Die Verantwortung der Intellektuellen: Cuba, die USA und die Menschenrechte

Einmal mehr sind die Intellektuellen ins Zentrum einer Debatte eingetreten – diesmal zum Thema USA, Imperialismus und die Menschenrechte in Cuba. "Wie wichtig ist die Rolle der Intellektuellen?", fragte ich mich, als wir an einem sonnigen Samstagnachmittag (26.April 2003) am "Puerto del Sol" in Madrid vorbeispazierten und die Anti-Castro-Slogans von ein paar hundert Demonstranten hörten, deren Echos auf der fast leeren Plaza widerhallten. Trotz einem Dutzend Artikel und Meinungsspalten aus der Hand wohlbekannter Intellektueller in Madrids führenden Zeitungen und Stunden von Fernseh- und Radiopropaganda sowie Gutheißungen durch die höchsten Gewerkschaftsbürokraten und Parteibosse tauchten nur 700 bis 800, zumeist cubanische Exilanten, auf, um Cuba zu attackieren. "Offensichtlich", dachte ich, "haben die anticubanischen Intellektuellen wenig oder gar keine Macht, Massen zu bewegen, zumindest in Spanien." Aber die politische Impotenz der Anti-Castro-Schreiber bedeutet nicht, dass Intellektuelle generell keine wichtige Rolle spielten; auch bedeutet der Mangel an öffentlichem Publikum nicht, dass sie ohne Ressourcen wären, besonders dann, wenn sie auf Unterstützung durch die US-amerikanische Kriegs- und Propagandamaschine zählen können, die ihre Worte in der ganzen Welt verstärkt und verbreitet. Um zu einer vernünftigen Argumentation hinsichtlich der wütenden Debatte unter Intellektuellen über das Thema Menschenrechte in Cuba und US-Imperialismus zu finden, ist es notwendig, einen Schritt zurück zu gehen und die Rolle der Intellektuellen, den Kontext und die wesentlichen Themen zu betrachten, die den Rahmen des USA-Cuba-Konfliktes bilden.

Die Rolle der Intellektuellen

Die Rolle der Intellektuellen besteht darin, Klarheit in die wesentlichen Themen zu bringen und in jeder historischen Phase die Bedrohungen für Frieden, soziale Gerechtigkeit, nationale Unabhängigkeit und Freiheit zu definieren sowie diejenigen zu identifizieren und zu unterstützen, die diese Prinzipien verteidigen. Intellektuelle haben eine Verantwortung, zu unterscheiden zwischen Defensivmaßnahmen, welche von Ländern und Völkern ergriffen werden, die sich einem imperialen Angriff ausgesetzt sehen, und offensiven Methoden imperialer Mächte, die auf Eroberung aus sind. Es ist der Gipfel der Heuchelei, einer Gleichmacherei von Gewalt und Repression eroberungslüsterner Staaten mit Drittweltländern unter militärischer und terroristischer Attacke das Wort zu reden. Verantwortungsbewusste Intellektuelle untersuchen kritisch den politischen Kontext und analysieren die Beziehungen zwischen imperialer Macht und bezahlten örtlichen Funktionären, die sie als "Dissidenten" bezeichnen. (...) Engagierte Intellektuelle, die für sich in Anspruch nehmen, mit moralischer Autorität zu sprechen, insbesondere solche, die Wert darauf legen, als antiimperialistisch zu gelten, haben eine politische Verantwortung, die Macht, den Staat und die Manipulationen durch die Medien zu entmystifizieren, vor allem in Bezug auf imperiale Rhetorik über Menschenrechtsverletzungen in unabhängigen Ländern der Dritten Welt. Wir haben in der letzten Zeit zu viele selbsternannte "progressive" westliche Intellektuelle erlebt, die entweder die US-Zerstörung Jugoslawiens, die ethnische Säuberung an über 250.000 Serben, Zigeunern und anderen im Kosovo unterstützten oder darüber Stillschweigen bewahrten, indem sie die US-Propaganda einer "humanitären Intervention" bereitwillig schluckten. Alle Intellektuellen in den USA (Chomsky, Zinn, Wallerstein etc.) begrüßten den mit US-Mitteln finanzierten gewalttätigen fundamentalistischen Aufstand gegen die von den Sowjets unterstützte säkulare Regierung in Afghanistan unter der Prämisse, dass die Sowjetunion eine "Invasion" in Afghanistan durchgeführt habe und dass die fundamentalistischen Fanatiker, die von überall her ins Land strömten, "Dissidenten" seien, die um ihre "Selbstbestimmung" kämpften – ein inzwischen zugegebener Propaganda-Coup des sich damit brüstenden ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters Zbig Bryzinski. Damals wie heute wedeln bekannte Intellektuelle mit ihren früheren Referenzen als "Kritiker" der US-Außenpolitik, um ihrer uninformierten Denunziation angeblicher moralischer Rechtsverletzungen auf Cuba Glaubwürdigkeit zu verleihen, wobei sie Cubas Inhaftierung bezahlter Handlanger des US State Departments und die Exekutierung dreier terroristischer Kidnapper mit völkermordenden Kriegsverbrechen des US-Imperialismus gleichsetzen. Die solche moralische Gleichsetzung praktizieren, betrachten Cuba durch ein Mikroskop und die USA durch ein Teleskop – was ihnen eine gewisse Akzeptanz bei den liberalen Sektoren des Imperiums einträgt.

