Ein internationales Solidaritätstreffen mit der venezolanischen Revolution ging Mitte April in Caracas über die Bühne. Doch an der deutschen Linken ging das Ereignis ziemlich unbewegt vorüber. Es ist verständlich, dass es keinen Massenansturm auf die Flugzeuge nach Caracas gab. Dazu fehlt schließlich den meisten das Geld und die Zeit. Doch in den Medien hätte das Treffen schon mehr Beachtung finden können. Schließlich war es kein regionales Ereignis, sondern hatte gerade in der lateinamerikanischen Linken große Bedeutung. Doch was las man in den hiesigen Medien um diese Zeit über Venezuela?
In der Taz wurde auf einer ganzen Seite eine Klatschgeschichte über eine ehemalige Freundin von Chavez ausgebreitet, die zur rechten Opposition gewechselt ist und ihren Ex-Freund als verrückt klassifiziert.
Lediglich in der jungen Welt und im Neuen Deutschland wurde dem Solidaritätstreffen ausführlich Platz eingeräumt. Ansonsten war es auch in den linken Medien kein Thema. Wenn man sieht, dass das linke Internetnetzwerk Indymedia auf ihrer Startseite den Beitrag einer deutschen Touristin veröffentlichte, die den kurzfristigen Sturz von Chavez bejubelte und seine von der armen Bevölkerungsmehrheit erzwungene Wiedereinsetzung in sein Amt mit allen Attributen des Schreckens beschreibt, dann reibt sich der Leser schon die Augen. Wäre etwa vor 30 Jahren auch ein Jubelartikel über den Pinochet-Putsch in Chile unter dem Deckmantel des Pluralismus veröffentlicht wurden, frage ich mich.
Schließlich kann der Putschversuch im April 2002 in Caracas durchaus damit verglichen werden. Ein auf Arte ausgestrahlter Film unter dem Titel "Chavez - ein Staatsstreich von innen", der von einem unabhängigen Filmteam in den Tagen des Putsches aufgenommen wurde, zeigt deutlich wie sich die Großbourgeoisie wohlgefällig in den neuen Machtpositionen einrichtete, während die Proteste der armen Bevölkerungsschichten mit Tränengas, Gewehren und Knüppeln niedergeschlagen wurde. Anhänger der linken Regierung wurden verhaftet und misshandelt, die Medien wurden einer strengen Zensur unterworfen.
Besonders der Terror gegen die cubanische Botschaft erinnert an den Putsch in Chile. Wüste Drohungen wurden von rechten Demonstranten ausgestoßen, der Strom wurde abgestellt und die Botschaftsangehörigen wurden mit Todesdrohen am Verlassen des Gebäudes gehindert. Nur eines unterschied sich fundamental von Chile 1973.Die Bevölkerung war so gut organisiert, dass sie mit massiven Protesten und der Hilfe einiger Chavez treu gebliebener Militärs aus den unteren Rängen den Rückzug der Putschisten und die Wiedereinsetzung von Chavez erzwang. In der Nacht, als Chavez im Triumphzug zurückkehrte, sang die mittlerweile auf eine Million angewachsene Menge in den Straßen von Chavez die Hymne der Unidad Popular in Chile: ein vereinbartes Volk ist unbesiegbar.
Die Unterklassen von Caracas haben den Beweis angetreten. Doch die Gefahr eines neuen Putschversuchs ist nach wie vor vorhanden. Gerade jetzt, wo die Rechten in der Bevölkerung rapide an Einfluss verlieren. Wer sieht, mit welcher Hetze tagtäglich die rechten Medien gegen die Regierung und auch gegen Kuba agieren, dem ist klar: bei einem neuen Putsch-Versuch würde noch brutaler vorgegangen.
