Distinguierte Kinogänger in London wurden im März ermuntert, bis zu 500 Pfund auszugeben, um einen neuen Anti-Cuba-Film zu sehen. Die Benefizgala zur Sondervorführung von "Before Night Falls" diente dem Zweck, Geld für das Human Rights Film Festival zu sammeln, das von der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch organisiert wird.
Stars des Films sind Johnny Depp und Sean Penn, der Hauptdarsteller Javier Bardem ist für seine Darstellung des cubanischen Dissidenten und Autors Reinaldo Arenas für einen Oscar nominiert worden. Der Film basiert auf Arenas' Autobiographie, die denselben Titel trägt. Aber er ist schlicht und einfach Mist. Hier erklärt der US-Kinokritiker Jon Hills, wie der Film alte Propaganda über die cubanische Revolution wieder aufwärmt und warum er Protest auslösen sollte.
Seid bereit für "Before Night Falls"
Verteidiger der cubanischen Revolution sollten gewappnet sein, um auf die Verleumdungen reagieren zu können, die der neue Film "Before Night Falls" enthält. Der Film, der in limitierter Auflage in Los Angeles, New York und San Francisco herauskam, wurde von Kritikern quer durch die USA über den grünen Klee gelobt, insbesondere für Javier Bardem, den den selbstelixierten cubanischen Dichter und Romancier Reinaldo Arenas spielt.
In einem Satz, der die erste Essenz einer typischen Besprechung des Werkes gut widerspiegelt, schwärmt David Ansen von Newsweek, der Film sei "lyrisch, sinnlich und niederschmetternd, eine schreiende Anklage gegen das Castro-Regime". Dies sollte uns wachrütteln im Hinblick auf das, was da noch auf uns zukommt. Die Absicht, die hinter dieser Besprechung steht, ist die politische Funktion des Filmes zu umreißen sowie Lügen und Halbwahrheiten über die cubanische Revolution und ihre Behandlung von Schwulen auszubreiten.
"Before Night Falls" ist die Autobiographie des gefeierten cubanischen Romanciers Reinaldo Arenas, die kurz vor seinem Tod in New York City 1990 fertiggestellt wurde, zehn Jahre nachdem er Cuba während der Vorgänge um Mariel verlassen hatte. Sie wurde 1993 in Englisch veröffentlicht.
Arenas, ein mit Preisen dekorierter Dichter der jüngeren Generation Cubas, wurde während der Revolution erwachsen, die er bis 1968 verteidigte. Dies ist eine der vielen Tatsachen, die er in "Before Night Falls" völlig ausradiert im Bemühen, sein neuerfundenes Leben nahtlos an die Mischung aus aufmüpfigen Oppositionellen und geflüchtetem Opfer der "Castro-Diktatur" auszugleichen.
Arenas war ein begabter Schriftsteller, den die Revolution zu schreiben ermutigte und der später durch Machtmissbrauch unter ihrem Banner verbitterte. Dies brachte ihn auf eine lebenslange Irrfahrt, die in den USA endete. Aidskrank, mittellos, aus einer Appartementwohnung nach der anderen rausgeschmissen, ohne Krankenversicherung, beging er schließlich Selbstmord.
Um die cubanische Regierung zu verurteilen, bezog sich Arenas auf politische Praktiken, die allmählich und weitgehend durch die cubanische Führung selbst als Irrtümer und Fehler bezeichnet worden sind. Dies schließt auch die Arbeitslager ein, die von der Regierung in Leben gerufen wurden, um "Delinquenten", viele von ihnen Homosexuelle, zu zwingen nationale Dienste zu verrichten – die Militärischen Einheiten für Produktionshilfe (UMAP), die es von 1965 bis 1967 gab, des weiteren die repressive, gegen gewisse Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller gerichtete Politik der späten 60er und frühen 70er Jahre sowie die formale Diskriminierung von Schwulen während jener Zeit.
