verständnis gewährt werden."
Welch großartige Fehleinschätzung: Nachdem es der Regierung der USA nicht gelungen war, ihre Pfründe, die von den korrupten Machthabern bislang bedient wurden, zu sichern, schalteten sie um: Invasion, Sabotage, Terroraktionen und ein Wirtschaftskrieg, der bis heute andauert!
G. Siebecke
CUBA LIBRE 1-2009