"Die Frauen von Havanna" - eine Buchkritik

Die beiden Autorinnen Schelling/ Wöhrl veröffentlichten bei der Verlagsgruppe Random House "Die Frauen von Havanna" und lieferten dadurch den Anstoß zu folgender Buchkritik von Uwe Kruse aus Hamburg, die er als direktes Anschreiben an die Autorinnen formulierte und auch an KONKRET und CUBA LIBRE weiterleitete.

Mein erster Eindruck ist positiv und zwar sowohl von der Methode her, dass sowohl Frauen interviewt wurden, die rückhaltlos für die Revolutionsregierung sind als auch solche, die Kritik äußern. Natürlich würde ich zwar auch Kritikpunkte anführen können, nur es wären andere als die Ihren. Meine Kritikpunkte sind in Ihrem Buch nicht genannt und ich werde mich hüten, Sie Ihnen zu nennen, weil ich dann sicherlich gewollt oder ungewollte eine tendenziöse Verdrehung herauskäme. Wo Menschen regieren und Macht haben, da werden auch Fehler gemacht, zumal wenn wie im Falle Cubas die 200 km entfernten USA seit 1959 versuchen, die Revolution rückgängig zu machen, und dabei ihre Blockadepolitik in den 90er Jahre noch zweimal verschärft haben mit Toricelli- und Helms-Burton-Gesetz. Mir ist z.B. nicht ganz klar, ob Sie deren Inhalt kennen?

Meine erste Kritik ist, dass Sie zwar die Frauen interviewen und deren Stellungnahmen in wörtlicher Rede oder nichtwörtlicher Rede wiedergeben und damit den Eindruck der Objektivität vermitteln, aber gerade das ist das Gefährliche, weil die Objektivität natürlich verfälscht ist, durch Ihre Sichtweise der Dinge – wobei ich dahingestellt lasse, ob Sie es eben nicht besser wissen (also Fahrlässigkeit) oder wider besseren Wissens so darstellen.

Yolanda …

… die junge Frau, die zu fliehen versucht. Cuba ist ein 3.-Welt-Land und alle armen Menschen aus der 3. Welt wollen in die Länder der ersten Welt fliehen, weil dort die Lebensbedingungen besser sind.

Was würde passieren, wenn die EU sagt, jeder der seinen Fuß auf EU-Boden setzt, bekommt eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung?

Castro: Ich wünsche mir nur, dass die Menschen aller lateinamerikanischen Länder dieselben Rechte bei Betreten von USA-Boden haben wie die Cubaner.

Wissen Sie denn nicht, dass im Todesstreifen zwischen den USA und Mexiko fast täglich Menschen durch Kugeln oder durch Verdursten in der Wüste sterben? Genauso wie heute täglich Schlepperbanden mit Booten Wirtschaftsflüchtlinge aus Asien und Afrika nach Italien, Spanien und Griechenland bringen, so gibt es auch Schlepperbanden in Cuba, die Cubaner noch Norden bringen. Fakt ist, dass nach den spektakulären Massenfluchten mit Flößen und Booten die USA – die die Cubaner ja nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern nur aus politischen Gründen aufnehmen, um Cuba weltweit als unwirtlich hinzustellen – mit Cuba ein Abkommen geschlossen haben, nach dem Cuba die Pflicht hat, die Flucht zu verhindern. Das ist der eine Grund, warum cubanische Behörden Yolanda an der Flucht gehindert haben.