Moralische Imperative und cubanische Realitäten: Moral als Verlogenheit

Intellektuelle sind im Konflikt zwischen den USA und Cuba geteilt: Benedetti, Sastre, Petras, Sanchez-Vasquez, Pablo Gonzalez Casanova und eine Anzahl anderer verteidigen Cuba; Intellektuelle des rechten Flügels wie Vargas Llosa, Savater und Carlos Fuentes haben vorhersehbarerweise ihre üblichen bitteren Anklagen gegen Cuba veröffentlicht und eine kleine Armee von ansonsten progressiven Intellektuellen - Chomsky, Galeano, Saramago, Sontag, Zinn und Wallerstein – haben sich dem Chor angeschlossen, der Cuba verurteilt, wobei letztere auf ihre ehemals kritischen Positionen verweisen, um sich selbst vom rechten Flügel und den State-Department-Oppositionellen abzugrenzen. Es ist diese "progressive" Gruppe, die in der wachsenden antiimperialistischen Bewegung den größten Schaden verursacht hat und speziell gegen sie richten sich diese kritischen Betrachtungen. Moralität basierend auf Propaganda ergibt eine tödliche Mischung – besonders dann, wenn die moralischen Urteile von namhaften linken Intellektuellen kommen und die Propaganda von der extrem rechten Bush-Administration herrührt. Viele der "progressiven" Kritiker Cubas erkennen quasi im Vorbeigehen und in einer allgemeinen Weise an, dass sich die USA als ein feindseliger Aggressor gegenüber Cuba gezeigt haben, und sie gewähren Cuba "großzügig" das Recht auf Selbstbestimmung, um dann eine Serie von substanzlosen Anklagen und Falschdarstellungen abzufeuern – bar eines jeglichen Kontextes, der dazu dienen könnte, die Sachverhalte zu klären und eine argumentative Basis zur Verfügung zu stellen für ... "moralische Imperative". Am besten beginnen wir mit den grundlegendsten Fakten. Die linken Kritiker, die sich auf Verlautbarungen des US State Departments beziehen, klagen die cubanische Regierung der Repression gegen Individuen, Dissidenten, darunter Journalisten, Besitzer von privaten Bibliotheken, und Mitglieder von politischen Parteien, die versuchen, in gewaltfreien politischen Aktivitäten ihre demokratischen Rechte auszuüben, an. Was die "Progressiven" nicht erkennen oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ist, dass die Inhaftierten bezahlte Funktionäre der US-Regierung waren. Nach Angaben der "Agency of International Development" (AID), der führenden US-Bundesbehörde, die Gelder und Kredite für Bestimmungen vergibt, die im Interesse der US-Außenpolitik liegen, wurden im Zuge von USAID’s Cuba-Programm (das seit dem Helms-Burton-Gesetz von 1996 besteht) von 1997 an über 8,5 Millionen Dollar an cubanische Oppositionelle des Castro-Regimes gezahlt, damit sie durch Veröffentlichungen, Treffen, Propaganda zum Sturz der cubanischen Regierung in Koordination mit einer Reihe von US-amerikanischen NGOs, Universitäten, Stiftungen und anderen Frontgruppen agieren konnten. (Profil des USAID Programms auf der AID Website.) Entgegen seiner normalen Praxis kanalisiert das USAID Programm keine Zahlungen an die cubanische Regierung, sondern direkt an seine "dissidentische" Klientel in Cuba. Die Kriterien für Förderwürdigkeit sind klar umrissen: Die Empfänger von Zuwendungen müssen unmissverständlich gezeigt haben, dass sie für einen US-geleiteten "Regimewechsel" in Richtung "freie Märkte" und "Demokratie" sind – zweifellos