Der 11. September ist für die Linke in Lateinamerika seit fast 30 Jahren kein Tag wie jeder andere.
Am 11. September 1973 wurde die Regierung der Unidad-Popular-Regierung in Chile durch die Pinochet-Militärs gestürzt. Tausende Linke wurden ermordet, noch viel mehr inhaftiert und ins Exil gezwungen. Dieses Datum bedeutete für die Linke eine Zäsur.
Denn mit dem 11. September ging der Traum zu Ende, es könnte in Lateinamerika revolutionäre Veränderungen auf friedlichem Wege geben. Genau für diesen Weg stand die Volksfront-Regierung unter Präsident Salvador Allende. Er ist durch bürgerliche Wahlen an die Macht gekommen, in Folgewahlen bestätigt worden und versuchte soziale Veränderungen im Einklang mit der chilenischen Verfassung durchzusetzen.
Die rechte Opposition hatte alle Freiheiten. Trotzdem haben die USA schon vor dem Regierungsantritt von Allende mit reaktionären Militärs konspiriert um die Regierung gar nicht erst an die Macht zu lassen und dann alles für seinen Sturz getan.
Wenige Jahre später wurden in Argentinien und Uruguay sämtliche Oppositionelle mit Hilfe von US-Militärs liquidiert. Als sich 1979 abermals eine revolutionäre Bewegung durchsetzte, diesmal in Nicaragua, waren es wieder die USA, die das Land strangulierten, die Contras bewaffneten und sich dabei selbst um international gültige Gesetze nicht kümmerten.
Dieses Verhalten der USA musste auch Cuba leidvoll erfahren, das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das seine Revolution erfolgreich verteidigen konnte. Wer redet noch über das 1976 durch Contras – ausgebildet von US-Militärs – zum Absturz gebrachte, voll besetzte cubanische Flugzeug in dem es keine Überlebenden gab? Ist es ein Wunder, dass die Linke in Lateinamerika die Anschläge am 11.9.01 nicht unbedingt als Angriff auf die Zivilisation begreift. Schließlich wurden im Namen dieser Zivilisation "made in USA" in Guatemala, El Salvador, Nicaragua und wo auch immer Befreiungsbewegungen agierten, Tausende Bauern, Arbeiter, Studenten liquidiert. Die Militärs waren in US-Einrichtungen ausgebildet worden. Dort wurde ihnen auch beigebracht, wie man foltert, ohne Spuren zu hinterlassen.
Für viele Menschen in Lateinamerika hat der 11.9.2001 einmal mehr bestätigt, dass die Teilung der Welt in arm und reich selbst im Tod noch weiter anhält. Das Sterben in den Palästen wird weltweit dokumentiert und betrauert. Das Sterben der Armen in den Hütten ist in der Regel keine Meldung wert. Und selbst die Putzkolonnen aus Lateinamerika, die bei dem Anschlag umkamen, sind nur dann erwähnenswert, wenn sie die Verworfenheit der Attentäter dokumentieren sollen. Wenn sie an der Grenze zwischen den USA und Mexiko umkommen, interessiert das in der Regel nicht. Wer in der von Teilen der lateinamerikanischen Linken geäußerten Genugtuung nur antiamerikanische Reflexe sieht, wie in einem Artikel der Wochenzeitung Jungle World vom 31. Oktober 2001, blendet diese Hintergründe einfach aus. Dabei ist auch der lateinamerikanischen Linken klar, dass die Attentäter weder progressiv waren, noch die Armen der Welt vertraten. Allerdings wird schon argumentiert, dass fast alle progressiven Bewegungen auch mit Hilfe der USA liquidiert und gerade auch islamistische Gruppen als Konterrevolutionäre gegen die Linke eingesetzt wurden.
Lateinamerikanische Linke im Visier der USA
Allerdings geraten im Zuge der weltweiten Anti-Terror-Kampagne auch US-Kräfte in Lateinamerika wieder verstärkt ins Visier. Das musste Daniel Ortega in Nicaragua bei den Wahlen Anfang November erfahren, als er als Kandidat der Sandinisten für das Präsidentenamt kandidierte. In dem auch von den USA munitionierten Wahlkampf der schließlich siegreichen Rechtskräfte wurde Ortega als Terroristenfreund hingestellt, weil er Fidel Castro, Ghaddafi aus Libyen und Arafat zu seine Freunden zählt. Verstärkt in Visier gerät auch der Präsident von Venezuela Chavez. Auch er pflegte mit den genannten Staatschefs Kontakt.