Der andere Grund ist, dass Flüchtlinge in den unzureichend ausgerüsteten und überladenen Fluchtbooten in Lebensgefahr sind, wie das Beispiel der Flucht von Eliáns Mutter zeigt, bei der ca. 11 von 14 Personen starben. Ganz abgesehen davon, dass die Schlepperbanden Geld nehmen und davon steht z.B. in Ihrem Bericht überhaupt nichts. Wie viel Geld mussten Yolanda und Raul für die Flucht zahlen? Wo ist das Geld geblieben? Raúl kann übrigens nur eine 5.000 Cuba-Peso-Strafe nicht US-Dollar-Strafe bekommen und die wird er dann so in 5 oder 10 Monaten abzahlen, so dass er damit leben kann. In dem Abkommen zwischen den USA und Cuba ist auch festgelegt, dass die USA jährlich 20.000 Cubanern Einreisevisa ausstellen, damit Cubaner legal einreisen können und nicht mit lebensgefährlichen Bootsfahrten. Diese 20.000 Visa erwähnt Yolanda. Fakt ist, dass Cuba die Vereinbarung einhält und jede Menge Ausreisevisa ausstellen würde, nur die USA halten die Vereinbarung nicht ein: Sie haben seit der Vereinbarung in den 80er Jahren noch in keinem Jahr 20.000 Visa ausgestellt, weil sie gar keine 20.000 Cubaner aufnehmen wollen. Dass nach Ihrer Darstellung auch Yolanda dies nicht weiß, zeigt nur, dass sie ziemlich desinteressiert ist, denn viele Cubaner wissen dies,.

Marta, die Hausärztin

Auf Seite 118 heißt es dann sehr tendenziös "Für Marta wie für viele Cubaner ist vor allem das Handelsembargo schuld an der herrschenden Misere. Aber auch der bakteriologische Krieg der USA gegen Cuba. Angeblich soll die CIA mit einer Invasion von Viren und Bakterien, etc."

Der erste zitierte Satz drückt ganz klar aus, dass das was Marta sagt und viele Cubaner denken, eben nicht die Ursache für die desolate Wirtschaftslage auf Cuba ist; und das ist tendenziös. Außerdem handelt es sich bei den jetzt in den 90er Jahren Gesetz gewordenen Blockade-Vorschriften nicht allein um ein Handelsembargo. Die Bestimmungen sind seht viel weitgehender und einschneidender: z.B. darf ein Schiff, das einen cubanischen Hafen angelaufen hat, ½ Jahr keinen US-Hafen anlaufen. Oder es werden Gesellschaften in den USA in Regress genommen, wenn sie in Cuba auf dem Grund und Boden oder in Anlagen von damaligen oder heutigen US-Bürgern (dazu: alle Großgrundbesitzer sind 1959 und später in die USA gegangen, die jetzt US-Bürger sind) investieren. Betroffen sind kanadische Firmen wie etwa auch die spanische Melia-Hotelkette. Dazu noch: Alle ausländischen Investitionen, die von der Revolutionsregierung verstaatlicht worden sind, sind entschädigt worden, nur die USA haben sich geweigert, Entschädigungen anzunehmen. Wussten Sie das? Das Gesetz ist natürlich weit umfangreicher, und es würde den Rahmen sprengen.

Dann das Wort angeblich. Was soll das? Wissen Sie nicht, dass Cuba zu seinem Schutz vor den US-Entschädigungsansprüchen und um der Welt aufzuzeigen, wie brutal und skrupellos die USA gegen Staaten vorgehen, die sich ihnen widersetzen zwei öffentliche Prozesse in Havanna durchgeführt haben. Der letzte davon ging erst im vergangenen Jahr zu Ende. In diesem wurden penibel mit Zeugenaussagen und Beweismaterial die Schäden durch Terrorakte der USA gegen Bürger Cubas einerseits und den Staat Cuba andererseits mit Milliarden von US-Dollar-Schäden nachgewiesen. Richtigerweise sprechen Sie daher nur von den bakteriologischen Schäden, die die CIA angerichtet haben soll, weil von denen Teile tatsächlich nicht nachweisbar sind. Aber warum sprechen Sie nicht von den Schäden, die nachweisbar sind? Und dann die Sachen mit den Gehältern von Ärzten auf Cuba. Sie unterstellen der Regierung, dass es an ihr liegt, dass die Gehälter in Cuba so niedrig sind.

Ganz klar drücken Sie dies dann noch (ich glaube es war in dem Kapitel über ANGELA) aus, indem Sie schreiben, die Funktionäre hätten alles und die arme Angela nichts oder so ähnlich. Nun müssen wir zunächst 'mal feststellen, dass Cuba ein Trikontland ist und von US-Sanktionen geknebelt, im Jahre 1990 hinnehmen musste, dass innerhalb kürzester Zeit rund 90% seiner Handelspartner entfallen sind. Dass sich der Cuba-Peso seit 1996 im Verhältnis zum US-Dollar bei 1:20 stabilisiert hat und die DM seitdem vom Verhältnis 1:1,6 auf 1:2,3 gefallen ist und wir hier eine galoppierende Inflation haben. Und wir sich 1. Welt.

