Die XIII. Buchmesse in Havanna ist wieder einmal ein groίes Volksfest ...

Auf dem malerischen und dabei riesigen Gelände der Festung San Carlos de la Cabana strömen sie alle zusammen: Romanautorinnen, Historiker, PolitikerInnen, Dichter, Naturwissenschaftlerinnen, Wirtschaftsfachleute, ArchitektInnen, Philosophen, ErzählerInnen und Comiczeichner, Familien mit kleinen Kindern, Großeltern, Schulkinder und Liebespärchen … um ihre Ideen auszutauschen, um sich gegenseitig zuzuhören, um 'Bücher zu feiern'.

Manchmal wird das erstandene Buch gleich nebenan auf der Wiese verschlungen – man macht es sich gemütlich, redet mit Gleichgesinnten und isst und trinkt gemeinsam. Das Wetter spielt mit. Bis auf einen Tag herrschen trotz des Februars sommerliche Temperaturen.

Kultur in Hülle und Fülle: an den Ausstellungstischen an denen debattiert wird, in jedem Winkel, Bücher und – Musik.

So unterschiedliche Musikrichtungen wie Aceituna sin Hueso (eine wunderbare Gruppe, die Musik aus allen Ländern der Welt in Perfektion zu ihrem eigenen unverwechselbaren Stil gemacht hat) und eine Rockgruppe aus Berlin.

Es gibt aber auch so bedeutende Veranstaltungen, wie eine Konferenz unter dem Titel "Zur Verteidigung der Menschheit", oder "Der Intellektuelle und der Markt der Ideen" bei der James Petras, Professor für politische Ethik an der Universität von Binghampton, New York, der venezolanische Denker Luis Britto, der deutsche Professor Heinz Dietrich, der in Mexiko lehrt und lebt, der argentinische Soziologe Atilio Boron, der mexikanische Soziologe Pablo Gonzalez Casanova und die spanischen Schriftsteller Carlo Fabretti und Andres Sorel sich Gedanken über die Rolle des heutigen Intellektuellen machten. Sie kamen zu dem Schluss, dass es trotz des durch die Postmoderne erklärten Tod des Subjekts, trotz Zensur und dem Einfluss der großen Massenmedien, immer mehr werden, die durch die alternativen Medien denen eine Stimme geben, die sonst nie gehört werden.

Sie vermissen dabei die Größen des deutschen Geisteslebens? Sie waren geladen. Alle, die in Cuba freie Meinung unterdrückt sehen, hatten die Chance, dort ihre Sicht der Dinge kundzutun. Jetzt hätten sie den CubanerInnen einmal zeigen können, was sie unter Meinungsfreiheit verstehen. Aber sie kamen nicht. Warum eigentlich nicht?

Wahrscheinlich geht es ihnen so, wie dem in London lebenden cubanischen Schriftsteller Cabrera Infante, der auch immer behauptet, in Cuba würden im Ausland lebende Schriftsteller nur gedruckt wenn sie tot sind. Damit er diese Behauptung aufrecht erhalten kann, weigert er sich konstant, cubanischen Verlagen, die Interesse an einigen seiner Erzählungen haben, diese zur Verfügung zu stellen (In Cuba sind bis heute Werke von 78 im Ausland lebenden Schriftstellern veröffentlicht worden und die große Mehrheit von ihnen durfte ihre Veröffentlichungen noch erleben.)

Wenn die deutschen AutorInnen gemeinsam mit cubanischen Intellektuellen und SchriftstellerInnen öffentlich auf den verschiedenen Foren diskutiert hätten, könnten sie auch nicht mehr so überzeugend auf ihrer Repressionsschiene weiterfahren. Da bleibt man doch lieber zuhause und sich selbst treu.

Aber immerhin, da gibt es die zaghaft ausgestreckte Hand einiger deutscher SchriftstellerInnen. Wenn man sich schon nicht selber nach Cuba wagt, so dürfen die CubanerInnen wenigstens in den Genuss ihrer Werke kommen. Günter Grass, Christa Wolf und Uwe Timm schenkten Cuba die Rechte für ihre neuesten Bücher. Aus Achtung für die deutsche Kultur gab daher das renommierte cubanische Verlagshaus Arte y Literatura, das normalerweise auf die Literatur der ganzen Welt spezialisiert ist, in diesem Jahr überwiegend deutsche Literatur heraus. Wenn man dabei bedenkt, dass das Land nicht gerade im Geld schwelgt, ist diese Geste besonders hoch zu bewerten.

