Schachzüge

Die 80er Jahre "werden in die Annalen der Opposition gegen Castro eingehen als die Ära des Kampfes für die Menschenrechte und der effektiven Nutzung der Telekommunikation gegen das Regime"

So beschreibt Enrique Encinosa, in seinem Buch: "Cuba en Guerra", das sich mit der Geschichte der Anti-Castro-Opposition aus der Sicht der Miami-Cubaner beschäftigt, deren Strategie.

In dem Buch "Originalton Miami. Die USA, Kuba und die Menschenrechte" zitieren Hernando Calvo Ospina und Katlijn Declerq noch manch andere Passage aus dem von der Cubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung, um die sich die reaktionärsten Kräfte in Miami scharen, herausgegebenen Buch. Lesenswert und entlarvend sind darin auch die zahlreichen Originalinterviews, die mit den RepräsentantInnen unterschiedlicher Organisationen geführt wurden, die heute von Miami aus schärfer den je das sozialistische Cuba bekämpfen.

Nachzulesen sind bei Ospina/Declerq aber auch die Enthüllungen eines brisanten Dokumentes, das einen tiefen Einblick gibt in die Anstrengungen, die aus dem Ausland unternommen werden, um Cuba nicht nur wirtschaftlich zu destabilisieren. Diese Passagen werden im folgenden Text dokumentiert.

Menschenrechte als politische Schachzüge

Nahezu alle Informationsmedien der Welt sowie verschiedene internationale politische und Menschenrechtsorganisationen werden nicht müde, den "heroischen Kampf einer Handvoll von Dissidenten und unabhängigen Männern und Frauen" zu betonen, die allein und mittellos dem cubanischen System gegenüberstehen. Im März 1994 veröffentlichten die Behörden der Insel jedoch ein Dokument, unterzeichnet von Joseph Sullivan, dem Chef der US-amerikanischen Interessenvertretung SINA in Havanna. Das "Top Secret"-Dokument, das nach Aussage der cubanischen Regierung ihr von "befreundeten Händen zugespielt wurde", war an das Außenministerium, an den Immigration an Naturalization Service (INS) und die CIA gerichtet. Eingetragen unter der Referenznummer H 18422 693-4, besagt es das Folgende:

"Betrifft: aktueller Stand des Programms für cubanische Flüchtlinge." Das Dokument wurde (von cubanischer Seite) offiziell der UNO und den Kommunikationsmedien übergeben. Aber es gab nicht eine einzige Reaktion. Und das, obwohl es vollkommen dem Bericht widersprach, der zur gleichen Zeit dem Sonderbeauftragten der UNO Carl-Johan Groth über angebliche Menschenrechtsverletzungen in Cuba übermittelt wurde.

… mussten wir feststellen, dass Menschenrechtsverletzungen, die am wenigsten fundierte Kategorie im Flüchtlingsprogamm darstellen …

Wir glauben, dass der Bericht des Diplomaten Sullivan enthüllend ist und deswegen zu einer ernsthaften Infragestellung des realen Zustands und der Ehrlichkeit der Dissidenz führen kann. Wegen seiner Wichtigkeit geben wir den größten Teil des Textes wieder.

"Bei der Bearbeitung der Visa-Anträge von Flüchtlingen treten nach wie vor wenig begründete Fälle auf. Die meisten Menschen beantragen Asyl eher wegen der sich verschlechternden ökonomischen Situation als wegen realer Furcht vor Verfolgung. Fälle, die von Menschenrechtsaktivisten vorgebracht wurden, erwiesen sich als schwierig für die Beamten der US-Interessenvertretung und Mitarbeiter des INS. Obwohl wir intensiv versuchten, mit den Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten, auf die wir eine größere Kontrolle zur Ermittlung von Menschenrechtlern, die wirklich von der Regierung verfolgt werden, ausüben, mussten wir feststellen, dass Menschenrechtsverletzungen die am wenigsten fundierte Kategorie im Flüchtlingsprogramm darstellen.

… Menschenrechtsfälle als die für Betrug anfälligsten Fälle zu betrachten ...