Das allein wäre ein Grund für eine weltweite Solidaritätsbewegung mit der bolivarischen Revolution. Sicherlich, noch ist der bürgerliche Staat in Venezuela nicht zerschlagen und die Industrie ist auch nicht in den Händen der ArbeiterInnen. Aber es sind auf vielen Gebieten Beispiel gebende Sozialgesetze in die Wege geleitet, die das Leben gerade der ärmeren Teile der Bevölkerung verbessern werden.
Das wichtigste aber ist: unter Chavez wurde das Modell einer Demokratie eingeführt, die die Beteiligung von Volks- und Barrio-Organisationen in den Mittelpunkt stellt. Überall soll sich die Bevölkerung selber organisieren und in diesem Prozess ein neues Selbstbewusstsein erlangen. Diese Entwicklung könnte auf Dauer das wichtigste sein, was die bolivarische Revolution hervorgebracht hat.
Nur die deutsche Restlinke hat von alldem scheinbar nichts gemerkt. Mit einem Faible für Verlierer klammern man sich an die Zapatisten. Obwohl die mittlerweile nur noch einige autonome Gemeinden kontrollieren und es auch dem eloquenten Subcomandante Marcos die Sprache verschlagen hat, ist ein neuer Ersatz in Sicht.
Argentinische Künstler und Tauschringe werden auf einmal als die höchste Form der Emanzipation hingestellt. Enttäuschte Altlinke, wie Wolf-Dieter Vogel in der postmodernen Wochenzeitung Jungle World loben in den höchsten Tönen, wie diese Gruppen begriffen haben, dass die alte Linke mit ihrer Orientierung auf die Eroberung der Staatsmacht in eine Sackgasse gelaufen seien. Nur geht Vogel auf die aktuelle innenpolitische Situation in Argentinien erst gar nicht weiter ein. Sonst hätte er sich fragen müssen, ob eine einjährige Revolte so erfolgreich sein kann, die die Regenerierung des reaktionären Peronismus zugelassen hat.
Selbst die Kultautorin des kleinbürgerlichen Flügels der Globalisierungskritiker Naomi Klein (Bertelsmann) muss zugeben, dass das Lob der hiesigen Linken über die vielen besetzten Fabriken in Argentinien oft aus Unkenntnis der Lage beruht. Es ist eher die Not, welche die Beschäftigen zu diesem Schritt treibt und es ist vor allem eine enorme Selbstausbeutung dabei. Die Arbeiter verhindern durch Lohnverzicht und Extraschichten einen Bankrott der Fabrik. Wenn sie sich wieder einigermaßen stabilisiert hat, lässt sie der Eigentümer mit Polizeigewalt räumen. Das ist in den letzten Wochen häufiger geschehen. Deshalb können Linke aus den Erfahrungen von Chiapas und der argentinischen Revolte eigentlich nur die Schlussfolgerung ziehen: an eine Eroberung der Staatsmacht führt nun leider kein Weg vorbei. Dann allerdings kann es nicht genug solcher avantgardistischen Experimente geben, wie sie in Argentinien jetzt vielleicht ein wenig voreilig bejubelt werden. Dann können sie wirklich zur Emanzipation der Menschen beitragen und sind nicht einfach eine Form der Elendsverwaltung.
In Venezuela zumindest wird der schwierige Versuch gemacht. Es ist eine Gratwanderung, gerade in einer Zeit, wo weltweit die Konterrevolution marschiert. Doch gerade deshalb ist es um so notwendiger, dass eine internationale Solidaritätsbewegung die bolivarische Revolution kritisch begleitet und auch wenn nötig solidarisch verteidigt.
Peter Nowak
Der Verfasser steht für Initiativen für Informations- und Diskussionsveranstaltungen über die aktuelle Situation in Venezuela und die Chavez-Bewegung zur Verfügung. Der im Artikel erwähnte Film kann dort gezeigt werden. Bedingung ist lediglich die Erstattung der Fahrkosten.
Jens Klinker, aus Berlin stellte uns die Fotos aus Venezuela für diesen und die folgenden Artikel zur Verfügung.
CUBA LIBRE 2-2020