In den USA wird unverhohlen von einem Putsch gegen Chavez gesprochen und mit rechten Militärs und Kapitalkreisen Venezuelas konspiriert. Bei ihnen hat sich der links-populistische Präsident unbeliebt gemacht, weil er Land enteignete und an arme Bauern verteilte und ein Sozialprogramm für die Armen aufgelegt hat, das abgesehen von Cuba in Lateinamerika beispielhaft ist. In den hiesigen Medien wie beispielsweise in der liberalen Frankfurter Rundschau wird diese Politik als unverantwortlich, weil wirtschaftsfeindlich klassifiziert. Ähnlich wurde auch die Politik von Allende vor dem Putsch bezeichnet.
Am direktesten ins Visier der US-Anti-Terrorpolitik aber ist die kolumbianische Guerilla geraten, die schließlich in ganz Lateinamerika am erfolgreichsten ist. Mit dem offiziell zum Zweck der Drogenbekämpfung aufgelegten Plan Colombia sind die USA schon länger an einer Aufstandsbekämpfungsstrategie beteiligt. Das soll jetzt intensiviert werden. Auf der kürzlich von der US-Regierung veröffentlichten Terrorliste sind die FARC und die ELN – sowie als Alibi auch die von den USA lange Zeit ausgehaltenen rechten Paramilitärs vertreten. Der "Anti-Terrorismus-Koordinator" des US State Department Francis Taylor erklärte am 15. Oktober auf einer Pressekonferenz im Hautquartier der "Organisation Amerikanischer Staaten" (OAS) in Washington DC, im Anschluss an eine nichtöffentliche Sitzung des "Interamerikanischen Komitees gegen Terrorismus" (CICTE), dass "terroristische Organisationen" in Kolumbien ebenfalls Ziel der "Antiterrorismus-Kampagne" der USA im Gefolge des 11. September sein würden. In Kolumbien und anderen Ländern Lateinamerikas werde eine ähnliche Strategie zum Tragen kommen, wie von den USA in Afghanistan verfolgt. Bezüglich der Guerilla und der Paramilitärs "werden wir alle in unserer Macht stehenden Ressourcen und wenn notwendig auch militärische Gewalt anwenden, um ihre Aktivitäten zu stoppen".
Wie der Kolumbienexperte und Publizist Dario Azzellini berichtete, gaben sich n´kurz nach dem 11. September Vertreter der kolumbianischen Regierung und des Militärs in Washington die Klinke in die Hand und bei einem Treffen im November hat der kolumbianische Präsident Pastrana in den USA mit Außenminister Colin Powell über ein weitergehendes Engagement der USA in Kolumbien konferiert.
Die kolumbianische US-Botschafterin Anne Patterson verglich ende Oktober die bewaffneten Kräfte Kolumbiens mit den Taliban. "Im Unterschied zu den Terroristen in Afghanistan haben die kolumbianischen Gruppen zwar keine direkte globale Reichweite. Doch jede dieser Gruppen übt Terrorismus gegenüber den Kolumbianern aus und schwächt die Fundamente der ältesten Demokratie Lateinamerikas".
Auch der mexikanische Präsident Vincent Fox will im Windschatten der Anti-Terror-Hysterie verstärkt gegen Oppositionelle wie die WZLN, die EPR, deren Abspaltung EPRI sowie legale Linke vorgehen. "Wir werden entschiedener gegen die kleinen aufständischen Gruppen vorgehen", kündigte Fox an.
Auch Cuba in Visier
Doch noch immer ist der Hauptfeind aller US-Reaktionäre Cuba. Auch die exilkubanische Gemeinde witterte nach dem 11. September Morgenluft. Wenige Tage nach den Attentaten forderte die Kongressabgeordnete Iliana Ros-Lethinen, Cuba wegen seiner "terroristischen Energie" ins Visier zu nehmen. Weil cubanische WissenschaftlerInnen führend auf dem Feld der Biotechnologie sind, werden der Regierung Biowaffenprogramme unterstellt. Des weiteren wird Cuba, wie schon seit mehr als 40 Jahren die Unterstützung linker Befreiungsbewegungen vorgeworfen. Auch das cubanische Exil für ETA-Mitglieder wird wieder ins Gespräch gebracht. Doch davon lässt sich die cubanische Regierung nicht beirren. "Wir verurteilen den Terror ebenso wie die militärische Antwort der USA." Mit dieser Position bringt die cubanische Regierung die Meinung der lateinamerikanischen Linken auf den Punkt.
Peter Nowak
CUBA LIBRE 1-2002