Im Krebsgang von Günter Grass, Der Schlangenbaum von Uwe Timm, Medea von Christa Wolf sind die aktuellen deutschen Bücher, die man verlegen konnte, da die Autoren kein Geld dafür verlangten.

Es wurden aber auch zwei Anthologien deutscher Gedichte, eine von klassischen und eine andere mit modernen verlegt. Besonders hervorzuheben ist, dass es sich dabei um die ersten Übersetzungen dieser poetischen Werke in spanischer Sprache handelt.

Für die Kinder gab es einen wunderschönen Kinderpavillon und die Märchen der Gebrüder Grimm. Damit ist wirklich eine Lücke gefüllt worden, denn schöne Märchenbücher sind schon lange nicht mehr zu bekommen, aber heißbegehrt. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Ein schönes, in Spanien herausgegebenes Märchenbuch, das wir vor Jahren einer kleinen Freundin in Trinidad geschenkt hatten, ist dort inzwischen richtig gehend berühmt. Es hat sich zu einer Art Wanderbuch entwickelt und bereits viele Familien und die Grundschule kennen gelernt.

Nun sind die CubanerInnen ja ganz heiß auf Bücher, besonders da zu Beginn der90er Jahre erst einmal der andere Hunger gestillt werden musste, bevor man wieder daran denken konnte, den Lesehunger zu stillen. Jetzt ist zwar der andere Hunger gestillt, aber die Befriedigung des Lesehungers ist kostspielig. Da man nicht so lange warten wollte, bis das Geld vorhanden war, ganz Cuba mit Paperbacks beglücken zu können, kam man auf die Idee der "periolibros".

So was gibt es nirgendwo und deshalb gibt es auch keinen deutschen Begriff dafür, aber "periolibros" sind so etwas wie Zeitungsbücher. Sie gibt es seit zwei oder drei Jahren in der Form der "Familienbibliothek". Das ist ein Karton mit Bastelanleitung für 28 große Werke der Weltliteratur. Es ist in jeder Buchhandlung gegen Pesos erhältlich. Inzwischen gibt es einen zweiten Karton. Allerdings sind die "periolibros" auch einzeln zu haben, wenn einem soviel Weltliteratur auf einmal zu viel ist. Bevor man sie lesen will, muss man sie erst aufschneiden und alternativ binden oder heften – aber von Boccacios Decameron über Romeo und Julia von Shakespeare zu Kafkas Erzählungen hat man so die ganze Welt für wenig Geld zuhause.

Diese Art zu lesen ist etwas gewöhungsbedürftig, aber die CubanerInnen sind ja sehr flexibel und sie denken sich wohl: besser periolibros als überhaupt keine libros.

Nun hat ihnen auch diese Buchmesse wieder einen neuen Schwung dieser Gattung beschert – und gleich sechs davon in deutscher Literatur z.B. "Galilieo Galilei" von Brecht. "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll, "Ecos" - eine Wiederauflage von Alexander Humboldt und anderen. Zur Förderung der cubanischen Allgemeinbildung wurde diese deutsche Literatur auf der Buchmesse gratis abgegeben. Der deutsche Tourist darf sich also jetzt schon darauf freuen, mit seinen cubanischen Gastgebern über die "phantastischen Erzählungen" E.T.A. Hoffmanns oder Katharina Blum plaudern zu können.

Alles in allem hätten die CubanerInnen also schon jede Menge deutscher Kultur in Eigenproduktion bekommen. Trotzdem war man natürlich froh, dass auch noch leibhaftige Deutsche sich den Kulturboykott widersetzt haben. Denk der Bemühungen von Cuba Sν, deren Aktive sich sofort nach der Entscheidung der Regierung, die Buchmesse zu boykottieren, ins Zeug gelegt hatten, waren bei dieser XIII. Buchmesse so viele deutsche Verlage wie nie zuvor gekommen: 33 an der Zahl und zusammen mit 4 akademischen Institutionen und Bibliotheken nahmen sie mit 170 qm den größten Stand auf der Messe ein.

