Wem gehört die Eine Welt?

Am Ende der Veranstaltung stand ein befreiender Lacher. Dr. Jochen Hippler hatte soeben die Podiumsdiskussion mit einer Mahatma-Gandhi-Anekdote abgeschlossen, und die geht so:

Als Gandhi schon ziemlich bekannt war, fragte ihn einmal ein britischer Journalist: "Mr. Gandhi, what do you think about western civilisation?" Wie es heißt, blickte Gandhi überrascht auf und erwiderte: "Oh! That would be a good idea."

Es ist nicht bekannt, ob der große fernöstliche Friedensstifter seine Bemerkung sarkastisch meinte oder aber, ob er ehrlich verblüfft war, jemand von "westlicher Zivilisation" reden zu hören, hatte er doch in seinem Wirkenskreis stets nur westliche Barbarei kennen gelernt.

Ihr Komik bezieht die Reaktion daraus, dass sie einen Vertreter der vermeintlich zivilisierten Welt mit seinem Selbstverständnis vor die Wand laufen lässt. Das krasse Gegenteil von komisch sind indes die Umstände, die Gandhi zu dieser Äußerung veranlassten.

Es waren ebendiese Umstände (die Bewohner von Entwicklungsländern quasi mit ihrer Geburt bereits zu chronischen Verlierern stempeln) die bei der Veranstaltung am 12. November im Duisburger Kulturszenehaus "Hundert Meister" dauernd präsent waren.

Unter dem Motto "Wem gehört die Eine Welt? - Perspektiven sozialer Bewegungen in Europa und Lateinamerika" diskutierten Manolo Menéndez Díaz, Leiter der Ideologischen Abteilung im ZK der Kommunistischen Partei Cubas sowie Direktor der Zeitschrift Cuba Socialista, Angela Klein, Journalistin und Beobachterin beim Gipfel in Genua und Dr. Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden an der Uni Duisburg.

Veranstalter waren die FG-Regionalgruppe Duisburg, die JungdemokratInnen-Junge-Linke-Duisburg und der AStA der Uni Duisburg.

Dass die Duisburger Gruppe der Freundschaftsgesellschaft zwei Mitveranstalter hinzuzog, hatte den Vorteil, auch von deren Beziehungen und einer erweiterten Verbreitung bei der Vorankündigung zu profitieren. So kamen etwa 60 Zuhörer zusammen, was für Duisburger Verhältnisse schon fast an einen Massen-Event grenzt (wenn man Auftritte der Wildecker Herzbuben einmal auίen vor lässt).

Die Duisburger Podiumsdiskussion war übrigens der Auftakt einer kleinen, aber feinen Vortragstour von Manolo Menéndez durch Deutschland, die ihn auch nach Göttingen, Nürnberg und München führte. Auch diese "actos" waren über Erwarten gut besucht. Am Ende war Manolo voll des Lobes über die perfekte Organisation der Reise seitens der FG und die Qualität des politischen Diskurses. Angenehm berührt war er von der Herzlichkeit, mit der er überall aufgenommen wurde. Für ihn wie für uns waren die 10 Tage eine äußerst lohnende Erfahrung.

Ein gewisser Wermutstropfen in einer im Großen und Ganzen durchaus gelungenen Veranstaltung (in Duisburg) war die etwas statische Gesprächsleitung, womit ich nicht die Moderatorin als Person meine – die machte ihre Sache gut – sondern das Konzept, dem sie der Absprache gemäß zu folgen hatte: 1. Thema – Statements von erstens Hippler, zweitens Klein, drittens Menéndez, Sprechzeit 5 Minuten maximal. 2. Thema wie gehabt. Und so weiter und so fort. Auch wenn die Reihenfolge der Redner variierte, kam auf diese Weise unter ihnen so etwas wie eine Diskussion kaum in Gang. Manolo hatte überdies sichtlich mit dem Handicap zu kämpfen, dass er sich ständig unterbrechen musste, was notgedrungen auf Kosten der Dynamik ging. Aber wenn man als einziger in einer Runde in eine andere Sprache übersetzt werden muss, hat man automatisch die Gesäßkarte gezogen. Andererseits wäre es albern, den anderen beiden Diskutanten vorzuwerfen, dass sie fließend Deutsch sprechen. Das ist schließlich nicht ihre Schuld.

Von diesen Imponderabilien einmal abgesehen, waren die Diskussionsbeiträge aller Teilnehmer für sich betrachtet hochinteressant.

Während des Themenkomplexes "Globalisierung/Neoliberalismus" prognostizierte Hippler eine Abnahme der Unipolarität der Welt, wie sie sich heute darbietet, zugunsten einer almählichen Verschiebung in Richtung einer neuen multipolaren Kräftekonstellation. Er sieht für diese Entwicklung allerdings einen Zeitraum von satten 20 Jahren vor. An anderer Stelle sprach er sogar von einer ganzen Generation.

