Es heißt, dass sich Demokratie (laut "Brockhaus in einem Band", 8. Aufl. März 1998: "[griech. 'Volksherrschaft'] die, Lebens- und Staatsform, die von der Gleichheit und Freiheit aller Bürger ausgeht und daraus die Forderung ableitet, dass nach dem Willen des Volkes regiert werde ...") insbesondere und vor allem bei Wahlen zu den Parlamenten auf den verschiedenen Ebenen ausdrücke.
Es heißt, dass die Bundesrepublik Deutschland eine der höchstentwickelten Demokratien der Welt sei, während beispielsweise das cubanische System die blanke Diktatur (laut o.g. Quelle: "unbeschränkte Machtfülle eines Einzelnen oder einer Gruppe; in autoritären Staaten auch mit formaler, dem Schein dienender Aufrechterhaltung demokr. Einrichtungen ...") darstelle, weshalb von der cubanischen Revolutionsregierung von den hiesigen Gralshütern der, respektive ihrer Demokratie auch gebetsmühlenartig "mehr Freiheit & Democracy" gefordert wird.
Demgegenüber behaupten die Kommunisten, dass auch die Fragen der Demokratie Klassenfragen seien.
Sie behaupten, dass in der BRD, gemäß der zweiten o.g. "Brockhaus"-Definition, eine bürgerliche, also von einer kleinen Gruppe von Kapitalisten als temporär sinnvoll erachtete Scheindemokratie herrsche, wohingegen bspw. Auf Cuba eine im Wortsinne Volksherrschaft an der Macht sei.
Sie stellen in diesem Zusammenhang die "Gretchenfrage", wo denn bei der hierzulande praktizierten Scheindemokratie die Teilhabe an der, geschweige denn die Macht über die politische und ökonomische Verfügungsgewalt im Lande bleibe.
Wagen wir einen kleinen Vergleich und begeben uns auf das ureigenste Terrain der hierzulande Herrschenden, auf dem sie die "großartige Überlegenheit" der Demokratie ausmachen und immer wieder propagieren. Wie sieht es denn eigentlich aus mit den so hochgepriesenen und "im Zentrum aller Dinge" stehenden regelmäßigen Wahlen?
Formale Gemeinsamkeiten
- In Cuba besteht ebensowenig wie in der Bundesrepublik Deutschland eine Wahlpflicht.
- Alle Wahlen sind laut Verfassung in Cuba wie in der BRD frei, direkt und geheim.
- In Cuba können seit langen in die Kommunal- und Provinzparlamente Menschen ab dem Alter von 16 Jahren, für das Nationalparlament ab 18 gewählt werden.
- Ab 16 haben alle das Recht, zu wählen. Letzteres wurde in der BRD erstmals 1999 praktiziert.
- In Cuba gibt es bei den Kommunalwahlen in den Wahlkreisen, in denen einzelne Kandidatinnen und Kandidaten nicht über 50% der abgegebenen Stimmen erhalten, am darauffolgenden Wochenende, einen zweiten Wahlgang. Dieses Verfahren wurde in NRW erstmals zu den OB-Wahlen im September '99 eingeführt.
Damit hören selbst die formalen Ähnlichkeiten auch schon auf.
Formale Unterschiede
- In Cuba stellt die Kommunistische Partei keine eigenen Kandidaten auf und wählt auch (als Partei) niemanden. Dies ist in der BRD etwas anders …
- Die Amtszeit der Kommunal- und Provinzparlamente dauert in Cuba 2 Jahre, in der BRD 5 Jahre.
- Die Amtszeit der Nationalversammlung dauert in Cuba fünf, in der BRDE vier Jahre.
- In Cuba ist Wahlpropaganda (und damit auch die Abhängigkeit von finanziellen Ressourcen) gesetzlich verboten. In der BRD gilt in der Praxis das Gegenteil.
- In der BRD nehmen alle Medien (bspw. Durch Veröffentlichung von "Trends", "Prognosen" etc.) unmittelbar auf die Wahlentscheidung Einfluss. Dies findet in Cuba nicht statt.
- In der BRD haben Faschisten die Möglichkeit, in Parlamente gewählt zu werden. Dies ist in Cuba nicht möglich.