Anträge von Mitgliedern von Menschenrechtsgruppen zeichnen sich durch allgemeine und unpräzise Beschreibungen angeblicher Menschenrechtsaktivitäten aus, es fehlen beweisbare Anzeichen von Verfolgung; die Grundvoraussetzung zur Bearbeitung im Programm werden nicht erfüllt. Allgemeinste Anschuldigungen in betrügerischen Anträgen von Aktivisten und der Verkauf von Zeugenaussagen führender Menschenrechtsaktivisten setzten sich in den letzten Monaten fort. Aufgrund des Fehlens verifizierbarer dokumentarischer Nachweise machten es sich die Beamten der US-Interessenvertretung und INS-Mitarbeiter zur Regel, Menschenrechtsfälle als die für Betrug anfälligsten Fälle zu betrachten. (…) Obwohl die US-Interessenvertretung versuchte, diejenigen Fälle zu berücksichtigen, die die Aufnahmekriterien erfüllen, enthielt sie sich trotzdem ihre Flexibilität, Fälle einzureichen, die zwar in gewissen Bereichen die Erwartungen nicht erfüllen, für die USA jedoch von Interesse sind. (…) Inzwischen gegen einige der ehemaligen politischen Gefangenen offen zu, dass sie den Flüchtlingsstatus als Mittel nutzten, um der sich verschlechternden ökonomischen Situation zu entkommen und nicht aufgrund einer aktuellen Furcht vor Verfolgung oder Nachstellung. (…) Bedauerlicherweise ist die allgemeine Qualität vieler Anträge recht dürftig. Die wenigsten der ehemaligen politisch Inhaftierten, die heute als Flüchtlinge anerkannt werden, hätten diesen Status noch vor wenigen Jahren erhalten. Normalerweise waren sie wesentlich kürzer inhaftiert im Vergleich zu den ersten, die in das Programm aufgenommen worden waren. Viele spielten weniger wichtige Rollen in konterrevolutionären Gruppen, hatten politischer Umerziehung zugestimmt, um ihre Haftstrafen zu verkürzen, und später politische Betätigung aufgegeben, um sich in die cubanische Gesellschaft zu reintegrieren. (…)

… Kategorie quasi auf jeden anwendbar ...

Wir stellten einen Anstieg an Menschenrechtsfällen seit 1992 fest. Jedoch rührt dieser anstieg nicht von erhöhten Menschenrechtsaktivitäten, höheren Mitgliederzahlen in derartigen Vereinigungen oder verstärkter Repression seitens der Regierung her. Die Mehrzahl der Fälle enthält kaum stichhaltige Nachweise von Verfolgung und weist regelmäßig nur eine minimale, kam glaubhafte Teilnahme an Menschenrechtsaktivitäten nach.

Die Aussagen von Führern der Menschenrechtsbewegung enthalten normalerweise nur vage Beschreibungen von Menschenrechtsaktivitäten wie beispielsweise die moralische Unterstützung von Familienmitgliedern politisch Inhaftierter. Diese Beschreibungen zeigen akkurat das geringe Maß der Aktivitäten und die nichtkonfrontative Einstellung der meisten Menschenrechtsgruppen gegenüber der cubanischen Regierung. (…)

Der generelle Trend war das Fehlen des Nachweises, dass die jeweilige Person wirklich Aktivist sei, sodass diese Kategorie quasi auf jeden anwendbar ist. Jugendliche, die wegen des ökonomischen Niedergangs seit 1989 versucht hatten, das Land illegal zu verlassen und dabei erwischt wurden, tendierten dazu, ihre Anträge als Menschenrechtsaktivisten vorzubringen. Führer von Menschenrechtsbewegungen teilten den Beamten der US-Interessenvertretung mit, sie wüssten, die meisten ihrer Mitglieder seien ihrer Organisation nur beigetreten, um in den Genuss des Flüchtlingsprogramms zu kommen. (…)

In Fällen, in denen die Beweise der Aktivisten dünn sind, ihr Engagement für die Vereinigten Staaten jedoch anderweitig klar ist, entschieden die die Voruntersuchung leitenden Beamten im Zweifel zugunsten der Antragsteller.

Der Führer einer Gruppe äußerte, etliche Personen hätten seine Organisation verlassen, nachdem sie erfahren hätten, dass dort keine Zeugenaussagen für Mitglieder gemacht würden. Er beschwerte sich über Pressionen seitens der Gruppenmitglieder, die verlangten, über ihre Menschenrechtstätigkeit gute Empfehlungsschreiben zu bekommen.

