Ohne die Libreta, das kleine Rationierungsheft, kam in Kuba 46 Jahre lang kaum ein Essen auf den Tisch. Nun sind die Tage dueses Symbols der Mangelwirtschaft gezählt.
"Libreta de abastacimiento", Bezugsheft, heißt das Büchlein mit vollem Namen, welches die Kubaner seit dem 12. März 1962 tagtäglich begleitet. In dem kleinen Heftchen steht penibel aufgelistet, in welcher Menge und wie oft bestimmte Dinge des täglichen Bedarfs gekauft werden dürfen.
Dafür stehen die 11,2 Millionen Kubaner, ob arm oder vermögend, regelmäßig in den staatlichen Lebensmittelgeschäften, den Bodegas, an, denn die Preise, die verlangt werden, sind eher symbolischer Natur. Rund eine Milliarde US-Dollar lässt sich die Regierung in Havanna offiziellen Quellen zufolge das hoch subventionierte Instrument der Mangelwirtschaft kosten. 1962 wurde s eingeführt, um die auch aufgrund des US-Handelsembargos knapper werdenden Artikel des täglichen Bedarfs, sowohl Lebensmittel als auch Kleidung, gerechter und gleichmäßiger zu verteilen.
Doch 46 Jahre nach der Einführung sind die Tage der Libreta gezählt, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Armando Nova. "Es hat den Anschein, dass es in der Regierung endlich einen Konsens für die Abschaffung der Libreta gibt", so der 63jährige, der am Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft (CEEC) beschäftigt ist.
Nova plädiert seit mehreren Jahren für die Abschaffung der Libreta: "Sie ist ein Anachronismus, denn sie sorgt heute für Ungleichheit, obgleich sie geschaffen wurde, um Gleichheit zu garantieren."
Diese Meinung teilt auch Novas CEEC-Kollege Omar Everleny: "Die Libreta garantiert allen Kubanern das Gleiche, ohne zwischen denen, die etwas haben, und denen, die nichts haben, zu unterscheiden." Das kann sich die Regierung immer weniger leisten, denn allein im laufenden Jahr kalkulieren die Agrarexperten in Havanna mit Ausgaben von 1,9 Milliarden US-Dollar für den Import von Nahrungsmitteln. Diese exorbitanten Ausgaben hat auch Kubas Staatschef Raśl Castro im Visier, der in mehreren Reden auf die Defizite in der heimischen Landwirtschaft und die steigenden Importpreise für Milch, Getreide und andere Lebensmittel hingewiesen hat.
Die bekommt auch die Bevölkerung zu spüren, denn die über die Libreta für einen Monat bereitgestellten Produkte versorgen eine typische kubanische Familie maximal 2-3 Wochen. "Dann muss in der Regel auf dem freien Markt zugekauft werden", erklärt Everleny. Dort sind die Preise jedoch deutlich höher und lange nicht alle Kubaner können sie sich leisten. Deshalb vor allem plädiert Armando Nova für neue differenzierte Programme anstelle des Gießkannenprinzips der Libreta. Spezifische Förderprogramme für arme Familien, Rentner und andere sind nötig, so die Wissenschaftler des CEEC. Denen steht die Libreta nun im Weg.
CL
CUBA LIBRE 3-2008