Solche Praktiken erwuchsen aus einer starken Gemengelage von Faktoren: der kulturellen Hinterlassenschaft, die noch von Cubas sozialer und ökonomischer Abhängigkeit vom Kapitalismus geprägt war und die manchmal oberflächlich als "machismo" bezeichnet wird, wie auch dem Erbe der spanischen Kolonialisierung und der Wirkung von Sexualdogmen der katholischen Kirche. Hinzu kam die unverrückbare sowjetische Weisheit, dass Homosexualität – die in den frühen Tagen der Russischen Revolution von 1917 legalisiert, aber 1935 kriminalisiert worden war – pervers sei, eine Form "moralischer Degeneriertheit" und "bürgerlicher Dekadenz".
Das Ausmaß der Vorkommnisse, die sich in Cuba aufgrund dieses reaktionären Konstrukts ereignen, wird von Arenas zunächst übertrieben, um dann in seinen Memoiren ausgebuetet zu werden. Schlimmer noch: Kritik und Widerstand diesen Maßnahmen gegenüber, die schließlich zu ihrer Korrektur führten, haben keinen Platz in diesem Buch. Stattdessen verzehrt sich "Before Night Falls" in Hass auf die Sozialistische Revolution, deren unbestreitbare Errungenschaften mit keiner Silbe erwähnt werden.
Der Regisseur der Filmversion Julian Schnabel geht noch einen Schritt weiter als Arenas. Er pfropft mit voller Absicht schamlose Lügen, Verleumdungen und Fälschungen auf die Halbwahrheiten und Verzerrungen drauf, die die Autobiographie charakterisieren.
Zwei Punkte sollten – unter vielen anderen – diesbezüglich besonders hervorgehoben werden. Arenas behauptete, er und sein Kreis von schwulen Männern hätten die Repression gegen Homosexuelle dadurch bekämpft, dass sie "Sex hatten". In seinem Buch prahlt er, bis 1968 – da war er 25 Jahre alt – 5.000 Beziehungen gehabt zu haben. Diese Aussage und all ihre Implikationen sind aus dem Film herausgelassen worden. Unabhängig davon, wie akkurat Arenas Behauptung ist, dies hat nichts zu tun mit Opposition gegen Unterdrückung, egal, ob wirklich oder eingebildet. Aber ein solcher Glaube prägte sein Leben. Schnabel jedoch gibt Arenas das Profil einer Unschuld vom Lande, die sich zu einem befreiten Lebemann und einem Autor über Politik entwickelt.
Arenas eigene Worte und die Chronik seiner Taten beweisen das Gegenteil. Seine letzten Jahre in Cuba waren geprägt von Tiraden gegen die Revolution und von Kollaboration mit ausländischen Regierungen zu dem Zweck, dass seine Polemiken im Ausland veröffentlicht wurden. In den Vereinigten Staaten engagierte er sich in Kampagnen, die die "Castro-Diktatur" anklagten – zusammen mit Intellektuellen und Literaturschaffenden, die sich unter dem Druck Washingtons auf Havanna dafür hergaben.
Arenas kollaborierte mit Néstor Almedros bei der 1984er Pseudodokumentation "Improper Conduct", deren Interviewpartner die schamlose Behauptung aufstellten, Cubas Politik gegenüber den Schwulen sei dasselbe wie die Gräueltaten der Nazis an den Juden in Auschwitz. Er sprach an vielen Orten gegen die Revolution, sogar in mindestens einem Fall auf der selben Rednerbühne wie der Schwulenhasser und Reaktionär Jesse Helms. Arenas widmete seine Erzählung "The Brightest Star" einem Freund, dessen missglückter Versuch einer bewaffneten Entführung einer cubanischen Passagiermaschine mit Verhaftung, Gerichtsverfahren, Verurteilung und Hinrichtung endete. Sein "Abschiedsbrief" reif auf zu fortgesetztem Kampf in Cuba, um die Regierung zu stürzen, und er machte für sein eigenes beklagenswertes Schicksal Fidel Castro persönlich verantwortlich. Ironischerweise – da Cuba (Dank der revolutionären Politik) weitgehend HIV-frei ist – sagt Arenas, er hätte sich niemals damit angesteckt, wenn er in Cuba hätte bleiben können. Es sei Fidel, der ihn gezwungen habe zu gehen, und deshalb sei es Fidels Schuld, dass er, Arenas, sich mit der Krankheit infiziert habe.