ähnlich der US-kolonialistischen Diktatur im Irak. Das Helms-Burton-Gesetz, das USAID Cuba-Programm und ihre bezahlten cubanischen Helfershelfer verurteilen, ebenso wie das US-amerikanische progressive Manifest, die Abwesenheit von Freiheit in Cuba, sein Einsperren unschuldiger Dissidenten und fordern einen demokratischen Regimewechsel in Cuba. Ein seltsames Zusammentreffen, das eine Analyse nötig macht. Cubanische Journalisten, die von der AID Frontgruppe "Cuba Free Press" 280.000 Dollar erhalten haben, sind keine Dissidenten, sondern bezahlte Funktionäre. Cubanische "Menschenrechtsgruppen", die von dem CIA-Ableger "Freedom House" 775.000 Dollar erhalten, sind keine Dissidenten – besonders dann nicht, wenn ihre Mission darin besteht, einen "Übergang" (Umsturz) des cubanischen Regimes voranzutreiben. Die Liste von Förder- und Stiftungsgeldern an cubanische "Dissidenten" (Funktionäre) durch die US-Regierung im Interesse der US-Politik ist lang und detailliert und sie ist allen progressiven Moralkritikern zugänglich. Der Punkt ist, dass die inhaftierten Oppositionellen bezahlte Funktionäre der US-Regierung waren, bezahlt, um für die Ziele des Helms-Burton-Gesetzes in Übereinstimmung mit den Kriterien der USAID und unter der Leitung des Chefs der US-Interessenvertretung in Havanna zu arbeiten. Zwischen dem 2.September 2002 und März 2003 hielt James Cason, der Leiter der US-Interessenvertretung, Dutzende von Treffen mit cubanischen "Dissidenten" sowohl in seiner Wohnung, als auch in seinem Büro ab, wobei er sie instruierte, was sie schreiben und wie sie neue Anhänger rekrutieren sollten, während er selbst in aller Öffentlichkeit in undiplomatischster Weise gegen die cubanische Regierung polemisierte. Die cubanischen Funktionäre Washingtons wurden durch USAID mit elektronischen und anderen Kommunikationsgerätschaften ausgestattet, mit Büchern, weiterem Propagandamaterial und Geld, um über die US-Organisation "American Center for International Labor Solidarity" US-orientierte Gewerkschaften zu gründen. Dies sind keine wohlmeinenden "Dissidenten", die sich nicht über ihren Geldgeber und ihre Rolle als US-Agenten im klaren sind, denn der USAID Report hält (unter der Rubrik mit dem Titel "The US Institutional Context") fest: "Das Cuba-Programm speist sich aus einem ökonomischen Unterstützungsfond, der dazu dienen soll, wirtschaftliche und politische Interessen der US-Außenpolitik zu fördern durch Bereitstellung finanzieller Hilfe an Verbündete (sic) und Länder, die sich im Übergang zur Demokratie befinden." Kein Land der Welt toleriert eigene Bürger, die, von einer ausländischen Macht bezahlt, als "Dissidenten" für deren imperiale Interessen arbeiten. Das gilt besonders für die USA, wo es unter dem Titel 18, Sektion 951 des US Codes heißt: "Jeder, der sich bereiterklärt, innerhalb der Vereinigten Staaten unter der Leitung oder Kontrolle einer ausländischen Regierung oder eines ausländischen Regierungsvertreters tätig zu werden, wird strafrechtlich verfolgt und zu 10 Jahren Haft verurteilt." Außer natürlich, es handelt sich um einen bezahlten Agenten, der für die israelische Regierung arbeitet. Die "progressiven" Intellektuellen der USA geben ihre Verpflichtungen als Analytiker und Kritiker auf und akzeptieren auf den ersten Augenschein hin die