11. September

In Bolivien, wo vorher Armut und Vergessen herrschte, beginnt eine bessere Welt anzubrechen: Jenes Mädchen, das im Norden fast an der Grenze zu Brasilien wohnt, wird kostspielige und wirksame Behandlung erhalten, um ihr krankes Herz zu retten. Der alte Indio, praktisch blind, wird wieder jeden Morgen die Sonne begrüßen können, die zwischen den Gipfeln der Anden zum Vorschein kommt, und sicherlich fühlen, dass es endlich Gerechtigkeit geben wird für die Urvölker.

Trotzdem, genauso wie es in Chile geschah, beginnt dieses Lakaienbürgertum, widerwillig und weit weg von allem, was nicht die Vermehrung von Reichtümern und Privilegien bedeutet, vereint mit den mächtigen Besitzern der transnationalen Ölfirmen – den "Schiebern", wie sie Präsident Morales nennt – den bekannten Weg der Verschwörung einzuschlagen, der Sabotage und des Terrorismus, um das Land zu spalten und der Regierung die für das schon in Gang gesetzte soziale Entwicklungsprogramm notwendigen Geldmittel zu rauben.

Andererseits kocht Venezuela vor Aktivität im Aufbau und der Konsolidierung: in den Bereichen der Verteilung, der Bodenreform, der Schaffung von Kooperativen, der Diversifizierung der Wirtschaft, des Erziehungswesens, des Gesundheitswesens, des Sports, der Politik, der Außenpolitik – auf allen Ebenen sieht man eine gigantische Kraft eines Volkes in der Revolution. Ein Volk, dem in 40 Jahren die millionenfachen Geldmittel vorenthalten wurden und das zum ersten Mal über sie für sich verfügt und um mit anderen zu kooperieren, einschließlich der Opfer von New Orleans und der Bewohner von Armenvierteln in den Vereinigten Staaten.

Während dies auf dem Festland unseres Amerika geschieht, vereinen sich ab heute und während einer Woche die Repräsentanten praktisch der gesamten Dritten Welt auf der Insel Kuba (wo gerade mit großem Schwung das neue Schuljahr eingeleitet wurde und tausende Brigaden sich gegen die Fliege Aedes Aegyptii – Überträger des Dengue-Fiebers – mobilisieren), um wichtige Themen und konkrete Aktionen für die nächste Zeit zu diskutieren.

Vom 11. bis 16. September wird in Havanna der 14. Gipfel der Bewegung der Blockfreien Länder stattfinden, genau 45 Jahre nach ihrer Gründung. Es werden 118 Nationen teilnehmen, mehr als 50 Staatschefs, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Präsident der Afrikanischen Union und der Generalsekretär der Arabischen Liga. Dortselbst im Rahmen des Gipfels werden auch das ministerielle Komitee über Palästina sowie zwei wichtige internationale Foren tagen. Die Gruppe der 15 besteht aus Ländern mit höherem ökonomischen Entwicklungsniveau, deren Themen unter anderen die Süd-Süd-Kooperation und die Aushandlung besserer Zollkonditionen in ihrem Außenhandel sein werden. Zu dieser Gruppe gehören u.a. Brasilien, Argentinien und Mexiko; der Vorsitz wird vom Iran wahrgenommen.

Es wird auch die Gruppe der Länder ohne Küsten unter dem Vorsitz von Laos tagen, d.h. diejenigen, die keinen Zugang zum Meer besitzen. Dazu gehören 31 Nationen, unter anderem auch Länder wie Bolivien und Paraguay.
Einverständlich mit dem Koordinationsbüro werden als Gäste 34 Delegationen der Europäischen Union und anderer entwickelter Länder teilnehmen.

Die Bewegung der Blockfreien Länder, entstanden aus der Verteidigung des Prinzips, sich nicht einem der zwei damals existierenden Blöcke (dem Warschauer Pakt oder der NATO) anzuschließen, wurde wie gesagt vor 45 Jahren in Belgrad in der Anwesenheit von 25 Nationen gegründet und hat in seiner Geschichte verschiedene Perioden durchlebt. Sie konnte mit der aktiven Präsenz so großer historischer Figuren der Dritten Welt rechnen wie Gamal Abdel Nasser, Tito, Nehru, Fidel, Indirah Gandhi, um nur einige zu nennen.

Im Vorfeld wurde angekündigt, dass das Prinzip der Blockfreiheit erneut in seiner Gültigkeit bestätigt werden wird sowie erweitert in dem Sinne des Nichtbeitritts zum Neoliberalismus, zum Unilateralismus, der Aggression, dem Gebrauch der Stärke, um internationale Angelegenheiten zu "lösen" und der Verletzung des internationalen Rechts. Außerdem wird der Gipfel eine Tribüne sein, um die präpotente Sprache des Imperiums anzuklagen, die präventiven Kriege, die Existenz der Geheimgefängnisse, der Folter von Gefangenen, der Verletzung des Völkerrechts und der Rechte der Völker. Gleichzeitig wird das Vorhaben verkündet werden, eine multipolare und multilaterale Welt zu errichten.

Kuba, das Land, das zum zweiten Mal den Vorsitz der Bewegung übernimmt, wird neben anderen Initiativen drei konkrete Programme der Kooperation vorstellen, um Humankapital im Bereich des Gesundheitswesens, der Alphabetisierung und des vernünftigen Gebrauchs von Energie zu schaffen.
Die aktuelle unipolare Welt stellt die Bewegung der Blockfreien Länder vor größere Herausvorderungen als in der Gründerzeit. Deshalb hat der Gipfel in Havanna eine enorme Bedeutung.
Dass dieser Gipfel an einem 11. September eröffnet wird, kann auch die Bedeutung haben, dass es sich um eine Alternative handelt, eine neue, gerechte und solidarische internationale Weltordnung von unten her aufzubauen, von den ausgebeuteten Ländern her. Ist es doch der Tag des Beginns der Militärdiktatur in Chile und somit der gewalttätigen Einsetzung des Neoliberalismus sowie das Datum des bis heute nicht aufgeklärten Einsturzes der Twin Towers in New York, eines Vorfalls, der Tausende das Leben gekostet und den Weg frei machte für eine neue Phase der imperialen Herrschaft.

CUBA LIBRE September 2006
María Rojas

CUBA LIBRE 1-2007