Aber immerhin: Das "Ende der Geschichte" können sich die Apologeten der Neuen Weltwirtschaftsordnung seine Überzeugung nach abschminken. Einer der Gründe, die er dafür anführt, ist der, dass das System "ideologisch schwächelt", womit er darauf anspielt, dass es immer schwieriger wird, den Mythos aufrechtzuerhalten, am Ende führe es zwangsläufig zum "Wohlstand für alle". Statistiken in nahezu allen Staaten der Dritten Welt sind nämlich in dramatischer Weise gegenläufig. Aber nicht nur dort. Auch bei uns vergrößert sich die Armut. In diesem Zusammenhang wies Hippler darauf hin, die bisher übliche Zweiteilung der Globalisierungskräfte in Böse (USA) und weniger böse (Europa) sei überhaupt nicht mehr haltbar. Auch bei uns hat sich die Beschäftigungspolitik der Wirtschaftspolitik unterzuordnen. Sozialleistungen werden gekippt, um nationale Ökonomien in Europa konkurrenzfähig zu halten. Die Maastrichter Verträge zwingen die Länder Europas förmlich dazu.

Dennoch scheint zunehmend Sand ins Getriebe zu geraten. Manolo Menéndez zitierte den Direktor des Weltwährungsfonds Köhler: "Das Wirtschaftsgefüge verliert überall auf der Welt den Rhythmus." Menéndez fügte hinzu, im Falle Cubas sei es das viel gescholtene sozialistische Wirtschaftssystem, das die Insel vor einem Ausverkauf wie in zahlreichen anderen Staaten Lateinamerikas bewahrt habe. In seinem Land habe sich der vermeintliche Nachteil der Isolation als Vorteil erwiesen.

Wenn aber – von der Sonderstellung Cubas einmal abgesehen – die Dinge jetzt schon dermaßen im Argen liegen, wieso dann die pessimistische Perspektive, dass man wohl erst in zwanzig Jahren oder später daran spürbar etwas werde ändern können?

Dazu meint Hippler, NGOs und Zivilgesellschaften seien kein Ersatz für soziale Leitfiguren. Es mangele derzeit an charismatischen sozialen Leitfiguren, wie es sie früher einmal gegeben habe. Deshalb sei es den verschiedenen sozialen Bewegungen nicht möglich, auf die "ideologische Schwäche" des neoliberalen Systems in einer angemessenen Weise zu reagieren. Er brachte diese Crux auf den kurzen Nenner: "Wir machen unsere Hausaufgaben nicht. Die anderen machen sie zwar auch nicht, aber sie haben die Macht."

Klein widersprach ihm zumindest dahingehend, dass die Anti-Globalisierungsbewegung bis auf einige weiße Flecken auf der Landkarte bereits in aller Welt Fuß gefasst habe. Sie hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für "Attac" und andere Bewegungen dieser Art weltweit und sagte: "Wenn Terrorismus nicht der richtige Weg ist, um für eine bessere Welt zu kämpfen, müssen wir nach anderen Wegen suchen."

Sie fügte hinzu, die Antwort auf die Probleme müsse internationalistisch sein. Außerdem zitierte sie George W. Bush mit seinem "Kampf für die westliche Zivilisation". Es müsse ihm und allen anderen Führern der westlichen Welt klar sein, dass das Leben dieser Zivilisation auf derzeitigem Niveau nur möglich sei auf den Knochen der anderen. Deshalb sei es "notwendig damit zu brechen".

Es klang bereits an: Auch der Terroranschlag gegen die USA und ihre Reaktion darauf war ein Thema dieser Diskussionsrunde.

Manolo Menéndez verurteilte im Namen seines Landes jeglichen Terrorismus auf das Schärfste – gegen wen auch immer. Er zeigte sich gleichwohl etwas überrascht, dass man auf der 7 terroristische Staaten umfassenden Liste des Pentagons das Land Afghanistan vergebens suche. (Ich vermisse ein weiteres Land, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich eigentlich fortwährend selbst angreifen müssten. Anm. d. Autors) Cuba sei hingegen darauf, ohne nähere Angabe von Gründen. Menéndez gab seiner Besorgnis Ausdruck, dass es heutzutage eine Tendenz gebe, jeden Befreiungskämpfer einen Terroristen zu nennen.

So verwahrte er sich ausdrücklich gegen den Versuch, die kolumbianische "FARC" mit der Organisation "Al Quaida" in einen Topf zu werfen.

Es gab auch keinerlei Sympathien für die Taliban, weder von Menéndez, noch von Klein, noch von Hippler, hingegen durchaus Mitgefühl mit den Opfern der Zerstörung des World Trade Centers.

Eine andere Sache – die nicht verbalisiert wurde – war jedoch unterschwellig spürbar: Keiner im Saal, weder auf dem Podium, noch in den Zuschauerrängen, war bereit, der Erpressung von Bush, Blair und Schröder nachzugeben, die da heißt: Entweder ihr seid für uns oder gegen uns. Uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus oder Feindschaft.“

Für eingeschränkte Solidarität in dieser Angelegenheit waren viele zu haben. Von uneingeschränkter kann hingegen gar keine Rede sein.

Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie ein zugegebenermaßen schrecklicher Anschlag als Alibi herhält, nach und nach alle unbotmäßigen Gesellschaftsformen wegzubomben, damit sich die alte Ideologie weiterhin im alten Sessel ihren Hintern wärmen kann.

In diese Ecke gedrängt, sind wir lieber eure Feinde.

CUBA LIBRE
Ulli Fausten

CUBA LIBRE 1-2002