Charakterisierung der mit US-Geldern bezahlten Funktionäre als für die "Freiheit" kämpfende Dissidenten durch das State Department. Einige Verteidiger der US-Agenten-Dissidenten behaupten, dass die Funktionäre zu "skandalös hohen Haftstrafen" verurteilt worden seien. Einmal mehr vermischt sich empirische Kurzsichtigkeit mit falschem Moralisieren. Cuba ist auf der Schwelle zum Krieg. Die Bush-Administration hat verkündet, dass Cuba auf der Liste militärischer Ziele sei, bedroht von Massenvernichtung und Krieg. Und, nur für den Fall, dass es unsere moralistischen Intellektuellen nicht wissen sollten: Was Bush, Rumsfeld und die kriegsgewinnlerischen Zionisten in der Regierung sagen – das führen sie auch durch! Der völlige Mangel an Seriosität in den moralischen Diktaten von Chomsky, Zinn, Sontag und Wallerstein besteht in ihrer Verkennung der unmittelbaren und massiven Bedrohung durch einen US-Krieg mit Massenvernichtungswaffen, der bereits angekündigt ist. Dies ist vor allem schwerwiegend, wenn man bedenkt, dass viele von Cubas Kritikern in den USA leben und wissen, wie schnell auf militärische Voraussagen völkermordende Aktionen folgen. Aber unsere Moralisten machen sich um den Kontext keine Gedanken, ebenso wenig wie um direkte oder nahe US-Drohungen gegen Cuba; sie ignorieren dies alles lieber, um dem State Department zu zeigen, dass sie nicht nur in Opposition zur US-Außenpolitik stehen, sondern auch zu jedem unabhängigen Land, System und Führer, bei denen sich eine Opposition zu den USA erkennen lässt. Mit anderen Worten, Mr. Ashcroft, wenn Sie die "Apologeten" des cubanischen "Terrors" sanktionieren, bedenken Sie, dass wir anders sind, denn auch wir verurteilten Cuba, auch wir verlangten einen Regimewechsel. Die Kritiker Cubas ignorieren, dass die USA eine doppelte militärisch-politische Strategie verfolgen, um Cuba zu übernehmen, die bereits angewandt wird. Washington gibt terroristischen Luftpiraten Asyl und ermuntert damit Bemühungen, Cubas auf dem Tourismus basierende Wirtschaft zu destabilisieren; es arbeitet eng zusammen mit der terroristischen Cubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung, die bemüht ist, cubanische Führer zu ermorden. Neue US-Militärbasen sind in der Dominikanischen Republik, in Columbien und El Salvador entstanden und es gibt ein ständig größer werdendes Konzentrationslager in Guantanamo – all dies, um eine Invasion zu vereinfachen. Das US-Embargo ist dabei, verschärft zu werden mit Unterstützung der Regimes von Berlusconi und Aznar in Italien und Spanien. Die aggressiven und unverhüllt politischen Aktivitäten James Casons von der Interessenvertretung zusammen mit seinen cubanischen Verbündeten, also den bezahlten Funktionären/"Dissidenten", sind Teil der inneren Strategie, die Loyalität der Cubaner gegenüber dem Regime und der Revolution zu unterminieren. Die Verbindung zwischen beiden Taktiken und ihre strategische Konvergenz wird von unseren namhaften intellektuellen Kritikern ignoriert, die den Luxus vorziehen, moralische Imperative über Freiheit allerorten und für alle zu verbreiten, selbst dann, wenn ein psychotisches Washington Cuba ein Messer an die Kehle hält. Nein, euch gebührt kein Dank, Chomsky, Sontag und Wallerstein. Cuba hat das Recht, seinen Aggressoren einen Tritt in die Eier zu