Aktive Beteiligung der Bevölkerung in den Massenorganisationen als 1. Maßstab für die Qualität einer Demokratie
BRD
Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Realität in Cuba beklagen hierzulande alle Parteien sowie die Gewerkschaften (als für die hiesigen Maßstäbe einzig relevante Massenorganisationen) seit Jahren rapide Mitgliederverluste. In der Praxis sind z.B., trotz ihres Anspruchs auf den Begriff "Volksparteien", die örtlichen Mitgliederversammlungen von SPD und CDU – wo sie denn noch stattfinden – zu Folkloreveranstaltungen verkommen, in denen gelegentlich die jeweiligen Kandidat/innen für obere Parteiorgane und Parlamente abzunicken sind. Den Gewerkschaftsversammlungen an der Basis ist – im Unterschied noch zur Praxis der 70er Jahre – ein ähnlich desaströses Schicksal beschieden.
Cuba
In Cuba nimmt demgegenüber der Großteil der Bevölkerung regelmäßig bspw. An den i.d.R. Alle vier bis sechs Wochen stattfindenden Versammlungen der CDR (Komitees zur Verteidigung der Revolution; organisiert nach Straßenzügen) teil. Hinzu kommen Gewerkschaftsgruppensitzungen auf allen Ebenen, die Treffen der UJC (Kommunistischer Jugendverband), FMC (Frauenliga), den Gliederungen der PCC und anderen Massenorganisationen. In all diesen Versammlungen wird über die Bewältigung ebenso heftig diskutiert wie über die Zukunft des gesamten Landes.
Im Ergebnis stößt man auf die objektive und statistisch abgesicherte Erkenntnis, dass sich der Großteil der cubanischen Bevölkerung um ein Vielfaches an der Gestaltung des eigenen Lebens, der eigenen Zukunft und der Perspektive des Landes beteiligt, als dies in der BRD der Fall (und wohl auch gewünscht) ist.
Aktive Beteiligung an den Wahlen als 2. Maßstab für die Qualität einer Demokratie
BRD
Diesem Artikel sind einige Daten zur Entwicklung der Wahlbeteiligung in der BRD an verschiedenen Daten angehängt.
Ausgewählt wurden Wahlen zum Europa-Parlament (1979-1999), Bundestag (1987-1998) und zu den Kommunen in NRW (1984-1999) [Hinweis: Die im September 1999 stattgefundenen Landtagswahlen sind nicht erfasst, da mir hierzu keine signifikanten Vergleichszahlen der Wahlbeteiligung über einen längeren Zeitraum vorlagen.]
Zusammenfassend ergibt sich folgender allgemeiner Überblick:
- Die Wahlen zum Europa-Parlament auf Bundesebene ergeben eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von 57,98% für den o.g. Zeitraum.
- Die Wahlen zum Bundestag ergeben eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von 82,27% für den o.g. Zeitraum (angesichts der jüngsten Entwicklungen dürfte diese zahl bei den Wahlen 2002 weiter sinken.)
- Die Kommunalwahlen in NRW ergeben eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von ca. 64% auf Landesebene für den o.g. Zeitraum.
Relativiert werden diese Zahlen durch die desaströse Wahlbeteiligung bei allen 1999 stattgefundenen Landtags- und Kommunalwahlen (50%-65%). Es sei darauf hingewiesen, dass der "Durchmarsch" der CDU in NRW stattgefunden hat, obwohl auch sie an absoluten Stimmen verloren hat. Die prozentuale Steigerung der CDU um örtlich bis zu 20% lag schlicht daran, dass sich rund die Hälfte der Wahlbeteiligten dm Wahlgang verweigert hat. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass diese Entscheidung der "Wahlverweigerer" zu einem großen Prozentsatz eine bewusste politische Entscheidung war.
Wichtig hierbei ist zu erkennen, dass es keinesfalls nur um irgendwelche zahlen, sondern durchaus um relevante Indikatoren für die Qualität von Demokratie geht.
Ein Beispiel: Wenn nur 50% der Wahlberechtigten überhaupt ihre Stimme abgeben und eine Partei oder ein/e Kandidat/in – im besten Falle – 50% davon erhält, so heißt das im Klartext: Diese Person oder Partei legitimiert sich mit max. 25% der möglichen Stimmen!
Umgerechnet auf die Bundestagswahl, bei denen sich eine Partei i.d.R. Schon mit rund 40% der für ihren Verein abgegebenen Stimmen ganz legitim als "Sieger" gerieren kann, heißt das bei einer Wahlbeteiligung von bisher durchschnittlich rund 80%, dass sich die "führende Partei" bei diesem durchschnittlichen Zahlenbeispiel auf 32% der tatsächlich wahlberechtigten Bevölkerung stützen kann.