Dass in Cuba im Unterschied zu Kolumbien, wo Frau Schelling bis zu ihrem 14ten Lebensjahr gelebt hat, nicht nur jeder kostenlos zur Schule gehen und auch studieren kann und medizinisch versorgt wird, sondern auch 98% der Haushalte Wasser und Elektrizität haben. Gehen Sie doch 'mal eben rüber in die 20 Millionen-Metropole von Mexiko-City, wo Millionen kein Wasser, keine Elektrizität und kein Abwassersystem besitzen!

Der Zuckerpreis, der Nickelpreis, der Kaffeepreis wird doch nicht in Havanna bestimmt sondern in New York; und der Zuckerüberschuss in der EU ist mit Steuergeldern subventioniert. Wie kann Cuba hohe Löhne bezahlen, wenn es 12 Milliarden US-Dollar Schulden hat? Und die BRD bis zum letzten Jahr 750 Mio. Rubel Verrechnungseinheiten Schulden Cubas an die DDR als 2,1 Milliarden DM geltend gemacht hat. Also wie gesagt Verrechnungseinheiten – keine baren Devisen – und als die DDR zur BRD wurde und ihre Verträge mit Cuba dann nicht mehr eingehalten hat? Das wissen Sie angeblich alles nicht? Nun dann sollte man sich hüten mit Aussagen und Tendenzen, die man einer Geschichte gibt.

Elvira

Nur ganz kurz: "Die Reisekosten samt Aufenthalt und Krankenversicherung müssen grundsätzlich vom Ausland bezahlt werden, sonst darf sie Cuba nicht verlassen. So will es der Gesetzgeber ..." Ein Land das kaum Devisen hat und in Zeiten des Neoliberalismus alles andere macht, wie es die Weltbank und der IWF (also USA und EU) von der 3. Welt verlangen (Anmerkung: Cuba erhöht in letzter Zeit sogar leicht seine Ausgaben für Schule, medizinische Versorgung und Kultur), kann seinen Bürgern nur die Ausreise erlauben, wenn andere die Devisen bezahlen. Sie haben dann noch geschrieben, dass Leute nur ausreisen dürfen, wenn ihnen nahestehende Verwandte zurückbleiben, damit sie auch wieder zurückkommen. Das ist aus zwei Gründen unwahr:

Jede(r) Cubaner(in) kann sich mit einen Ausländer problemlos verheiraten und bekommt dann auch die Genehmigung in dessen Land umzuziehen (Wohnsitz zu nehmen) und trotzdem eine beschränkungslose Einreisegenehmigung für jederzeitige Rückkehr zu Besuch oder zum Wohnen nach Cuba. Mit US-Terroristen aus Miami ist das allerdings anders. Exkursion: Der Exilcubaner Luis Posada Carriles, der schon ein cubanisches Flugzeug mit 73 Menschen an Bord hat abstürzen lassen und Anschläge auf Hotels in Havanna machte, bei denen ein Italiener getötet wurde und der beim 10. iberomerikanischen Treffen in Havanna mit gefälschtem Pass als Salvadorianer nach Panama kam und dort Fidel Castro in der Uni in die Luft sprengen wollte (es waren 20 kg C4 Plastiksprengstoff bei seiner Festnahme in Panama sichergestellt worden), der darf auch nach Cuba einreisen. Cuba verlangt sogar seine Auslieferung um ihm den Prozess zu machen. Aber wahrscheinlich ist, dass dieser Terrorist auf Intervention der USA wieder freigelassen wird. Ich kenne cubanische Ehepaare, die auf Einladung von Deutschen nach Deutschland ausreisen durften. Ohne Problem.