versetzen und sie zum Zuckerrohrschneiden zu schicken, damit sie einmal auf redliche Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Das Todesurteil gegen drei der Terroristen auf der Fähre ist hart, aber dies gilt auch für die Morddrohung gegen vierzig cubanische Passagiere, die in den Händen der Entführer dem Tod ins Auge blickten. Wieder vergaßen unsere Moralisten, die Flugzeugentführungen zu erwähnen und die rechtzeitig entdeckten Komplotte, weitere durchzuführen. Die Moralisten verstehen nicht, warum diese terroristischen Desperados nach illegalen Mitteln suchen, Cuba zu verlassen. Die Bush-Administration hat das Programm, an ausreisewillige cubanische Emigranten Visa zu vergeben, praktisch eliminiert. Die Erteilung von Visa ist von 9000 für die ersten vier Monate des Jahres 2002 auf 700 im Jahre 2003 zurückgegangen. Das ist eine sehr clevere Taktik, um zu terroristischen Aktionen in Cuba zu ermutigen und dann die harten Urteile anzuklagen, was den Chor der Jasager in der "Amen-Ecke" des progressiven US-amerikanischen sowie des europäischen intellektuellen Establishments hervorruft. Ist es einfach Ignoranz, die diese moralischen Statements gegen Cuba bestimmt, oder steckt mehr dahinter – vielleicht moralische Erpressung, um ihre cubanischen Gegenüber zu zwingen, sich entweder gegen ihr Regime und ihre Leute zu wenden oder aber bei den namhaften Intellektuellen als isolierte und stigmatisierte "Castro-Apologeten" in Ungnade zu fallen? Es gibt explizite Drohungen Saramagos, seine cubanischen Freunde aufzugeben und sich der Sache der von den USA bezahlten Funktionäre zuzuwenden; es gibt implizite Drohungen, Cuba nicht mehr zu besuchen und Konferenzen zu boykottieren. Ist es moralische Feigheit, den Knüppel für das Imperium zu erheben und auf Cuba einzuschlagen, wenn es sich mit der Drohung von Massenvernichtung konfrontiert sieht – um der Freiheit bezahlter Agenten willen, die in jedem Land der Welt strafrechtlich verfolgt würden? Es ist in höchstem Maße unehrenhaft, die riesigen Errungenschaften der Revolution im Hinblick auf Beschäftigung, Erziehung, Gesundheit und Gleichheit gänzlich unter den Tisch zu kehren, ebenso die prinzipielle Opposition gegenüber imperialen Kriegen – als einziges Land, das diese erklärt hat – und ihre ähigkeit, fast 50 Jahre lang Invasionen widerstanden zu haben. Dass dies für die US-Intellektuellen nichts zählt, ist ein Skandal! Es ist eine Schande und ein Rückschritt auf der Suche nach Respekt, nachdem sie es "gewagt" hatten, sich zusammen mit 30 Millionen anderen Menschen in der Welt gegen den US-Krieg auszusprechen. Dies ist nicht die Zeit, Dinge "auszubalancieren" – dadurch, dass man Cuba verurteilt, dadurch, dass man nach einem Regimewechsel schreit, dadurch dass man die Sache der "marktorientierten" cubanischen Funktionärsdissidenten unterstützt. Erinnern wir uns, dass dieselben progressiven Intellektuellen "Dissidenten" in Osteuropa und der Sowjetunion unterstützten, denen Soros und das US State Department die Banknoten bündelweise zusteckten. Die "Dissidenten" lieferten das Land der russischen Mafia aus, die durchschnittliche Lebenserwartung fiel um fünf Jahre (Über 10 Millionen Russen starben vorzeitig nach der Plünderung des nationalen Gesundheitssystems), während in Osteuropa "Dissidenten" die