Es ist interessant festzuhalten, dass dieser Vorwurf von einer Reproduktion der "Before Night Falls" Website gelöscht wurde.
Schnabels gereinigte und betrügerische Version von Arenas dient dem höheren Zweck des Films. Er beschreibt ihn als ein Werk "gegen Totalitarismus in jedem Land". Aber natürlich ist das hier in Rede stehende Land Cuba und das Angriffsvehikel ist die Vorenthaltung von Rechten den Schwulen gegenüber. Was hinzukommt: Zielgruppe des Films ist ein progressives Publikum. In der Besetzung sind Johnny Depp und Sean Penn; Lou Reed und Laurie Anderson sorgen für die Musik und Hauptdarsteller Javier Bardem ist der Sohn von Mitgliedern der Kommunistischen Partei Spaniens.
Dies ist deshalb kein "Rechtsaußen"-Film für die schwindende Klientel im anticastristischen Miami. Tatsächlich hat Arenas öffentlich erklärt, das Milieu der Exilkubaner in Miami sei eine "Karikatur" des cubanischen Machismo. Das Leben in Little Havanna war für ihn "Fegefeuer" im Vergleich zu der "Hölle", die Cuba verkörperte. Sein kurzer Aufenthalt in Miami und seine Meinung dazu kommen im Film nicht vor.
Der Film passt perfekt in Washingtons zynische und gnadenlose Kampagne gegen Cubas vorgeblich Verletzung von Menschenrechten. Wegen des realen Sündenregisters der USA in Bezug auf Misshandlung und Diskriminierung von Homosexuellen liegt die Hauptverantwortung, in dieser Frage Punkte gegen Cuba zu machen, bei "Freiwilligen", das heißt, bei emigrierten cubanischen Autoren, bei selbsterklärten, nach rechts gerückten Liberalen und bei ehemaligen Radikalen, die "auf Läuterung bedacht" sind. Gemeinsam leisten sie den USA unschätzbare Dienste bei deren groß angelegter Anti-Cuba-Operation.
In Wahrheit hat, wie Unterstützer Cubas wissen, das Land bei den Rechten für Schwule seit den 60er und 70er Jahren enorme Fortschritte gemacht.
1997 waren zehnmal so viele Bewohner von Los Angeles County – dessen Einwohnerzahl in etwa der Cubas entspricht – HIV-positiv als in der gesamten Bevölkerung der revolutionären Insel. Die Gesundheitsvorsorge in Cuba für HIV-Infizierte von ambulanter über stationäre Behandlung bis hin zu Hospizaufenthalten ist kostenlos und freiwillig. In vom Staat geförderten Erziehungsprogrammen reden Leute mit HIV in cubanischen Schulen über geschützten Sex und AIDS-Prävention.
Die politische Polarisierung, welche die Art von Anti-Schwulen-Gewalt hervorruft, bei denen Homosexuelle wie Matthew Shepard 1998 in Wyoming von Pöbel gefoltert und zu Tode geprügelt wurden, existiert in Cuba nicht. Anti-Sodomie-Stauten, wie sie seit dem Fall der Sandinisten in Nicaragua verbreitet sind, wie sie auch benutzt wurden, um einen hochrangigen malayischen Politiker letzes Jahr hinter Gitter zu bringen und die im "bible belt" der USA von hohen Gerichten und Richtern aufrecht erhalten werden, sind in Cubas Gesetzgebung völlig abwesend.
Todesschwadronen, die systematisch brasilianische und kolumbianische Städte von Schwulen "säubern" und solchen, die man als "sozialen Dreck" tituliert, sind in Cuba unbekannt. Öffentliche Orte, an denen sich Schwule treffen, sind nicht länger Gegenstand von Polizeiwillkür.
Bekannte cubanische Rapper singen nicht davon, Frauen oder Schwule umzubringen. Cubanische Schwule und Lesben haben das Sorgerecht für ihre biologischen Kinder und können auch Kinder adoptieren. Die Position des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung des Landes ist die, Homosexualität als eine normale Form menschlichen Verhaltens anzusehen, und das ist seit den frühen 90er Jahren so. Bücher, die für eine solche Haltung argumentieren, wurden bereits von 1979 an veröffentlicht.
