Interview mit Isabel Oyanander, die auf einer Rundreise durch deutsche Städte über eine neue Widerstandsform gegen die Straflosigkeit des Militärs informierte

Mit der Funa für Gerechtigkeit kämpfen?

Mit der Funa kämpfen Demokraten in Chile gegen die Straflosigkeit für Folterer der Militärdiktatur. Isabel Oyanander (I.O.) ist Mitglied der Comisión Funa.

Was bedeutet Funa?

I.O.: "Funa" ist ein chilenischer Slang-Ausdruck und heißt jemanden öffentlich brandmarken oder – moderner - "outen". Die Arbeit der politischen Bewegung Funa besteht darin, Menschenrechtsverbrecher aus der Pinochet-Ära ausfindig zu machen und an ihrem Wohnort oder Arbeitsplatz öffentlich anzuklagen.

Macht das fast 20 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur noch Sinn?

I.O.: Sehr viel: Schließlich gibt es außer ein paar Prozessen und den fast wie eine Seifenoper behandelten Pinochet-Fall bis heute Straffreiheit für die Menschenrechtsverbrecher der Diktatur. Das liegt an der Straflosigkeit, die sich die Militärs in der von ihnen diktierten Verfassung selber verordnet haben. Um dem entgegen zu treten, ist 1999 unter dem Eindruck der Verhaftung Pinochets die Funa als Aktionsform entstanden.

In der Comisión Funa sind mehr als 20 linke Gruppen Chiles zusammengeschlossen, darunter Gewerkschaften und sämtliche Parteien links von der regierenden Sozialdemokraten. Die Aktion wird aber hauptsächlich von Jugendlichen getragen, die teilweise während der Militärdiktatur noch nicht lebten. Diese neue Generation ist nicht bereit, sich mit den Verbrechen der Vergangenheit abzufinden. Die Funa wird mittlerweile im gesamten Land praktiziert. Die Zahl der TeilnehmerInnen schwankte zwischen 60 und 1.000 Personen.

Welche Folgen hatte die Aktion für die Geouteten?

I.O.: Juristische Konsequenzen hatte es für die Betroffenen bisher nicht. Doch es gab Konsequanzen anderer Art. So boykottierten Patienten einen Arzt, nachdem wir ihn als Folterer gebrandmarkt hatten. Außerdem wurde in dem Krankenhaus, in dem er arbeitete, von gewerkschaftlich organisierten Kollegen eine Aktionswoche über Menschenrechte organisiert, wo auch die politische Biographie dieses Folterarztes im Mittelpunkt stand. In einem anderen Fall sorgten die Nachbarn dafür, dass der Folterer seine Wohnung verlässt. Viele der Geouteten haben daher Arbeitsplatz und Wohnort verlassen. Doch die Comisión Funa ermittelt auch die neue Adresse und führt gelegentlich eine Refuna im kleineren Rahmen durch. Damit wollen wir dem Folterer zeigen, dass er sich der Gerechtigkeit auf Dauer nicht entziehen kann.

Wie reagiert die Regierung unter dem Sozialdemokraten Lagos auf die Funa?

I.O.: Unter der Lagos-Regierung hat die Repression gegen uns enorm zugenommen. Denn wir stören mit unseren Aktionen die Politik der nationalen Aussöhnung, die zum Kernstück der Lagos-Regierung gehört. In den letzten Monaten ging die Polizei mit Wasserwerfern gegen die Funas vor. Im Juli wurden dabei 93 Personen, im August 20 und im Oktober 36 Personen festgenommen und mit Geldstrafen belegt. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir Personen geoutet haben, die noch heute in der Politik aktiv sind.

Ist bei Euch Gewaltfreiheit ein Grundsatz oder kommt es vor, dass ein Folterer tätlich angegriffen wird?

I.O.: Sicherlich würden viele von uns die Menschenrechtsverbrecher am liebsten direkt schlagen. Beispielsweise stand bei einer Funa in einer Zahnklinik eine ehemalige Gefangene ihrem ehemaligen Folterer direkt gegenüber. Doch wir verzichten auf direkt körperliche Gewalt, weil wir der Überzeugung sind, dass wir nicht auf die Methoden der Gegenseite zurückgreifen wollen. Außerdem denken wir, dass die Betroffenen mehr gestraft sind, wenn sie in ihrer Umgebung geoutet sind.

Geht es lediglich darum, die Verbrecher der Militärdiktatur kenntlich zu machen oder interveniert ihr auch bei aktuellen Menschenrechtsverletzern?

I.O.: Unser Kampf ist weitreichender, als nur die Verbrecher bekannt zu machen. So setzen wir uns auch für die Freilassung der politischen Gefangenen, die noch immer in Chile unter menschenwidrigen Bedingungen inhaftiert sind. Außerdem ist die Straflosigkeit der Menschenrechtsverbrecher die Grundlage für die Straflosigkeit der Unternehmer, die Arbeiter auf die Straße werfen sowie der Polizei gegen renitente Jugendliche.

CUBA LIBRE
Interview: Peter Nowak

CUBA LIBRE 1-2002