Bei einem dreitägigen Arbeitsbesuch in Kuba hat der Fraktionschef der Linken Oskar Lafontaine, politische Gespräche mit Parlamentspräsident Ricardo Alarcón und Außenminister Felipe Pérez Roque geführt. Er traf sich auch mit Vertreterinnen und Vertretern von deutschen Unternehmen, die in Kuba tätig sind.
Im Interview gibt Lafontaine seine Eindrücke vom "Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der Menschenrechtssituation und der sozialen Lage in Südamerika wieder. "Eine faire Beurteilung müsste zu dem Schluss kommen, dass die Ablösung korrupter, verbrecherischer Regime ein Fortschritt ist und dass sich die soziale Lage in Südamerika durch die Politik der aktuellen linken Regierungen deutlich verbessert hat", so Lafontaine.
Herr Lafontaine, es gab im Vorfeld Ihres Kuba-Besuchs Spekulationen über die Gründe der Reise. Klären Sie uns auf: Worum ging es?
Lafontaine: Wir sind nach Kuba gekommen, weil wir an der Entwicklung des Sozialismus des 21. Jahrhunderts interessiert sind. In der Karibik und in Südamerika ist das ja ein großes Thema. Deshalb war es für uns wichtig, diese neue Entwicklung aus erster Hand kennen u lernen. Es ging uns auch um die Zusammenarbeit zwischen Kuba, Venezuela, Bolivien und Ecuador.
Was bedeutet Ihnen der Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Sollte dieses Konzept auch von der deutschen Linken diskutiert werden?
Lafontaine: Wir waren uns bei den Gesprächen hier in Kuba einig, dass es den einen, homogenen Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht gibt. Jedes Land hat seine eigenen historischen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen. Jedes Land wird daher eigene Antworten finden müssen. Für uns Europäer stehen zwei Dinge im Zentrum der Sozialismusdebatte: die Machtkontrolle und die Steigerung der Produktivität. Das sind die Schlussfolgerungen, die wir aus Fehlern vergangener Jahrzehnte gezogen haben.
Sie haben in Havanna mit dem Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón und mit dem Außenminister Felipe Pérez Roque gesprochen. Worum ging es bei dem Treffen?
Lafontaine: Um die Veränderung der kubanischen Politik. Während Havanna früher auf die osteuropäischen Staaten, die Sowjetunion und Mitteleuropa orientiert war, hat man heute Südamerika und die Karibik im Auge. Besonders mit Venezuela gibt es bekanntlich eine enge Zusammenarbeit, ebenso mit Bolivien und Ecuador. Kubanische Ärzte werden dorthin entsendet, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Nach dem verheerenden Erdbeben in Peru helfen auch dort kubanische Mediziner.
Sie waren das letzte Mal 1988 in Havanna. Seither hat sich nicht nur bei Ihnen viel verändert – Sie waren damals noch SPD-Ministerpräsident des Saarlandes -, sondern natürlich auch in Kuba selbst. Welche Unterschiede sehen Sie vor Ort?
Lafontaine: Die Wirtschaft hat sich offenbar gut entwickelt, und der Rückschlag vom Anfang der neunziger Jahre ist überwunden. Der Tourismus hat deutlich zugenommen. Hervorragend entwickelt ist nach wie vor das Gesundheits- und Bildungswesen. Probleme hat Kuba mit der Landwirtschaft, beim Wohnungsbau und beim öffentlichen Personennahverkehr. Man ist sich in Kuba klar darüber, dass die Produktivität der Volkswirtschaft gesteigert werden muss.
Im Vorfeld Ihrer Reise hat es auch Kritik gegeben, nicht nur aus der Sozialdemokratie, sondern auch von den Grünen. Deren Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hat gefordert, Sie müssten in Kuba die Achtung der Menschenrechte ansprechen. Was entgegnen Sie ihm?
Lafontaine: wir haben die Menschenrechtsfrage natürlich ausführlich erörtert. Ebenso die Frage der Religionsausübung. Es ist das übliche Spiel, wenn mit uns konkurrierende Parteien die Menschenrechtsfrage wichtigtuerisch instrumentalisieren. Es geht dabei wohl eher darum, sich von uns abzugrenzen und uns zu diffamieren.
Ganz unkritisch ist das Thema aber auch in Ihrer eigenen Partei nicht behandelt worden …
Lafontaine: Es mag die eine oder andere vereinzelte Stimme geben, die die Zusammenarbeit mit Kuba kritisiert. Aber die große Mehrheit der Partei, dies hat auch der letzte Bundesparteitag gezeigt, legt Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit Kuba. Und die muss ja nicht unkritisch sein.
Sie haben wiederholt positiv auf die linken Regierungen in Lateinamerika Bezug genommen. Dabei ging es vor allem um Bolivien und Venezuela. Wie beurteilen Sie den Umbruch in der Region?
Lafontaine: Man muss diese Entwicklung immer vor dem Hintergrund der Geschichte dieser Länder sehen. Die jetzigen Regierungen in Südamerika sind häufig aus dem Kampf gegen korrupte Diktaturen entstanden. Wenn man die Entwicklung ehrlich beurteilen will, dann muß man das immer im Hinterkopf behalten. Es ist zum Beispiel ein großer Fortschritt, wenn nach jahrhundertelanger Unterdrückung mit Evo Morales ein Angehöriger der Aymara-Volksgruppe zum Präsidenten Boliviens gewählt wird. Diese Entscheidung ist in ihrer Symbolhaftigkeit einmalig. Es ist ebenso von großer Bedeutung, wenn die Bodenschätze dieser Länder nicht mehr den Reichtum transnationaler Konzerne steigern, sondern wenn sie eingesetzt werden, um die soziale Lage der Menschen in diesen Ländern zu verbessern.
Der australische Journalist John Pilger hat die teils aggressive Ablehnung von Hugo Chávez in Europa darauf zurückgeführt, dass er die Rolle der Sozialdemokratie übernommen habe, weil diese inzwischen keine Ideale mehr habe. Teilen Sie diese Einschätzung?
Lafontaine: Ich würde nicht unbedingt auf die Sozialdemokratie Bezug nehmen. Ich glaube, dass insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika und viele derjenigen, die ihre Politik unterstützen, nicht zu einer fairen Beurteilung der Entwicklung in Südamerika fähig sind.
Was wäre eine faire Beurteilung?
Lafontaine: Eine faire Beurteilung müsste zu dem Schluss kommen, dass die Ablösung korrupter, verbrecherischer Regime ein Fortschritt ist und dass sich die soziale Lage in Südamerika durch die Politik der aktuellen linken Regierung deutlich gebessert hat.
Interview: Harald Neuber
Homepage: www.harald-neuber.de
CUBA LIBRE 4-2007