… die meisten Fälle nicht stichhaltig …

Die letzten Besucher des INS wurden wiederholt Zeugen von Betrug und mutmaßlichem Betrug durch Menschenrechtsaktivisten. (…) Die SINA traf sich mit den führenden Köpfen von Menschenrechtsorganisationen, um deren Ziele, Mitgliederzahl und andere Aspekte der wichtigsten Gruppen zu ermitteln. Sie begrenzte die Anerkennung von Zeugenaussagen auf Gruppen, deren Führung wir trauen. (...)

Zu unserem Bedauern verhinderten nicht einmal diese Schritte Vorwürfe von Betrug und bitteren gegenseitigen Beschuldigungen unter führenden Menschenrechtlern. Kurz vor dem INS-Besuch im Dezember beschuldigten Gustavo Arcos und Jesús Yanez vom Comité Cubano Pro-Derechos Humanos Aída Valdés des Verkaufs von betrügerischen Dokumenten. Im Gegenzug bezichtigte sie Arcos und Yanez ähnlicher Praktiken aus Profitgier.

Diese Situation verschärft die generelle Sorge in Bezug auf die Verlässlichkeit von Zeugenaussagen. Die heftigen Rivalitäten und internen Auseinandersetzungen machen es schlicht unvermeidlich, dass es zu wiederholten Vorwürfen des Betrugs kommt. (…)

Während eines Treffens zwischen der SINA und INS nannte Félix Bonne, Führer der Gruppe "Corriente Civica", das Flüchtlingsprogramm den Hauptbrennpunkt der Aufmerksamkeit vieler Menschenrechtsführer und -organisationen. (…)

Obwohl wir größte Anstrengungen unternahmen, mit den Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten, um nur die schwerwiegendsten Fälle herauszufiltern, zeigen die Befragungen eindeutig, dass die meisten Fälle nicht stichhaltig waren. (…) die meisten Aktivisten gaben nur äußerst vage Beschreibungen ihres Engagements in Menschenrechtsgruppen. (…)

Die Probleme, die bei der Bearbeitung des Großteils der Menschenrechtsfälle auftreten, zeigten die Notwendigkeit der weiteren engen Zusammenarbeit zwischen der US-Interessenvertretung und INS, um die wichtigsten Fälle herauszusuchen.

Ferner wird die US-Interessenvertretung ihren flexiblen Umgang mit Fällen beibehalten, die zwar nicht alle Kriterien erfüllen, jedoch aufgrund ihrer Sachlage sich als nützlich für die US-Interessen erweisen können.

Wegen der ausdrücklichen Interessen der CIA an dem Thema Menschenrechte, ihrer wachsenden Beteiligung und ihrer größeren Kenntnis der verschiedenen Menschenrechtsgruppen schlagen wir eine engere Kooperation mit der US-Interessenvertretung im Sinne unserer gemeinsamen Ziele vor.

Die Destabilisierung des Systems durch Unterstützung von Personen oder kleineren Gruppen im Innern ist nicht nur Ziel der US-Regierung. Wenn auch auf niedrigerem Niveau, sind auch die Europäer daran beteiligt: "In der Mehrzahl der Außenministerien Westeuropas gibt es einen Berater oder Sekretär, zu dessen Aufgaben es gehört, die Menschenrechtsaktivisten anzuhören. Lange Zeit wurde diese Aufgabe diskret von der Gesamtheit der diplomatischen Missionen wahrgenommen."

Um etwas genauer zu sein, greifen wir auf das Exposé von William Claes aus dem Jahre 1994 zurück. Er bekleidete zu dieser Zeit die Funktion des belgischen Außenministers und wurde dann Generalsekretär der NATO. Claes antwortete auf eine Frage des Parlamentariers Van Nieuwenhuysen, warum Belgien eine Botschaft in Cuba habe, folgendermaßen: "Die Existenz einer belgischen Botschaft in Cuba erlaubt es uns, gemeinsam mit unseren Verbündeten in der Europäischen Union zu versuchen, an einem friedlichen Übergang zur Demokratie mitzuwirken (…). Dies war gleichermaßen das Motiv für die belgischen Präsenz in den verschiedenen osteuropäischen Ländern, wo unsere diplomatischen Missionen schnell auf die politischen und ökonomischen Veränderungen reagieren konnten."

Auszug aus:
"Originalton Miami. Die USA, Kuba und die Menschenrechte."
Hernado Calvo Ospina, Katlijn Declerq
Papyrossa Verlag, 2001
ISBN 3-89438-222-8
CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 3-2001