Jahrhundertsturm über Cuba

Am 4. November, einem Sonntag, fegte mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 220 km/h "Michelle", der schwerste Hurrikan seit 50 Jahren, über den Westen Cubas.

Er war mit schier unglaublichen 540 Kilometern Durchmesse mehr als halb so breit, wie die Insel lang ist. Sein Kern erreichte Cuba von Süden her auf der Höhe der Provinz Cienfuegos und verschwand Stunden später im Atlantik nördlich von Villa Clara.

Selbst seine Ausläufer richteten im weit entfernten Havanna und sogar noch in Pinar del Rio starke Verwüstungen an.

Eine vorläufige Schadensbilanz ergibt allein in Mantanzas 53.000 teilweise bis völlig zerstörte Wohnungen, landesweit Schäden an 780 Industrieanlagen (diese Zahl wird sich deutlich erhöhen, da zwei besonders betroffene Provinzen noch gar nicht erfasst sind), 500 Schulen, 50 Kindergärten und 180 Gesundheitseinrichtungen, Verheerungen nie gekannten Ausmaßes gab es an Elektrizitäts- und Telefonleitungen. Große Schäden auch in der Landwirtschaft: Allein 90.000 Tonnen Zitrusfrüchte liegen am Boden.

Das Wichtigste ausnahmsweise zuletzt: Es gab fünf Menschenleben zu beklagen – vier von Trümmern Erschlagene sowie einen Ertrunkenen – und natürlich ist jeder einzelne Tote einer zuviel.

Es gibt auf Cuba seit langem ein ausgeklügeltes Frühwarnsystem, das seit der traumatischen Erfahrung mit dem Hurrikan "Flora" 1963, der Tausende von Opfern forderte, in Kraft ist und seither kontinuierlich ausgebaut wurde. Es gibt eine präventive Katastrophen-Logistik, deren Räderwerk wie geölt zu laufen beginnt, sobald Gefahr im Verzug ist. Cuba schafft es damit heute, die Zahl der tödlichen Unfälle im Chaos der entfesselten Naturgewalten auf eine Handvoll zu reduzieren, wo unter den gleichen äußeren Bedingungen in anderen Ländern der Karibik humanitäre Desaster entstehen, die Dauerbrenner in der Tagesschau werden.

Aber was bedeutet zum Beispiel eine Schlagzeile wie: "700.000 Menschen in Cuba vorsorglich evakuiert"? Es bedeutet Kosten. Kosten, die sich kein anderes Land der Dritten Welt leisten würde. Kosten, die Cuba sich leistet, ohne sie sich leisten zu können. Kosten, die nicht hinterfragt werden, weil der Mensch im Mittelpunkt steht. Diesen "Luxus", der darin besteht, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, muss Cuba nun einmal mehr teuer bezahlen.

Rasche, unbürokratische Hilfe kam (Kenntnisstand vom 8.11.) aus China und Venezuela. Was die vom BRD-Botschafter in Havanna versprochene "finanzielle und technische Hilfe" angeht, so gibt es noch nichts Konkretes.

Natürlich sind angesichts der Auswirkungen dieses Mega-Wirbelsturms zusätzliche Spenden vonnöten und dringend erwünscht. Wenn nicht nur wir, die FG BRD-Kuba, sondern auch andere Cuba-Soligruppen in Deutschland und in Europa zu Spenden für die Insel aufrufen – und es kann als sicher angesehen werden, dass genau dies zur Stunde passiert – so können wir gemeinsam mehr zusammentragen als den berühmten Tropen auf dem heißen Stein.

Spendenkonto der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V.
Stichwort: Hurrikan "Michelle"


CUBA LIBRE
Ulrich Fausten

CUBA LIBRE 1-2002