Schiffswerften von Danzig schlossen, der NATO beitraten und Söldner für die US-Eroberung des Irak zur Verfügung stellten. Und nie gibt es bei diesen derzeitigen Unterstützern der cubanischen "Dissidenten" irgendeine kritische Reflektion über die katastrophalen Folgen ihrer antikommunistischen Hetze oder über ihre Manifeste zugunsten der "Dissidenten", die inzwischen zu Soldaten des US-Imperiums im Mittleren Osten und in Mitteleuropa geworden sind. Unsere US-Moralisten haben nie – ich betone: niemals – kritisch über ihr moralisches Versagen nachgedacht, nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Gegenwart, denn, sehen Sie, sie sind für "Freiheit überall", auch dann, wenn die "falschen" Leute an die Macht kommen und das "andere" Imperium den Laden übernimmt und Millionen an heilbaren Krankheiten sterben und weiße Sklavenhalterringe sich ausbreiten. Die Antwort ist immer dieselbe: "Das wollten wir nicht. Wir waren für eine unabhängige, freie und gerechte Gesellschaft. Es ist nur so, dass wir, als wir uns für Regimewechsel und Unterstützung von Dissidenten stark machten, niemals den Verdacht hatten, dass das Imperium "alles nehmen" würde, dass es zur einzigen Supermacht werden und daran gehen würde, die Welt zu kolonialisieren." Die moralischen Intellektuellen müssen sich ihrer politischen Verantwortung für die Konsequenzen stellen. Sie dürfen sich nicht hinter abstrakten moralischen Plattitüden verstecken – weder hinsichtlich ihrer früheren Komplizenschaft beim Aufbau des Imperiums, noch in Bezug auf ihre gegenwärtigen skandalösen Ergüsse über Cuba. Sie können nicht behaupten, sie wüssten nichts von dem Widerhall, den das, was sie sagen und tun, hervorruft. Sie können sich nicht dumm stellen angesichts all dessen, was wir gesehen, gelesen und gehört haben über US-amerikanische Kriegspläne gegen Cuba. Die hauptsächliche Autorin und Promoterin der anticubanischen Deklaration in den Vereinigten Staaten (unterzeichnet von Chomsky, Zinn und Wallerstein) war Joanne Landy, eine selbsternannte "demokratische Sozialistin" und lebenslange Verfechterin eines gewaltsamen Umsturzes der cubanischen Regierung in den letzten 40 Jahren. Sie ist derzeit Mitglied im "Council on Foreign Relations" (CFR), einem der größeren Institute, die seit mehr als einem halben Jahrhundert die US-Regierung in imperialistischer Politik beraten. Landy unterstützte die US-Invasionen in Afghanistan und Jugoslawien, sie unterstützte, indem sie öffentlich zu unverdeckter Militärhilfe aufrief, die albanische Terrorgruppe UCK, die verantwortlich für den Mord an 2000 Serben und für die ethnische Säuberung an Hunderttausenden von Serben und anderen im Kosovo war. Es überrascht nicht, dass das Statement aus der Hand dieser chamäleonartigen Extremistin des rechten Flügels Cubas soziale Errungenschaften und seinen Widerstand gegen den Imperialismus mit keinem Wort erwähnt. Der Vollständigkeit halber sollte festgehalten werden, dass sich Landy als heftige Gegnerin der sozialen Revolutionen in China, Vietnam und anderen Ländern erwies – bei ihrem Aufstieg in einflussreiche Positionen im CFR. Mit all ihrem vielgerühmten kritischen Verstand übersahen die "progressiven" Intellektuellen die unappetitliche Politik der Autorin, die diese anticubanische Tirade auf den Weg brachte.