Im Übrigen: Der deutsche Staat verlangt laut dem deutschen Gesetz, dass jeder Deutsche, der einen Cubaner oder einen Ausländer aus einem nicht EU-Land einlädt (also mit Abstrich: ich weiß nicht wie es z.B. mit den EU-Aufnahmekandidaten ist wie Polen, Ungarn etc.) die Kosten für Krankheit, Unterbringung, Verpflegung und andere Haftungen übernehmen muss.

Wird Ihnen jetzt einiges klar? Ist Ihnen klar, warum ich von Tendenzbericht schreibe?

Sie, die Sie promovierte Amerikanistin sind und häufig Cuba besucht haben und jedes mal mehrere Wochen in Havanna waren!

Diktatur

In den USA gibt es zwei große Parteien. Wenn Sie Geld haben, können Sie dort sogar zum Präsidenten gewählt werden, wenn denn Ihre Wahlkarten nicht beschädigt werden und daher bei der maschinellen Auswertung nicht berücksichtigt werden und die Handnachzählung verboten wird. Was ist denn nun mit den großen Demokratien. Gut, solange Sie das System, den Kapitalismus nicht angreifen, können Sie Parteien gründen uns sich wählen lassen. Ohne Parteizugehörigkeit ist das fast aussichtslos und innerhalb einer Partei müssen sie sich dem Programm unterwerfen und im Bundestag unterliegen sie dann dem Fraktionszwang und nicht ihrem Gewissen. Dass beides kein Widerspruch ist, hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt. In Cuba können sie sich ohne einer Partei anzugehören aufstellen und wenn Ihre Nachbarn sie denn gut finden, werden sie auch gewählt. Die kommunistische Partei Cubas stellt keine Kandidaten für die Wahlen auf. Allerdings sind viele Kandidaten in der kommunistischen Partei. So ist das also.

So, und wenn in Cuba jemand das System angreifen will – also nicht das kapitalistische – sondern den Versuch eines Sozialismus in einem 3. Welt Land, dann ist bisher Fidel Castro noch der Garant dafür, dass das System nicht angegriffen wird. Das ist wie hier. Hier sind die Garanten die 3 Gewalten, die es in Cuba übrigens auch gibt. Es ist schon heavy mit dem Begriff Diktatur eine Assoziation zwischen Fidel Castro und Pinochet oder den argentinischen Militärdiktaturen herzustellen. Letztere ermordeten alleine 30.000 Bürger Argentiniens und ließen mit Hubschraubern Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen in Meer werfen. Unter der Diktatur in El Salvador wurden sogar unter dem Einverständnis Clintons ca. 100.000 Personen mit CIA-Hilfe ermordet. Die cubanischen Volksvertreter haben auch keine Einnahmen wie die deutschen und keine Parteispendenkonten in der Schweiz wie Herr Kohl.

Rosalinda

Nach 1945 haben sich deutsche Frauen in ihrer Not ebenfalls prostituiert für Dollars, Schokolade, Zigaretten etc. Das ist nun einmal so. Auch dieses Kapitel unterstellt (natürlich nur im Zusammenhang mit den vorhergehenden kritisierten Tendenzen), dass die Not der allein erziehenden Mutter auch irgendwie von der kommunistischen Diktatur verschuldet ist und unterschlägt damit, dass Cuba vor 1959 der Puff der USA war.

Dann wird geschildert, dass Rosalinda sich vor der Polizei in acht nehmen muss und dass Prostituierte, die 2 Mal erwischt werden, eingesperrt werden und dann irgendwie ganz schlimm behandelt werden (ja in unseren Gefängnissen der 1. Welt ist eben alles etwas luxuriöser).

Warum können in kapitalistischen Staaten wie der BRD nun die Prostituierten ganz frei und ungehindert ihrer Arbeit nachgehen und in Cuba nicht?

Ganz einfach: Wenn in einer periodo especial, in einem Trikontland mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Frauen und Mädchen aus der Produktion, aus den Krankenhäusern, aus den Universitäten weglaufen, um sich kurzfristig vermeintlich mit Prostitution mit den Touristen wirtschaftlich besser stellen wollen, dann muss ein verantwortlicher Sozialstaat eingreifen, wenn er sich nicht selbst aufgeben will

So einfach ist das. Kapiert!?

CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 4-2001