Das neue alte Gesicht der Konterrevolution

"Genau 35 Jahre nach dem blutigen Staatsstreich gegen den Sozialisten Allende in Chile gibt es ähnlich beunruhigende Bilder aus Bolivien zu vermelden. Eine Allianz zwischen den reaktionärsten Teilen der Oberschicht und einer ebenso reaktionären US-Regierung bemüht sich nach Kräften eine gewählte Linksregierung aus dem Weg zu räumen". Diese Zeilen fand man in der gewiss nicht antikapitalistischen Tageszeitung Mitte September. Damals eskalierte der Streit zwischen der weißen, reichen Oberschicht und der Linksregierung in Bolivien. Wie in Chile 1973 waren es auch die verlorenen Wahlen, in Bolivien ein verlorenes Referendum, das die Rechte radikalisierte.

Doch über ihren faschistischen Charakter konnte es spätestens seit dem Vorfall von Sucre am 25. Mai 2008 keinen Zweifel mehr geben. An jenem Tag war eine Gruppe indigener Bauern aus der Provinz Chuquisaca vor laufenden TV-Kameras erniedrigt worden. Mit entblößtem Oberkörper und auf den Knien mussten die Männer, angetrieben von einem Mob fanatischer MAS-Gegner, über die Plaza Mayor von Sucre kriechen. Dies geschah nicht zufällig in Boliviens formaler Hauptstadt, in der sich eine Zweckallianz rechtskonservativer Kräfte mit allem Mitteln an die schwindende Macht klammert. Whipalas, die Regenbogen-Fahne den Andenvölker, ging in Flammen auf, eine aufgeputschte Menge bespuckte ihre Opfer und beleidigte sie als "Lamas.

Die Gruppe aus Chuquisaca war ursprünglich nach Sucre aufgebrochen, um Evo Morales auf einer dort anberaumten Veranstaltung zu hören. Als eine Flughafenblockade den Präsidenten zur Rückkehr zwang, bekamen die dunkelhäutigen Landarbeiter den von Medien und Lokalpolitik geschürten Hass gegen die "schmutzigen Indios" am eigenen Leib zu spüren. Geschlagen und beleidigt, wurden sie mit Alkohol und Benzin übergossen und hörten die Drohung, sollten sie Sucre nicht auf schnellstem Weg verlassen, würden sie bei lebendigem Leib verbrannt.

Zeitgleich gab es auch in Venezuela wieder Versuche einen Militärputsch gegen Chavez herbeizuführen. Dass die Aktionen von den USA koordiniert werden, dürfte kaum jemand bezweifeln. Die Ausweisung der US-Botschafter aus Bolivien und Venezuela war dann nur ein folgerichtiger Schritt.

Nach dem Vorbild der Orangenen Revolution

Doch auch wenn die Konterrevolution in Lateinamerika noch immer mit rassistischem und faschistischem Terror auftritt, so hat sie sich auch modernisiert. Nach dem Vorbild von Jugoslawien, der Ukraine und Georgien sollen auch dort sogenannte junge, scheinbar undogmatische Widerstandskräfte herangezogen werden. !1993 schrieb der amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp für die birmanesische Opposition ein kleines 100-Seiten-Büchlein mit dem programmatischen Titel 'Von der Diktatur zur Demokratie'.

Die orangenen Demokraten in der Ukraine, die Aktivisten der serbischen Otpor-Bewegung, die Rosenrevolution in Georgien und die kirgisischen Kelkel-Dissidenten haben den Leitfaden gelesen und diskutiert. Heute zirkuliert er unter Oppositionellen in Weißrussland, im Iran und in Venezuela", schrieb Michael Holmes in der Tageszeitung, die wenige Ausgaben zuvor noch die hässliche Fratze der lateinamerikanischen Konterrevolution hervorhob.

Holmes lobt die Anleitung zur Konterrevolution in den höchsten Tönen. Schließlich war er Mitbegründer der Gruppe "Freunde der offenen Gesellschaft". Das waren Jungstudenten, die einmal im Umfeld der sogenannten Antideutschen einige Adorno-Seminare besuchten und vor einigen Jahren geräuschvoll Abschied von der Linken nahmen, zu der sie nie gehörten. Ein Teil von ihnen trat gleich in die FDP ein. Ihre Homepage http://gesellschaftsfreunde.blogspot.com/ ist vor allem durch extremen Antifeminismus hervorgetreten.

Auch die Lehrmeister von der Zeitung Bahamas rufen offen zum Umsturz in Venezuela auf.

So heißt es in einem auf ihrer Homepage veröffentlichten Artikel in der Diktion der internationalen Konterrevolution:
"Die Hoffnung, dass die Venezolaner Chávez eines Tages stürzen, ist zwar berechtigt, bedeutet aber auch mit Hinblick auf die autoritäre Durchformung der Gesellschaft nicht notwendig, dass die postbolivarianische Ära sich durch ein größeres Maß an Freiheit auszeichnen würde. Wie es in Venezuela weitergeht, ist daher völlig ungewiss. Dass das Verfassungsreferendum gescheiter ist, gibt Anlass zu der Vermutung, dass sich die Mehrheit der Venezolaner ein gewisses Restmaß politischer Vernunft erhalten hat – und das stimmt allemal zuversichtlich".

Die in dem Handbuch vertretene neue Form der Konterrevolution zeigt sich in Venezuela, wo in letzter Zeit die abgehalfterten Köpfe der alten Rechten zunehmend in den Hintergrund treten. Statt dessen wird immer wieder auf die Proteste von Studierenden hingewiesen.

Das sind im Wesentlichen Oberschichtkinder, die dagegen protestieren, dass die bolivarischen Universitäten jungen Menschen aus den Barrios Möglichkeiten zum Bildungserwerb geben. Die reichen Mittelstandskids sehen die Abschlüsse ihrer Eliteuniversitäten entwertet und gehen auf die Straße. Dort zirkuliert das Handbuch zur Konterrevolution von Gene Sharp. Dort wird die neue, junge, aber nicht weniger gewalttätige und reaktionäre Opposition aufgebaut. Auch in der Cuba-Berichterstattung kommen in letzter Zeit öfter Musiker, vor allem HipHopper und Blogger zu Wort, die deutlich machen, dass sie einen Regimewechsel anstreben.

Die Entwicklung der letzten Wochen in Lateinamerika hat auch gezeigt, dass die Konterrevolution selbst in Bolivien, das als das schwächste Kettenglied gesehen wird, auf sich allein gestellt, keinen Erfolg hatte. Die Vermittlungsbemühungen der lateinamerikanischen Nachbarstaaten, ohne den Einfluss der USA, haben ihnen zunächst Grenzen gesetzt. Doch die Rechten werden natürlich weiter agieren und die USA wird sie weiter unterstützen. Das Hauptziel ist ein Regimewechsel in Cuba und Venezuela. Deshalb ist Wachsamkeit weiterhin angesagt.

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Peter Nowak

CUBA LIBRE 4-2008