Die Millionenstadt New Orleans wurde am 31. August beim Eintreffen des Hurricans »Gustav« an der US-Küste glücklicherweise von einer Katastrophe verschont – im Gegensatz zu 2005, als nach »Katrina« vor allem die arme Bevölkerung dieser Metropole allein gelassen und schließlich von der Nationalgarde wie Kriminelle behandelt wurde. Die aktuellen Vorbereitungen auf den Wirbelsturm, die Flucht aus der Stadt, Ansprachen des Bürgermeisters, die Rückkehr der Einwohnerschaft und viele Details mehr aus New Orleans konnten die Menschen Ende August in ausführlichen TV-Berichten rund um den Globus verfolgen.
Was »Gustav« jedoch noch am Vortag auf Cuba angerichtet hatte, wurde von den hiesigen Medien schlicht verschwiegen. Selbst zu einem Zeitpunkt, als Zahlen und Fakten weltweit bekannt waren, war dies den elektronischen und Printmedien i.d.R. nur einen Halbsatz wert. Hierzu schrieb Fidel Castro ins einer Reflexión vom 31.08.08: »Aber der Welt wird kaum über die Verdienste unseres Landes und seinen außerordentlichen Kampf etwas mitgeteilt. Vor zwei Tagen, d.h. am Freitag, dem 29. August, gab es elf Agenturmeldungen zu Cuba, von denen keine einzige von dem Wirbelsturm berichtete, der auf unsere Insel zustürmte, und von den fieberhaften Bemühungen unserer Zivilverteidigung mit der großzügigen Unterstützung von Millionen cubanischer Familien unter der Leitung einer abgehärteten politischen Avantgarde.«[1]
Zahlen und Fakten
Der Hurrican »Gustav« wird von den cubanischen Stellen als der schlimmste seit 50 Jahren eingestuft. Er bestätigt damit die Erkenntnis von US-Forschern in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsjournals »Nature«[2], wonach die menschengemachte Erderwärmung zu deutlich gefährlicheren Wirbelstürmen führt: »Ein Anstieg der Meerestemperatur um ein Grad Celsius in den Tropen könne die Zahl der stärksten Stürme um fast ein Drittel ansteigen lassen (…) Weil sich das Meer erwärmt, muss der Ozean mehr Energie in tropische Zyklon-Winde umwandeln«.
Im konkreten Fall bedeutet dies für Cuba eine Katastrophe: Allein in der Provinz Pinar del Rio, die von »Gustav« mit bis zu 340 km/h überrollt wurde, sind 86.000 Wohn-, Krankenhaus- und Schulgebäude, 600 Strommasten, 60 Hochspannungsleitungen. 3.400 Tabakhäuser und 60 Geflügelfarmen zerstört. Insgesamt wurden 120.000 Häuser, tausende Hektar landwirtschaftlicher Anbauflächen und zahlreiche Vorratslager zerstört oder schwer beschädigt. In seiner Reflexión vom 2. September[3] äußert Fidel Castro seine Erschütterung: »Ich wage es unumwunden zu sagen, dass mich die am Sonntag von den Landesfernsehstationen gezeigten Fotos und gefilmten Ansichten an die Zerstörungen erinnerten, die ich bei meinem Besuch in Hiroshima gesehen habe, das im August 1945 Opfer des ersten Atombombenangriffs wurde.« Und er zitiert den Augenzeugenbericht des cubanischen Malers Kcho[4] von der Isla de la Juventud, dem wichtigsten Fruchtlieferanten für ganz Cuba: »Mir fehlen die Worte, um das, was ich gestern auf der Jugendinsel gesehen habe, auszudrücken. In meinen 38 Lebensjahren habe ich nichts Ähnliches gesehen (…) Es wird geschätzt, dass von den 25.000 Wohnungen auf der Insel etwa 20.000 – das ist noch nicht die endgültige Zahl – auf die eine oder andere Art beschädigt sind, und von diesen 20.000 haben etwa 10.000 ihr Dach verloren bzw. Sind vollkommen zerstört (…) Es gibt ernsthafte Schwierigkeiten bei der Ernährung … Im Augenblick ist die Insel aufgrund ihres Inseldaseins wie ein Gefängnis, obwohl die Flüge schon wieder aufgenommen wurden … Das Geld hat überhaupt keinen Wert, da es weder irgendwo noch irgendetwas zu kaufen gibt (…) Die menschliche Solidarität ist im Augenblick die wichtigste Waffe (…) Die Jugendinselbewohner haben weiter hohe Moral und freuen sich sehr über die Arbeit der zuständigen Organe und darüber, dass kein einziges Menschenleben zu beklagen war[5], weder in Pinar del Rio noch auf der Insel oder in Matanzas.« Aus Pinar del Rio meldete die Nachrichtenagentur »Prensa Latina« am 31.08.: »„Sachen, die völlig sicher schienen, wurden beschädigt,“ berichtete die Vorsitzende des Zivilschutzkomitees von Pinar del Rio, Ana Isa Delgado. „Autos wurden durch die Parks geweht. Wassertanks sind von den Dächern gestürzt. Fenster und Türen liegen neben umgestürzten Bäumen und Strommasten in den Straßen.“ In Havanna selbst war die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser unterbrochen, der öffentliche Nahverkehr ruhte.«[6]
