Mit großer Trauer haben wir vom Tode Sergio Corrieries erfahren, eine schlimme Nachricht für alle, die in
der Solidaritätsbewegung mit Cuba arbeiten. Wir wussten zwar von seiner Krankheit, aber er war bei den
gemeinsamen Treffen immer optimistisch und voller Tatendrang und leitete außerdem das Vorbereitungskomitee
des so wichtigen Kongresses der UNEAC. Deshalb ist sein Tod für uns noch umfassbar.
Wir werden die Liebenswürdigkeit vermissen, mit der er uns immer empfangen hat und die Überzeugungskraft
seiner Botschaften auf internationalen Kongressen.
Unser Mitgefühl gilt den Mitarbeitern des ICAP. "Wir können uns gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn
Sergio etwas passiert. Wir hatten solche Angst.", sagte uns eine von ihnen, als Sergio vor einiger Zeit
längere Zeit im Krankenhaus verbringen mußte.
Unser Mitgefühl gilt aber auch dem ganzen kubanischen Volk, denn Sergio Corrieri gehört zu den Menschen,
die unersetzlich sind.
Er gründete und leitete das experimentelle Escambray Theater, ein fundamental soziales Projekt, mit dem
er auch durch Deutschland tourte und ohne das das zeitgenössische cubanische Theater von heute nicht
denkbar wäre. Er war Schauspieler in einigen herausragenden Werken der Filmgeschichte.
Sergio Corrieri hat sein künstlerisches Leben immer als Teil der sozialen und politischen Bewegung gesehen.
Wir danken ihm für das Privileg, dass wir 17 Jahre lang, während der für Cuba härtesten zeit nach dem
Zusammenbruch der sozialistischen Staaten, mit ihm zusammen arbeiten durften.
Die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba wird diesen großartigen Revolutionär, Menschen und Künstler nie
vergessen.
Was für eine schlimme, schlimme Nachricht! Wir erinnern uns noch an den Sommer in Cuba, als er alle
Termine absagen musste. Damals wäre er schon fast gestorben; zumindest stand er kurz vor einer
Beinamputation. So erzählten es uns Mitarbeiter des ICAP, die damals um sein Leben bangten. Er war als
Chef im Institut für Völkerfreundschaft unglaublich beliebt, wohl auch deshalb, weil er so gar nichts von
einem Funktionär an sich hatte.
Man traf ihn bei europäischen Cuba-Soli-Kongressen, etwa in London (noch mit Zigarette bei jeder sich
bietenden Gelegenheit) oder in Istanbul (da bereits rigoros ohne). Wir beide hatten zweimal das Privileg,
uns länger mit ihm zu unterhalten – in seinem Büro auf der Calle 17. In welchem Jahr das erste Treffen war,
ist uns im Moment entfallen. Das spätere fand 2006 statt – während der Fußball-WM in Deutschland,
ausgerechnet als "wir" das Halbfinale gegen die Italiener ausspielten. Bei einem anderen Gesprächspartner
hätten wir vielleicht Zuflucht nach einer Ausrede gesucht, um das Match im cubanischen Fernsehen anschauen
zu können, nicht aber bei Sergio.
Als er im Jahre 1990 Präsident des ICAP (INSTITUTO CUBANO DE AMISTAD CON LOS PUEBLOS) wurde, war er in
Cuba und weit über die Grenzen der Antilleninsel hinaus schon eine Berühmtheit als einer der
herausragendsten Theater- und Filmschauspieler dort.
Er übernahm das Amt des ICAP-Leiters zu einem Zeitpunkt, da dies Institut so viel wichtiger war als heute,
nämlich als der Sozialismus in Osteuropa gerade zusammengebrochen war und die Ausrufung der "Sonderperiode"
unmittelbar bevorstand. Seinerzeit konnte man Freunde Cubas von einem Tag auf den nächsten plötzlich mit
der Lupe suchen.
An dieser historischen Schnittstelle, an der die Revolution überleben oder untergehen konnte, machte
Sergio Corrieri – der Star ohne Starallüren – sich stark, die Brosamen zusammenzuklauben, die von ehedemer
Cubasolidarität noch übrig waren und neue solche Hilfsquellen für ein im Kollaps begriffenes Land zu
erschließen und zu pflegen.
Sein bekanntester Kinoerfolg war sicher "Memorias del subdesarollo" ("Erinnerungen an die Unterentwicklung")
von Tomás Gutiérrez Alea, der leider zu früh starb. Sergio spielt in diesem Film einen Intellektuellen,
der, obwohl neugierig auf die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Sieg der Revolution 1959, zu den
Geschehnissen jenes neuen Cuba auf Distanz bleibt. Er verkörpert "die Einsamkeit und Schutzlosigkeit derer,
die beschlossen, am Rande der Geschichte zu verharren".
Eine völlig gegensätzliche Figur spielte er in der Rolle des David: einen in die "Gedärme des Feindes"
eingeschleusten Agenten der cubanischen Staatsssicherheit, der Position bezieht, um das Geschick seines
Heimatlandes vor Umsturz zu bewahren.
Seine Filmografie umfasst zwölf Titel, er hatte Rollenangebote aus Spanien und Italien, war Träger
mehrerer Auszeichnungen, wie z.B. des Ordens "Felix Varela" und des Ordens "Alejo Carpantier". Er gewann
den Nationalpreis des Theaters und den Preis für die beste männliche Hauptrolle im Moskauer Filmfestival
für "El homre de Maisinicú".
Als er, nachdem er diese Welt gegen eine andere ingetauscht hatte, einmal gefragt wurde, ob er kein
Heimweh nach der großen Bühne habe, antwortete er: "Die Zeiten waren so hart, dass es für diese Art von
Heimweh nicht viel Platz gab."
Sergio war ein Mensch von angenehmem Wesen, jemand, der die Eitelkeiten seines erlernten Berufs
verabscheute, ein geduldiger Zuhöhrer war und mit jedem völlig auf Augenhöhe sprach. Seinen 70. Geburtstag
hat er nicht mehr ganz erlebt. Unsere Traurigkeit über seinen Tod hält gewiß keinen Vergleich aus mit der
Trauer derjenigen, die ihn besser kannten ...
Renate und Ulli Fausten
(Zitate aus Prensa Latina)
CUBA LIBRE 2-2008