Pikant bei solcherart Wahlen ist auch das Selbstverständnis der zur Wahl Stehenden. So geriert sich der abgehalfterte West-Import Prof. Kurt Biedenkopf in Sachsen als "König Kurt". Der wiedergewählte Ministerpräsident dieses Bundeslandes wird so auch in den Medien, von den Anderen Parteien und der Masse der Bevölkerung tituliert. Wohl kaum nur ein "Scherz", geschweige denn eine freud'sche Fehlleistung, wenn man im Vergleich die TV-Berichterstattung der NRW-Kommunalwahl verfolgt hat. Dort formulierten die jeweiligen Spitzenvertreter von CDU und SPD nach Bekanntgabe der einzelnen örtlichen Ergebnisse wortgleich: "wir haben die Stadt X gewonnen" bzw. "Wir haben die Stadt Y verloren".
Eine wirkliche "Monoloply"-Mentalität, die durch die Erkenntnis und Erfahrung erklärbar wird, wie solche Stadt-, Landes- und auch Bundesregierungen unter dem Diktat der Konzerne die Region(en) und ihre Menschen quasi in Feudalmanier als Verfügungsmasse beherrschen. Demokratie? Wohl Fehlanzeige.
In diesem Zusammenhang wird es dann wohl auch "verständlich", wenn angesichts von derzeit offiziell (!) registrierten 4,095 Millionen arbeitslosen Menschen sowie ende 1998 offiziell (!) registrierten 2,91 Millionen Sozialhilfeempfänger/innen in der BRD am 30.09.1999 im Bundestag bei der Vorstellung des "Armuts-/Reichtumsbericht in der Bundesrepublik Deutschland" am Donnerstag, d. 30.09.1999, um 17:00 Uhr von 669 gewählten "Volksvertretern" ca. 25 Personen an der "Debatte" teilnehmen bzw. sich im Plenum befanden …
Cuba
Die letzten Wahlen zur Nationalversammlung in Cuba fanden am 24.02.1993 und am 11.01.1998 statt.
Zu den erstgenannten Wahlen wurde im Vorfeld das Wahlgesetz modifiziert und noch basisdemokratischer gestaltet. Es sei daran erinnert, dass diese '93er-Wahlen unter den extrem komplizierten Bedingungen der doppelten Blockade durchgeführt wurden; zu einem Zeitpunkt, als sich die Versorgungskrise dem Höhepunkt näherte! Es war die Zeit, als die Contras in Miami im Wortsinne auf ihren Koffern saßen und alle kapitalistischen Medien weltweit den Sturz der Revolution in greifbarer Nähe sahen.
An diesen Wahlen, die auch von der cubanischen Staatsführung als Referendum für oder gegen die Revolution formuliert wurde, beteiligten sich 99,62% der Bevölkerung; 92,8% der Stimmen entfielen auf die Regierungskandidatinnen und -kandidaten; 3,9% der Stimmen waren ungültig; 3,3% enthielten sich.
Bei den Nationalwahlen am 11.01.98, die parallel zu den Wahlen zu den Provinzparlamenten stattfanden, beteiligten sich 98,35% der Wahlberechtigten, wovon 94,35% der Stimmen die komplette Vorschlagsliste unterstützten. In der deutschsprachigen "Granma Internacional" (Febr. '98) heißt es hierzu u.a.:
"Fidel verglich diese Wahlen mit denen in den USA, wo im äußersten Fall die Hälfte der Wahlberechtigten abstimmen. Er erinnerte daran, dass in der Vergangenheit in Kuba bewaffnete Soldaten die Wahlurnen bewachten, bereit, in jedem Moment auf das Volk zu schießen, jetzt aber seien es Kinder, geschmückt mit ihren Pionierhalstüchern. Und im Unterschied zu anderen Ländern gäben die Kandidaten nicht einen Centavo für ihren Wahlkampf aus. Ihre Wahlkampfmannschaft und ihre Stärke seien das Volk."
Die letzten Kommunalwahlen in Cuba fanden am 09.07.95 und 19.10.97 statt.