Es muss so beeindruckend gewesen sein, dass er als der schönste von allen Gastländern ausgezeichnet wurde – aber vielleicht war dies auch nur eine weitere Freundlichkeit des Gastgebers. Es sind aber noch nie so viele ausländische Besucher gekommen, insgesamt waren 24 Länder vertreten. 100 AusstellerInnen, 43 ausländische und 57 cubanische, vertraten mehr als 250 Verlage. Jorge Timossi, Journalist aus Argentinien, der in Cuba lebt und als Vizepräsident des Instituto Cubano del Libro die Buchmesse mitorganisiert hat, stellte fest: "Es gibt eine sehr starke europäische Präsenz, gerade von den Ländern, deren Regierungen versucht haben, uns zu blockieren, z.B. Spanien, Frankreich und besonders Deutschland."

Vertreter der deutschen Botschaft waren auch zu Besuch auf der Buchmesse, allerdings 'rein privat'. Muss ein dummes Gefühl gewesen sein. Als ich dem für Kultur Zuständigen der deutschen Botschaft im Sommer sagte, dass ich froh sei seinen Job nicht zu haben damit ich so eine Politik nicht vertreten müsste, guckte er so, als ob er selber auch froh darüber gewesen wäre …

Jetzt versuchte man zwar, die anwesenden Deutschen noch in die Botschaft einzuladen, aber man konnte nicht ernsthaft glauben, dass sie auch kommen würden. Innerhalb der deutschen Delegation wurde zwar kurz diskutiert die Botschaft bei einem Besuch zu besetzen – aber schließlich entschloss man sich, lieber einfach nicht hinzugehen.

Als BesucherIn war frau/man zunächst auf dem riesigen Gelände der Festung La Cabana etwas verloren. Am ersten Tag gestaltete sich die Suche nach einem Lageplan als schwierig – es gab noch keinen. Zwei Tage später aber, siehe da, reichte einem die freundliche Toilettenfrau gleich drei Blatt davon. So konnte der Besucher mit zwei Exemplaren ein Bedürfnis stillen und das dritte Exemplar seiner eigentlichen Bestimmung zuführen.

Wenn schon die sich nicht um die deutsche Kultur kümmern dürfen, die eigentlich dafür bezahlt werden, so gab es andere, die diese Rolle gut ausgefüllt haben.

Der deutsche Bibliothekar Ralf Manfred Hasse z.B. hat sich im Rahmen dieser Buchmesse besonders um den Kulturaustausch verdient gemacht. Er schenkte Cuba Exemplare der schönsten Bücher, die jemals in Deutschland herausgegeben wurden. Im ganzen handelte es sich um zweitausendfünfhundert Exemplare. Fünfzig davon, die eine Jury zu den schönsten des Jahres 2001 erklärt hatte, befinden sich jetzt in der Nationalbibliothek in Havanna. Sie sollten dort einen Raum bekommen, in dem die Annäherung an die deutsche Kultur gefördert werden soll.

Aber natürlich sind die CubanerInnen nicht nur wegen der deutschen Kultur und der deutschen Bücher auf die Buchmesse gekommen. Unter den 53 in Cuba neu herausgegebenen gehören z.b. auch Meridian der US-Amerikanerin Alice Walker, Fuego de Filadelfia von John Edgar Wideman und Light in August der Klassiker von Wiliam Faulkner. Die Preise sind in etwa wie im Jahr vorher, obwohl man daran gearbeitet hat, die Kosten zu senken. Die Papierqualität ist besser geworden, die Buchcovers sind ansprechender gestaltet, doch es bleibt auf diesem Gebiet immer noch viel zu verbessern. Aber wenn man bedenkt, dass ein Buch wie Ensayo sobre le ceguera des Nobelpreisträgers Jose Saramago noch nicht einmal 15 Pesos kostet, so liegt das Welten unter dem Preis, den man irgendwo sonst auf der Welt dafür bezahlen müsste.

In diesem Jahr war die Buchmesse der cubanischen Dichterin Carilda Oliver Labra gewidmet. Ihr zu Ehren gaben verschiedene cubanische Verlage ihre Werke und Biographien über sie heraus und es fand ein Colloquium über ihr Werk statt.