Kein einziges Menschenleben…
In seinen bereits zitierten Texten vom 31.08. und 02.09. betont Fidel Castro mehrmals: »Zum Glück haben wir eine Revolution! Kein Mitbürger wird seinem Schicksal überlassen.« Dies ist keine hohle Phrase, sondern basiert auf einem seit Jahrzehnten bewährten und anerkannten Katastrophen-Management. Der Hurrican »Flora« hinterließ im Oktober 1963 nicht nur extreme Verwüstungen in den Ostprovinzen, sondern es wurden damals auch 1.126 Menschen getötet. Dies war der Beginn des Aufbaus eines beispielhaften Abwehrsystems. Mittlerweile sind acht der insgesamt 14 automatischen meteorologischen Radarstationen, die in der Karibik funktionieren, auf Cuba installiert. In jeder der 14 cubanischen Provinzen existiert ein meteorologisches Zentrum, die mit jeweils 68 Beobachtungsstationen verbunden sind. Argentinien, Brasilien und Cuba sind nach Aussage der meteorologischen Weltorganisation »quantitativ und qualitativ in Lateinamerika und der Karibik auf den ersten Plätzen«[7]. Das oberste Ziel der cubanischen Hurrican-Abwehr lautet: Menschenleben retten! Dafür werden zwei Tage im Jahr landesweite Übungen, an denen sich vom Schulkind bis zum Greis die ganze Bevölkerung beteiligt, abgehalten. Es gibt ein ausgeklügeltes System von Maßnahmen, die in einem 3-Stufen-Mechanismus zusammengefasst sind: Information, Hurrican-Warnung und Alarm und je nach Sturmstärke zur Anwendung kommt, so z.B. das Sichern von Trinkwasser, Batterien und Kerzen, die Reinigung der Straßen und Freiräumung von Gullys; Pkw ohne Garagen werden eng nebeneinander gestellt, alles, was vom Sturm in Geschosse verwandelt werden könnte, festgezurrt, Antennen abmontiert und – vor allem – Absprachen mit der Nachbarschaft getroffen und besonders Bedürftigen (Alte, Kranke) gemeinsam geholfen. Die »Süddeutsche Zeitung« kam schon vor drei Jahren nicht umhin, einen bewundernden Artikel zu veröffentlichen[8], und konstatierte: »Bei den UN und Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz und Oxfam gilt die kubanische Hurrikan-Vorsorge als beispielhaft (…) Die Genfer UN-Behörde zur Verhinderung von Katastrophen, UNISDR, nennt Kuba sogar als Vorbild für alle Anrainer des Golfs von Mexico – auch für die USA. Die staatliche Lenkung von Rettungsmaßnahmen sei äußerst effizient. Dazu komme, dass es in Kuba üblich sei, an den Zusammenhalt zu appellieren. In den auf Individualismus ausgerichteten USA sei der Einzelne hingegen stärker auf sich selbst gestellt (…) So sei lange vor Katrina bekannt gewesen, dass die Dämme von New Orleans nicht ausreichten. Doch das Bewusstsein für die Gefährdung sei in der Öffentlichkeit zu wenig verankert, findet [UNISDR-Klimaforscher] Basher und rät: „Die Verantwortlichen sollten nach Kuba blicken.“ (…) Oxfam America, eine der größten Hilfsorganisationen der USA, stellt in einer Analyse die „weichen“ Faktoren im Krisenmanagement Kubas heraus: Entscheidend sei die „Anleitung zu gemeinschaftlichem Handeln“. Oder wie es Cristina Estrada vom Roten kreuz formulierte: "Jeder weiß genau, was er im Ernstfall zu tun hat."«
Im Grunde bestätigen also auch diese internationalen Fachleute Fidels Einschätzung »Zum Glück haben wir eine Revolution!« Denn dieses Krisenmanagement ist nicht irgend eines, sondern es basiert auf den sozialistischen Grundlagen der cubanischen Gesellschaft und kann auch nur deshalb mit dieser Effizienz funktionieren. Dies dürfte der entscheidende Grund dafür sein, weshalb die großen TV-Ketten sowohl das tatsächliche Ausmaß der aktuellen Katastrophe für Cuba konsequent verschweigen, wie auch den Grund dafür, dass es zwar zahlreiche Verletzte, aber keine Toten gegeben hat. Im unter US-Protektorat stehenden Haiti wurden übrigens durch »Gustav« über 500 und durch »Hanna« (bisher bekannt) mindestens 48 Menschen getötet.
Wo sind die sog. »Verteidiger der Menschenrechte für Cuba«?
