Beim letztjährigen Havanna-Marathon zeigte sich das Wetter als komplettes Gegenteil von dem 2002. Zu dieser Jahreszeit ist vieles möglich – auch ein plötzlicher Sommereinbruch.
Von angenehmen morgendlichen Temperaturen stiegen die Werte unter blauem Himmel bis zum Mittag auf gnadenlose 32 Grad Celcius an. Dem nicht genug, handelte es sich dabei um die tropisch-feuchte Variante von Hitze. Äußerst läuferunfreundlich. Die Routiniers prophezeiten auch schon vorher eine langsame Marathonzeit voraus.
Apropos Zeiten: Die Stärken der cubanischen Leichtathleten liegen gegenwärtig bisher sowieso (noch) nicht im Marathonlauf. Die nationalen Bestzeiten datieren etwa aus den Jahren 1989 mit 2:10:53 (Ignaci. A. Cuba) bei den Männern und 1992 mit 2:36:55 (Emperatriz Wilson) bei den Frauen. Bald 100 Jahre ist es her, dass ein Cubaner bei den Olympischen Spielen reden machte. Als armer Briefträger hatte Félix Carvajal sich das Geld für die Reise werbend auf der Antilleninsel erlaufen müssen und war schließlich nach vielen Wirren per Anhalter in die Olympiastadt nach St. Louis gelangt. Mit langen Hosen und Straßenschuhen wurde er dort – er war der einzige Vertreter Cubas – Olympiavierter im Marathon. Carvajal ist für die Organisatoren des Marabana der legendäre Vorreiter. Anno 2003 indes setzten sich neben hier bekannten Seriensiegern auch ein hoffnungsvoller Marathonaußenseiter in Szene. Nach dem Startschuss durch José R. Fernandez, Präsident des cubanischen Olympischen Komitees, lief Aguelmis Rojas De Armas beim Halbmarathon in 1:04:39 einen unangefochtenen Start-Ziel-Sieg heraus und gewann zum vierten Mal in der cubanischen Hauptstadt.
Und das trotz bereits erwähnter Hitze in neuer persönlicher Bestzeit. Während Mariela González Torres (1:15:39 h) ihren siebten Sieg erzielte, brachte es ihre Landsmännin und immer noch cubanische Rekordhalterin Emperatriz Wilson Traba sogar zu ihrem zehnten Erfolg. Beim Einlauf des Marathonsiegers fehlte es allerdings nicht an Dramatik: Schon mehrfach vom Sprecher angekündigt, erwarteten die Zuschauer suchenden Auges den Spitzenreiter. Doch obwohl das Führungsfahrzeug auf dem Malecón schon zu sehen war, ließ der Zieleinlauf auf sich warten. Wie sich zeigte, hatte der Debütant und in cubanischen Fachkreisen noch unbekannte 23-jährige Yosbel Arbolaéz Hernandez große Mühe auf den letzten Metern. Zum Glück hatten sich alle um ihn herum zurückgehalten, sonst wäre er womöglich noch wegen unerlaubter Hilfestellung um seinen verdienten Sieg gebracht worden. So siegte er dennoch in 2:32:40 h mit sicherem Vorsprung vor der Konkurrenz. Auf den weiteren Plätzen zwei und drei folgten seine Landsmänner Alexis Cuba Carreto (2:34:01) und Angel Laudinot Arreche (2:34:09). Bester Deutscher wurde auf Platz Acht mit 2:40:56 h Thomas Deutsch. Von den 158 im Ziel registrierten Marathonis (darunter 22 Frauen) blieben 26 unter der Dreistundenmarke.
Nochmal zurück zum Stichwort Hitze: Für viele Strapazen und die unbändige Hitze entschädigt wurden die Sportler durch die Streckenführung, die zwischen Malecón und Capitol an zahlreichen Sehenswürdigkeiten der bald 850 Jahre alten Stadt vorbei führte. Etwas schade nur, dass das Leben auf den Straßen der Stadt erst richtig nach Sonnenuntergang zu pulsieren beginnt, da bewirkten einige wenige Jahre Marathontradition an einem Sonntagmorgen noch keine Gewohnheitsänderung bei den Habaneros, um sie an die Laufpiste zu holen. Um so mehr bemühten sich die wenigen Fans am Straßenrand den teils sehr einsamen Athleten aufmunternde Worte mit auf den Weg zu geben. Denn, wenn es etwas ausreichend gibt in diesem Land, dann sind es freundliche, offenherzige Menschen alle Hautfarben, denen man auf Schritt und Tritt begegnet.
Runners World
CUBA LIBRE 2-2004