Die heutige Rolle des Intellektuellen

Viele Kritiker Cubas sprechen von "Prinzipien", als ob es nur ein einziges Set von Prinzipien gäbe, das auf alle Situationen anwendbar wäre, unabhängig davon, wer darin verwickelt ist und was die Konsequenzen sind. "Prinzipien" wie "Freiheit" auf Leute anzuwenden, die gerade dabei sind, in Komplizenschaft mit dem State Department den Sturz der cubanischen Regierung zu planen, würde Cuba zu einem weiteren Chile machen – wo Allende durch Pinochet gestürzt wurde – und die volksnahen Ziele der Revolution in ihr Gegenteil verkehren. Es scheint so, als ob progressive US-Intellektuelle immer ein Alibi fänden, um der Zustimmung zu einer Revolution aus dem Weg zu gehen. Für manche ist es das alte Lied "Stalinismus", wenn der Staat eine tragende Rolle in der Ökonomie spielt. Oder wenn es sich um Massenmobilisierungen handelt, kleben sie das Etikett "plebiszitäre Diktatur" darauf. Oder wenn Geheimdienste erfolgreich sind in der Verhinderung terroristischer Aktivitäten, so spricht man von "repressiven Polizeistaaten". Weil sie in der am wenigsten politisierten Nation der Welt leben mit einem der servilsten und korruptesten Gewerkschaftsapparate der westlichen Hemisphäre, der buchstäblich keinerlei politischen Einfluss außerhalb einiger weniger Universitätsstädte hat, haben die Intellektuellen in den USA kein praktisches Wissen und keine praktische Erfahrung in der alltäglichen Bedrohung und Gewalt, die über revolutionären Regierungen und Aktivisten in Lateinamerika hängt. Ihre politischen Konzeptionen, jene Grenzpfähle, nach denen sie sich richten, wenn sie irgendeine politische Aktivität verdammen oder gutheißen, existieren nirgendwo außer in ihren Köpfen, in ihren kongenialen, progressiven, universitären Settings, wo sie alle Privilegien kapitalistischer Freiheit genießen und nichts von den Risiken mitbekommen, gegen die sich Revolutionäre in der Dritten Welt zu wappnen haben. Ein bisschen mehr Bescheidenheit, liebe angesehene, kritische, Freiheit predigende Intellektuelle! Seht einmal tief in euch hinein und dann fragt euch, wie ihr es finden würdet, den Piratenakten terroristischer Organisationen aus Miami ausgesetzt zu sein. Fragt euch, ob es euch gefallen würde im Café eines großen Touristenhotels in Havanna zu sitzen, wenn gerade eine tödliche Bombe hochgeht – Grüße von Terroristen, die zur gleichen Zeit ein Bierchen mit Jeb, dem Bruder des Präsidenten, trinken. Stellt euch vor, in einem Land zu leben, das oben auf der Hitliste des gewalttätigsten imperialen Systems seit Nazideutschland steht – dann wird eure moralische Sensibilität vielleicht so weit geweckt werden, dass ihr eure Verunglimpfungen cubanischer Sicherheitspolitik im Zaum haltet und eure moralischen Abstrafungen kontextualisiert. Ich möchte zum Schluss – für die kritischen Intellektuellen – einmal meine eigenen "moralischen Imperative" aufstellen:

1. Die erste Pflicht europäischer/US-amerikanischer Intellektueller besteht darin, in Opposition gegenüber ihren eigenen imperialistischen Führern zu treten, die die Welt erobern wollen.

2. Die zweite Pflicht ist, die moralischen Proportionen zu klären im Kampf zwischen imperialen Militaristen and Volks- bzw. nationalem Widerstand und die heuchlerische Position zurückzuweisen, die den Massenterror des einen mit den berechtigten, wenn auch zuweilen exzessiven Sicherheitsmaßnahmen des anderen gleichsetzt.

3. Standards politischer und persönlicher Integrität festzulegen, die den Fakten und Themen gerecht werden, bevor man Moralurteile von sich gibt.

4. Der Versuchung zu widerstehen, ein "moralischer Held des Imperiums" zu werden, indem man sich weigert, siegreiche Volksaufstände und revolutionäre Regime zu unterstützen, die nicht perfekt sind und denen es an all den Freiheiten mangelt, die impotente Intellektuelle haben, die ihrerseits keinerlei Bedrohung für die Macht darstellen und denen deshalb erlaubt wird, Treffen abzuhalten, zu diskutieren und zu kritisieren.