Es könnte dies nun eigentlich die Stunde der selbst ernannten »Menschenrechtsverteidiger« in den hiesigen bürgerlichen Parteien, Medien, einschlägigen Organisationen usw. sein. Doch hier herrscht völliges Schweigen. Kein Hilfsangebot, kein Spendenaufruf, nirgends. Dies sollten wir uns sehr genau merken und ihnen und der interessierten Öffentlichkeit bei ihren nächsten anticubanischen Kampagnen, die mit Sicherheit kommen werden(!), auch in aller Deutlichkeit mitteilen.
Solidarität vonnöten
Ein zentrales Wesensmerkmal der cubanischen Revolution von Beginn an war und ist die konsequente internationale Solidarität, deren Cuba nun dringend selbst bedarf. Es sind bereits mehrere Flugzeuge mit Hilfslieferungen aus Russland eingetroffen. Hilfsangebote gingen u.a. aus Venezuela, Bolivien, Brasilien, China und Spanien ein[9]. Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland sind gefordert. Es gibt bereits Spendenaufrufe von mehreren Solidaritätsgruppen. Die älteste bundesdeutsche Cuba-Solidaritätsorganisation, die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V., veröffentlichte bereits am 1. September den unten dokumentierten Aufruf[10]. Um Spenden auf dieses oder ein anderes Solidaritätskonto wird hiermit herzlich gebeten.
P.S.: Am 08.09.08 (also dem Tag der Erstellung des vorstehenden Beitrags) gegen 3:00 Uhr traf der Hurrican »Ike« mit über 240 km/h auf die Ostküste Cubas, wo bereits mehr als 1 Million Menschen evakuiert worden waren. Es ist damit zu rechnen, das sich dadurch der Umfang der Materialschäden nochmals drastisch erhöht – ebenso wie zu hoffen ist, dass auch dieses Mal keine menschlichen Opfer zu beklagen sein mögen.
Heinz W. Hammer, 08. 09. 08
Nachtrag: In der Tat hat »Ike« die befürchteten zusätzlichen Zerstörungen gebracht und es sind in Camagüey, Villa Clara und El Negro tragischerweise und erstmals seit Jahrzehnten bei einem Hurrican vier Tote zu beklagen. Der ND-Korrespondent Leo Burghardt zitiert das cubanische Fernsehen[11]: »Ein 35- und ein 76-jähriger Mann erlitten demnach einen tödlichen Stromschlag, als sie in der zentralkubanischen Provinz Villa Clara eine Antenne vom Dach ihres Hauses abnehmen wollten. In der Stadt Camagüey in der gleichnamigen Provinz im Osten des Landes wurde ein 35-jähriger Mann unter einer einstürzenden Wand begraben, nachdem ein Baum auf sein Haus gestürzt war. In der östlichen Provinz Holguin sei eine Frau nach dem Einsturz ihres Hauses gestorben.« Ohne das vorbildliche cubanische Katastrophenmanagement wäre die Zahl der Opfer ungleich höher gewesen, wie ein Blick auf die Nachbarländer zeigt.
Die neu entstandenen Verwüstungen, die »Ike« quer über der Insel hinterlassen hat, machen den Spendenaufruf umso dringlicher.
Nach dem 8. September wurde auch in den großen Medien unseres Landes über Cuba berichtet. Dies ändert nichts an den im Artikel gemachten Einschätzungen: Die Berichterstattung begann erst, als mit der zweiten Katastrophe (»Ike«) ein Verschweigen einfach nicht mehr möglich war – dies auch dank der zwischenzeitlich über das Internet zahlreich verbreiteten Informationen. Es bleibt ein Skandal, dass die bürgerlichen Medien die Lage auf Cuba tagelang weitgehend verschwiegen haben. Bezeichnend und hierzu passend auch der Umstand, dass eine Reihe der mittlerweile erschienenen Berichte sich darauf konzentrieren, dass ja deutsche Touristen betroffen gewesen seien – eine klassisch rassistische Metropolenhaltung, die Menschenleben mit zweierlei Maß misst.
1) Der komplette Text dieser Reflexión vom 31.08.08 ist hier dokumentiert
2) Bd. 455, S. 92, zit. N. ND, 06/07.09.08
3) Reflexión vom 02.09.08
4) Alexis »Kcho« Leyva Machado, bekannter Maler und Bildhauer, 1970 auf der Isla de la Juventud geboren.
5) Eine entscheidende Voraussetzung hierfür war sicherlich der Umstand, dass insgesamt 450.000 Menschen in den betroffenen Regionen Cubas evakuiert worden waren.
6) Zit. N. »Kubas schrecklichster Hurrikan seit 50 Jahren«, netzeitung.de, 31.08.08
7) Zit. N.: »Kuba kämpft mit Fay«, ND, 23.08.08
8) »Lernen von Kuba – Die UN empfiehlt die straffe Hurrikan-Vorsorge der Insel als Vorbild auch für die USA«, »SZ«, 13.09.05
9) Zit. N.: »jW«, 06.09.08
10) Dieser Aufruf ist auch hier dokumentiert
11) Leo Burghardt: »Ike« verwüstet die Karibik, ND, 10.09.08
Heinz-W. Hammer, 10.09.08
CUBA LIBRE 4-2008