Bei den erstgenannten gab es eine Wahlbeteiligung von 97,1%, 11,03% der abgegebenen Stimmen waren ungültig oder Enthaltungen. 2,8% der Wähler/innen gingen nicht zur Wahl. Zu diesen Wahlen schrieb die deutschsprachige "Granma Internacional" (Juli/August 1995) u.a.: "Wochen zuvor beteiligten sich sechs Millionen Kubaner in 27.789 Nachbarschaftsversammlungen ihrer Wohngebiete an den Diskussionen darüber, wer am besten geeignet ist und es verdient, sie in den kommenden zweieinhalb Jahren in den Gemeinderäten zu vertreten. Auf diese Art wurden insgesamt 29.131 Kandidaten aufgestellt. 10.000 davon waren Arbeiter, der Rest Bauern, Studenten, Selbständige, Führungskräfte, Angehörige der Streitkräfte und des Innenministeriums. (…) "Nirgendwo existiert ein ähnliches Beispiel von wirklicher Demokratie und Bürgerbeteiligung", kommentierte Ricardo Alarcón, und Außenminister Roberto Robaína erinnerte daran, dass in Kuba ständig Wahlen stattfänden. Das Land sei wie eine riesige Wahlurne, denn täglich demonstriere das Volk seine Zustimmung."
Bei der letzten Kommunalwahl am 19.10.97 lag die Wahlbeteiligung bei 97,59%. Im Vorfeld gab es wiederum Tausende von Wahlversammlungen, bei denen über 31.000 Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt wurden, von denen in direkter und geheimer Abstimmung 14.533 Vertreter/innen gewählt wurden. In der deutschsprachigen "Granma Internacional" (Nov. 1997) heißt es hierzu u.a.:
"Fidel versicherte, es gebe nichts, worum das demokratische Wahlsystem andere beneiden müsste und sagte nachdrücklich über die Demokratie in Kuba, sie wäre ohne Gerechtigkeit, Gleichheit, Kultur und politisches Wissen nicht möglich. In Ländern dagegen, in denen es Personen gibt, die Milliarden besitzen, während andere auf der Straße schlafen, könne es keine Demokratie geben. (…) Während das Phänomen der Korruption universell anzutreffen sei und damit ebenfalls bei Wahlen, sei das kubanische Wahlsystem 'antikorrupt'.
[Die angegebenen Wahlergebnisse sowie die entsprechenden Kommentare und Analysen sind nachzulesen in den Ausgaben der deutschsprachigen "Granma Internacional" von Juli/August 1995, November 1997 und Februar 1998.]
Aus Platzmangel kann hier nicht mehr auf weitere, entscheidende demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten und -praktiken der cubanischen Bevölkerung wie z.B. der massenhaften Beteiligung an den Vorbereitungen der PCC-Parteitage (zuletzt vom 10.-13.10.93 und vom 08.-10.10.97) eingegangen werden. Hierzu nur so viel: Wenn es in den vergangenen 50 Jahren der Existenz der BRD auch nur eine jeweils regierende Partei gegeben hätte, die die bundesdeutsche Bevölkerung auch nur annähernd ähnlich in die Verantwortung für die Zukunft des Landes einbezogen hätte, so sähe die Realität dieses Landes heute sicherlich etwas anders aus.
"Betrachtungen zum Systemvergleich", so lautet der Untertitel dies Kommentars. Hierbei darf ein Blick auf die jeweilige Verfassung als Basis für staatliches Handeln nicht fehlen. Also abschließend und unkommentiert die entsprechenden, entscheidenden Passagen im Vergleich:
BRD:
" (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt." (Grundgesetz, Art. 20)
"Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. (...)" (Grundgesetz, Art. 21)
Cuba:
"In der Republik Cuba lebt die Souveränität in dem Volk, von dem alle Macht des Staates ausgeht. Diese macht wird direkt oder durch Volksversammlungen und die ihr abgeleiteten Staatsorganismen in der Verfassung festgelegten Form ausgeführt. Alle Bürger haben das Recht, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich des bewaffneten Kampfes, sollte es keinen Ausweg geben, gegen jeden vorzugehen, der die durch die Verfassung festgelegte politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung zu stürzen versucht." (Verfassung der Rep. Cuba, Kapitel 1 / 2.)
Es sei dem geneigten Leser / der geneigten Leserin anheim gestellt, die jeweiligen Verfassungsgrundsätze und deren Realität selbst einzuschätzen.
Quellen:
- Wahlanalysen der Stadt Essen – Amt für Statistik, Stadtforschung und Wahlen;
- "Kürschners Volkshandbuch – Deutscher Bundestag", 13. und 14 Wahlperiode;
- Dokumentationen in regionaler und überregionaler Tagespresse ("NRZ" und "jW")
Heinz W. Hammer, 02.10.1999
CUBA LIBRE 1-2000