An Werktagen war die Buchmesse gut besucht, am Wochenende platzte sie aus allen Nähten. CubanerInnen lieben die Atmosphäre, den Gedankenaustausch, die Bücher im allgemeinen. Hier geht es nicht um tote Bücher, die in irgendeinem Bücherschrank ihr Dasein fristen. Wenn sich er Besucher oder die Besucherin sich schließlich mit einigen Büchern unterm Arm auf den heimweg macht, kommen sicher bald einige Interessiert dazu: "Kann ich mal das andere sehen? Ja, das kenn ich schon, das ist gut. Darf ich mal das andere sehen? Schein interessant zu sein. Morgen gehe ich auch mit meinen Kindern hin."

Noch Monate später schwärmt man von der "Feria del libro" und freut sich schon auf die nächste.

Aber es gab nicht nur Bücher, sondern Kultur pur.

Im Stadtteil Vedado kann man wunderschöne Wandmalereien zu Themen aus Bertold Brechts Werken bewundern. Hier hat der cubanische Maler William Hernandez Szenen aus Mutter Courage und ihre Kinder, Galileo Galiliei und dem kaukasichen Kreidekreis verewigt. Bei der Einweihung waren der Kulturminister Abel Prieto, der dichter Roberto Fernandez Retamar und Manfred Weckwert, ein Brechtschüler, anwesend.

Brecht, nach dem in Havanna ein Theater benannt ist, kennt in Cuba jedes Kind. Silvio Rodriguez hat ihm mit seinem "sueno con serpientes" ein unvergessliches Lied gewidmet und Retamar, tief beeindruckt noch einem Besuch in Brechts Haus, ein bekanntes Gedicht.

Für die deutschen Besucher war es faszinierend, Brechts Werke, die während der ganzen Zeit aufgeführt wurden, in spanischer Sprache zu erleben. Aufstieg und Fall des Arturo Ui, die Flüchtlingsgespräche, Galileo Galilei, alle in Perfektion dargeboten.

Im Cine de la Rampa fand am 8. Februar die cubanische Premiere des deutschen Dokumentarfilms "Das Geheimnis der Fledermaus" statt. Der Film über die Machenschaften der Firma Bacardi wurde in Deutschland bereits in Arte und mehrmals im WDR gezeigt.

Zu diesem Film hat die FG einen besonderen Bezug, da wir die Anti-Bacardi Kampagne in Deutschland initiiert und auch das Buch "Im Zeichen der Fledermaus" übersetzt und mit dem Papyrossa Verlag herausgegeben haben. Nun wurde also der Film, den wir vorher noch spanisch synchronisiert hatten, im Beisein von Ekkehard Sieker, einem der Filmemacher, in Havanna uraufgeführt. In VHS Version aber mit einem sehr guten Beamer. Jemand hielt eine Rede, die Ekkehard, der kein spanisch kann, leider nicht verstand. Dann sollte er eine Rede halten, was ihm sehr unangenehm war, weil er nicht wusste, ob er nicht noch einmal das gleiche erzählen würde, wie sein Vorredner. Seine Worte allerdings wurden für das cubanische Publikum übersetzt. Am ende waren alle voll des Lobes.

Man kam mit dem Vizepräsidenten des ICAIC überein, den Film demnächst im cubanischen Fernsehen zu zeigen. Außerdem soll er an den nächsten Filmfestspielen teilnehmen, die jeweils am Ende des Jahres in Havanna stattfinden. Den Veranstaltern wurden 30 Kopien in die Hand gedrückt, damit sie den Film auch in den Städten der Provinzen zeigen können, wohin die Buchmesse ziehen wird, nachdem sie ihre Tore in Havanna geschlossen hat.

Die Feria del Libro in Havanna war ein großes Volksfest, mit Büchern, Spielen, Unterhaltung und viel Kultur, aber ohne Nepp. 450.000 Menschen besuchten sie und 1.000.000 Bücher wurden verkauft. Es ist bewundernswert, dass ein Land in einer so schwierigen Situation wie Cuba seiner Bevölkerung so viele Bücher anbieten kann und dass es gelingt so viele Menschen für Kultur zu begeistern.

Zu beginn war die Buchmesse auf die Hauptstadt konzentriert. Seit einigen Jahren zieht die Messe weiter in die Provinzen damit auch auf dem Land die Menschen den gleichen Zugang zur Kultur haben wie in der Hauptstadt. Leer es crecer – Zu lesen bedeutet zu wachsen.

Im nächsten Jahr wird Brasilien das Gastland der Messe sein. Ein Land, das diese Ehre sicherlich würdigen wird.

CUBA LIBRE Renate Fausten

CUBA LIBRE 2-2004