Roman. Aus dem Baskischen von Petra Elser und Raul Zelik
428 Seiten, gebunden, Blumenbar-Verlag, 2007, 37,00 CHF
Der baskische Krankenpfleger Goia verliert in seinem Exil an der nicaraguanischen Atlantikküste plötzlich Sprache und Gedächtnis. Seine Umgebung weiß nicht, wie sie damit umgehen soll und ruft Goias Freundin Mirabel zur Unterstützung. Sie hofft Goia durch das das Treffen mit alten baskischen Freunden, die verstreut auf dem lateinamerikanischen Kontinent leben, von seiner rätselhaften Krankheit heilen zu können. Doch die geplante lange Reise ist in Kolumbien für die baskischen Flüchtlinge ohne echte Papiere zu Ende. Auf der Flucht vor den Todesschwadronen verstecken sie Goia und Mirabel in einer psychiatrischen Anstalt, die ebenfalls von Nachkommen baskischer Einwanderer geleitet wird. Die Metapher des Frostes und Einfrieren wird in einem weiteren Erzählstrang noch einmal ausgeweitet, als Mirabel einen Job als Begleiterin eines todkranken Wissenschaftlers anzunehmen, der sich an seinem Lebensende eine Fahrt zum Südpol wünscht. Mirabel ist vor allem für das Verabreichen seiner Morphiumspritzen zuständig. Doch auch diese Aufgabe verliert sie, nachdem der Wissenschaftler über Bord geht. Ob es ein Unfall oder ein Selbstmord war, bleibt offen. Mirabel erreicht die Zonen des ewigen Eises. Das Schiff sitzt schließlich sogar im Eis fest und die Passagiere werden durch eine aufwendige Rettungsaktion zurück geholt. Mirabel beschließt als politischer Flüchtling vorerst in Feuerland zu bleiben.
Auf einer dritten Ebene führt der Roman die Leser in Goias Kindheit im spätfrankistischen Spanien. Die Langeweile eines Teenagers in einem baskischen Dorf wird geschildert. Deutlich wird auch der Druck, den die ideologischen Staatsapparate Kirche, Schule und Familie auf den Heranwachsenden ausüben. Der entdeckt auf der Suche nach einer unbeobachteten Ecke ein Waffenversteck der ETA. Die erste Liebe, eine junge Französischlehrerin, muss bald wegen angeblicher Kontakte zu den Rebellen fliehen. Die Jugend des Dorfes beginnt sich zu politisieren. "An den Häuserwänden von Kalaportu waren immer noch die Bilder der beiden von der Guardia am Hafen erschossenen Männer zu sehen, und wir entwickelten wirre revolutionäre Ideen, weil wir neben den Klassikern auch alle möglichen anderen verbotenen Bücher verschlangen und Ihre Inhalte miteinander vermischten. Dieser Karl Marx, der auf den Umschlag des Kommunistischen Manifests zu sehen war, ähnelte aus unserer Sicht dem Leinenschuhe tragenden Sabino Arana, dem Erfinder der baskischen Fahne, der uns durch ein vergittertes Gefängnistor anblickte und verkündete, dass Euskadi die Heimat der Basken sei."
Hier spielen sicherlich auch biographische Elemente mit in den Roman. Schließlich wurde Joseba Sarrionandia 1958 in Iurreta in der Nähe von Bilbao geboren und gilt im Baskenland als lebende Legende. Er war 1977 Mitbegründer der Zeitschrift POTT, die maßgeblich zur Entwicklung der modernen baskischen Literatur beitrug. Etwa zeitgleich trat Sarrionandia aus Empörung über die politische Kontinuität nach dem Ende der Franco-Diktatur der Untergrundorganisation ETA bei. 1980 wurde er verhaftet, schwer gefoltert und wegen mehrerer Banküberfälle zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Fünf Jahre später gelang ihm auf spektakuläre Weise die Flucht. Zusammen mit einem Mitgefangenen wurde er nach einem Konzert in einer Lautsprecherbox aus dem Gefängnis geschmuggelt. Er floh über Frankreich und die Tschechoslowakei nach Algerien, wo sich sein Spuren verlieren. Seine Romane sind so eine Art Flaschenpost aus seinem Versteck.
Aber Raul Zelik, der den Roman gemeinsam mit Petra Elser ins Deutsche übersetzte, ist zuzustimmen, wenn er sich dagegen wehrt, dass das Buch lediglich unter dem Label baskische Literatur behandelt wird. Es sind Menschheitsthemen von Einsamkeit, Krankheit, Tod, die hier mit vielen Querverweisen auf Bücher der Weltliteratur und auf Erkenntnisse der Naturwissenschaft angesprochen werden.
Peter Nowak
CUBA LIBRE 3-2008