5. Es zurückzuweisen, sich als Richter, Staatsanwalt und Jury zugleich aufzuspielen und Progressive zu verdammen, die den Mut besitzen, Revolutionäre zu verteidigen. Am erschreckendsten ist Susan Sontags skurrile Attacke auf den kolumbianischen Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez, dem sie mangelnde Integrität vorwirft und ein Apologet cubanischen Terrors (sic) zu sein. Sontag äußerte ihre beleidigenden Anklagen in Bogota, Kolumbien. Die kolumbianischen Todesschwadronen, die mit dem Regime und dem Militär zusammenarbeiten, ermorden mehr Gewerkschafter und Journalisten als irgendwo sonst auf der Welt, und um ihnen zum Opfer zu fallen, genügt es, sehr viel weniger zu sein als ein "Apologet" des Castro-Regimes. Dieselbe Sontag war eine enthusiastische Unterstützerin der imperialistischen US-Invasion und Bombardierung Jugoslawiens, Apologetin des fundamentalistischen bosnischen Regimes und stumme Zeugin der Ermordung von und ethnischen Säuberungen an Serben und anderen im Kosovo. Das nenne ich moralische Integrität! Der edle Sinn moralischer Überlegenheit, den man unter den New Yorker Intellektuellen findet, gibt Sontag die Berechtigung, Marquez quasi zum Abschuss für die Todesschwadronen freizugeben und sich dabei noch so zu fühlen, als habe sie ein tolles moralisches Statement abgeliefert.

6. US-amerikanische und europäische Intellektuelle sollten angesichts ihrer eigenen politischen Hohlheit und der Inkonsequenz ihrer Positionen nicht den Fehler machen zu glauben, bei den engagierten Intellektuellen unter ihren lateinamerikanischen Gegenübern verhalte es sich genauso. Es gibt dort durchaus einen Spielraum für konstruktive Dialoge und Debatten, aber niemals für persönliche Angriffe, mit denen Individuen erniedrigt werden, die jeden Tag der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes ins Auge blicken.

Es ist ein Leichtes für kritische Intellektuelle, in guten Zeiten, bei Festlichkeiten und als Eingeladene bei Konferenzen unter weniger bedrohlichen Umständen "Freunde Cubas" zu sein. Es ist viel schwieriger, als "Freund Cubas" zu gelten, wenn ein totalitäres Regime Drohungen gegen die heroische Insel ausstößt und ihre Verteidiger mit schweren Händen niederdrückt. Es ist in Zeiten wie diesen, Zeiten ständiger Kriege, Zeiten von Völkermord und militärischer Aggression, dass Cuba die Solidarität kritischer Intellektueller braucht, die es auch erhält aus vielen Teilen Europas und besonders aus Lateinamerika. Ist es nicht an der Zeit, dass wir in den Vereinigten Staaten mit unseren illustren und berühmten progressiven Intellektuellen, mit all unserer majestätischen moralischen Sensibilität erkennen, dass es da eine vitale, heldenhafte Revolution gibt, die kämpft, um sich gegen das Sendungsbewusstsein der USA zu verteidigen und dass wir bescheiden unsere selbstgefälligen Deklarationen beiseite lassen, diese Revolution unterstützen und uns der Million Cubaner anschließen, die den 1.Mai mit ihrem Führer Fidel Castro feiern?

Aus dem Englischen von UF

Es tut mir leid, den Lesern und Leserinnen eine derartige – quasi absatzlose – "Bleiwüste" zugemutet zu haben. Das Problem besteht schlicht darin: James Petras schreibt so. Zumindest stellt er seine Artikel so ins Internet. Und da ich nicht weiß, ob er dies macht, um Leuten, die seine Texte ausdrucken wollen, Kosten zu ersparen oder deshalb, weil er alle Sätze für gleich wichtig hält, fühle ich mich nicht befugt, irgendetwas an ihrem äußeren Erscheinungsbild zu verändern. (Anmerkung des Übersetzers)


CUBA LIBRE James Petras, 1. Mai 2003

CUBA LIBRE 2-2020