All dies konnte nur erwachsen aus dem Fortschritt und den Errungenschaften der Cubaner, namentlich ihrer weiblichen Komponente im Kamp um die Emanzipation der cubanischen Frauen. Durch ihre Eingliederung in den Produktionsprozess und den Zugang zu höherer Bildung schmiedeten sie ihre ökonomische Unabhängigkeit – bis hin zur Legalisierung der Abtreibung, der Förderung freier Geburtenkontrolle, leichtem Zugang zur Scheidung, der Verfügbarkeit von Kinderkrippen und massiver weiblicher Beteiligung an den bewaffneten Streitkräften und der nationalen Verteidigung.
Cubanische Frauen haben in den 40 Jahren erreicht, was Frauen in Drittweltstaaten und den meisten "entwickelten" Ländern noch erobern müssen. Hierdurch sind Ausdrucksformen von Gewalt gegen Frauen, die auf Jahrtausenden der Unterdrückung basierten, wie z.B. Vergewaltigung und Misshandlung qualitativ zurückgegangen und sind quantitativ dramatisch geringer als in anderen Teilen der Welt. Dies reflektiert konkrete Fortschritte und das erhöhte revolutionäre Bewusstsein sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern.
Diese erfrischende Freiheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen – verbunden mit der Solidarität im Herzen der cubanischen Revolution – hat geholfen neue Werte zu schaffen, und diese haben wiederum dazu beigetragen, dass unparteiische wissenschaftlich Haltungen in Bezug auf Sexualität entwickelt wurden, inklusive sexuelle Orientierung und Vorlieben. Aspekte dieser Evolution und dieses Fortschritts kann man in der Dokumentation "Gay Cuba" sehen, die 1994 von der US-amerikanischen Filmemacherin Sonja de Vries in Zusammenarbeit mit cubanischen Homosexuellen erstellt wurde.
Nichts davon wäre möglich gewesen ohne den Selbstkorrekturprozess, der 1986 unter der Führung Fidel Castros und der Kommunistischen Partei Cuba begann. Sein Ziel war "nicht einfach Fehler zu berichtigen, die in den letzten 10 Jahren begangen wurden", wie Castro wiederholt ausführte, "oder Fehler, die während der gesamten Historie der Revolution begangen wurden. Korrektur bedeutet einen Weg zu finden, Fehler zu berichtigen, die möglicherweise Hunderte von Jahren alt sind".
Indem diese politische Mobilisierung strategische Fehler in der ökonomischen Planung ansprach, die sich daraus ergeben hatten, dass man mit den sowjetischen Methoden mithalten wollte, brachte sie Fragen, Debatten und Diskussionen zu vielen Aspekten auf den Weg und schuf damit eine Atmosphäre, in der immer weniger Themen tabuisiert wurden. Und jetzt, mehr als eine Dekade nach dem Zusammenbruch der UdSSR, finden in dem politischen Umfeld, das sich durch den Korrekturprozess ergab, größere Debatten und Diskussionen statt als in Jahrzehnten davor.
Nur wenn man die Wahrheit über die Versuche und Fehlversuche der cubanischen Revolution kennt, die notwendig waren, damit diese ihr derzeitiges politisches Niveau erreichen konnte, und über die Ursachen und Fehler informiert ist, die gemacht wurden, kann man diese Gesellschaft, die sich der Aufgabe widmet, eine bessere Zukunft für seine Bürger zu schaffen, richtig verstehen und verteidigen. Solch ein objektiver, historischer Ansatz ist die beste Antwort auf "Before Night Falls", einem Film, der bald in einem Kino in ihrer Nähre gezeigt werden könnte.
Jon Hillsons ausführlicher Aufsatz über "Before Night Falls" mit dem Titel "The sexual politics of Reinaldo Arenas: fact, fiction, and the real record of the Cuban revolution" erscheint im Online-Journal "Seeing Red" unter http://www.SeeingRed.com.
Quelle: Frühjärsausgabe 2001 von Cuba Si,
Organ der britischen CSC (Cuba Solidarity Campaign)
Aus dem Englischen von Ulli Fausten
CUBA LIBRE 3-2001