Forum für Wissenschaft

Inzwischen gibt es in Cuba 225 Forschungszentren, vor der Revolution waren es 12. Auf 1.000 EinwohnerInnen kommen 1,8 WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen, ebenso viele wie in Italien oder Spanien.

Hunderttausende CubanerInnen sind ausgebildete TechnikerInnen und die Universitäten bringen jährlich neue Spitzenkräfte hervor. Allen voraus im – wettbewerbslosen – Rennen um die bedeutendsten Ergebnisse sind aber die Genetiker. Frisch, jung und voller Ideen stützen sie sich auf ihre Infrastruktur und auf die Phantasie der CubanerInnen, für die es scheinbar nur wenige Probleme ohne Lösungen gibt.

Der Erfindergeist ist in allen Bereichen enorm, gerade seitdem er in Zeiten der Krise überlebenswichtig geworden ist. Beispielsweise wurde ein neuer Verbandsgips entwickelt, den man nicht für teure Devisen im Ausland kaufen muss, sondern im eigenen Land herstellen kann. Oder sie haben »das Kamel« gebaut, einen Bus für 270 Personen, der geholfen hat, das Nahverkehrsproblem zu lösen. Mikroorganismen haben sie gefunden, die Erdöl spalten – ein Beitrag zum Umweltschutz. Eine Prothese für das müde Glied des Mannes entstand, aber auch die Soja-Milch und der Soja-Joghurt und eine Anlage, die das Giewasser für die Pflanzen durch ein Magnetfeld leitet und so bessere Ernten erzielt. Pilze, Hefe und Ratten wurden zur Erzeugung von Impfstoffen verwendet, und die Akupunktur zur örtlichen Betäubung eingesetzt. Aber auch eine neue Operationstechnik zur Behandlung der Nachtblindheit haben sie entwickelt. Aus der phantastischen Begabung vieler einzelner ist inzwischen nichts weniger als eine Volksbewegung geworden.

Ebenfalls im Jahr 1981, dem Geburtsjahr der cubanischen Biotechnologie, entstand die Organisation »Forum für Wissenschaft und Technik«. Auf dieser Bühne stellen die innovativen CubanerInnen jedes Jahr vor, was ihnen in den letzten zwölf Monaten eingefallen ist – vom kleinen Verbesserungsvorschlag in der Fahrradfabrik bis hin zum Impfstoff oder einem computerisierten Diagnosekasten für Kliniken. Mit der Gründung dieses Forums folgte man einem Gedanken des noch immer allgegenwärtigen Che Geuvara. Der hatte früh erkannt, dass die Insel sich mit der Anbindung an das sozialistische Lager und die Sowjetunion, ein Ersatzteilproblem einhandeln würde, denn die gesamte Technologie basierte bis dahin auf nordamerikanischen Erzeugnissen. Später basierte die Technologie auf Erzeugnissen aus der Sowjetunion, die aber gab es nach 1990 nicht mehr.

Offenbar ist das Problem der Abhängigkeit ein cubanisches Schicksal. Che jedenfalls forderte schon Anfang der sechziger Jahre dazu auf, nach Lösungen zu suchen und Ersatzteile selbst anzufertigen. Dieses Programm schuf den Kern dessen, was einmal das Forum werden sollte. Der letzte Ansto kam dann von Fidel Castro selbst, das Forum entstand auf seinen ausdrücklichen Wunsch. Auf der ersten Tagung standen 828 Erfindungen und Lösungsvorschläge zur Debatte. 120 davon wurden umgesetzt. Insgesamt 1.000 CubanerInnen hatten sich beteiligt. Das war im Jahr 1982. Nun, 15 Jahre später nahmen bereits 412.135 Menschen an diesem Denkwettbewerb teil und schlugen 662.443 Lösungen vor – ein Weltrekord.

Heute ist die Armee ebenso Teilnehmer des Forums wie die Universitäten, die Fabriken, die Schulen und Jugendorganisationen. Oder Hausfrauen, Bauern und Pensionäre. Cuba hat sich auf den Weg ins Reich der Erfindungen gemacht und begonnen, die Phantasie seiner Menschen in ihrer vollen Kapazität einzusetzen. Das System areitet zur allgemeinen Zufriedenheit auch oder gerade weil selbst so bedeutende Arbeiten wie die Entwicklung eines neuen Impfstoffes in materieller Hinsicht bestenfalls mit einem vom Staat zur Verfügung gestellten Auto belohnt werden. Vielleicht kommt dazu noch ein Händedruck des Comandante en Jefe, jedoch keinerlei privatwirtschaftliche Verwertung.

CUBA LIBRE Quelle: Hentschel/Creutzmann, "Salsa einer Revolution" 1999

CUBA LIBRE 2-2001