Im letzten Jahr gab es in Chile einen Streikrekord. Jetzt wird der Schwerpunkt auf die Bildungsarbeit gelegt werden.
Im Jahr 2007gab es einen Ort der besonderen Art in Chile. Gleich drei große Streikbewegungen in den Kupferminen, sowie im Agrar- und Forstbereich sorgen für die meisten Streiktage seit 35 Jahren.
Für den chilenischen Gewerkschafter Daniel Nunez, der auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, mehrere Städte in Deutschland besuchte, ist die Streikbereitschaft und der Ablauf der Auseinandersetzungen in mehrfacher Hinsicht eine Trendwende in Chile.
Nach dem Militärputsch von 1973 richtete sich der Terror auch gegen aktive Gewerkschafter. Auch nach dem Ende der Militärherrschaft gab es auf lange Zeit kaum gewerkschaftliche Auseinandersetzungen. In neoliberalen Wirtschaftskreisen wurde das Fehlen gewerkschaftlicher Kämpfe als Erfolg eines neoliberalen Wirtschaftsmodells gefeiert, das zu einer Individualisierung im Arbeitsleben geführt habe. Doch es war vor allem die Angst vor einer Rückkehr der Militärdiktatur, die viele Menschen von politischen und auch vor gewerkschaftlichem Engagement abhielt. Diese Angst ist verschwunden. Die Menschen, die sich aktiv an den Streiks beteiligt haben, gehören häufig einer Generation an, die kaum noch Erinnerungen an die dunklen Jahre der Militärherrschaft hat., betonte Nunez. Ein weiterer Grund für die gestiegene Kampfbereitschaft sieht der Gewerkschafter in dem Wirtschaftsboom, der Chile eine Steigerung des Bruttosozialprodukts bescherte. "Die Arbeiter fordern ihren Anteil an dem Wirtschaftswachstum, das sie schließlich geschaffen haben", beschreibt Nunez die Stimmung der Beschäftigten.
Ein weiterer Grund ist die Enttäuschung über die Wirtschaftspolitik der sozialdemokratischen Präsidentin Bachelet. Mit ihrer Wahl hatten viele ihrer Anhänger die Hoffnung auf eine sozialere Politik verbunden. Als aber Bachelet die neoliberale Wirtschaftspolitik ihrer konservativen Vorgängerregierungen fast nahtlos übernahm, hätte sich bei vielen Beschäftigten die Überzeugung durchgesetzt, jetzt selber für Verbesserungen kämpfen zu müssen.
Die Streiks waren nach chilenischem Recht illegal und mit Straßenblockaden und teilweise heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei verbunden. Konservative Politiker und Wirtschaftsvertreter warfen der sozialdemokratischen Regierung vor, nicht genügend gegen die Rückkehr des Klassenkampfes zu unternehmen und forderten Gesetzesverschärfungen.
Schwerpunkt Bildungsarbeit
Nunez sieht nach den Streiks Anzeichen eines neuen Selbstbewusstseins bei den Beschäftigten. Dieser Prozess soll mit einer gezielten Bildungsarbeit unterstützt werden. Das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut Alejandro Lipschutz, das nach einem deutsch-chilenischen Wissenschaftler benannt ist, hat den Anfang gemacht. Dort werden für Aktivisten aus den Streikbewegungen Kurse angeboten, die Hilfestellung bei juristischen Problemen und den Aufbau von Gewerkschaftsgruppen geben, aber auch die Geschichte der chilenischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung vermitteln. "Ein Großteil der Teilnehmer sind Jugendliche, die durch die Streiks politisiert wurden und vorher kaum Ahnung von historischen Themen hatten", betont Nunez.
Peter Nowak
CUBA LIBRE 4-2008