Auszüge eines Interviews von Nadja Bunke, der Mutter von Tamara, - Tanja la Guerillera
Nadja Bunke, geb. 1911, ist die Mutter von Tamara Bunke (geb. 1937). Ihre Tochter, geborene Argentinierin, begeistertes FDJ-Mitglied in der DDR, dann entschlossene Milizionärin in Kuba, kämpfte unter dem Namen Tanja la Guerillera an der Seite Che Guevaras in Bolivien. Am 23.12.1997 erwirkte Nadja Bunke beim Berliner Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen das Buch "Tanja, Die Frau, die Che Guevara liebte" des uruguayischen Autors José A. Zapata. Sie bezeichnet es als "Machwerk auf der Grundlage von Verleumdungen und Lügen".
Ein neues Buch über ihre Tochter Tamara Bunke, oder Tanja la Guerillera, ist im September 1997 im Aufbau-Verlag erschienen. Was gibt es gegen das Buch des uruguayischen Schriftstellers José A. Zapata einzuwenden?
Das Buch strotzt nur so von sachlichen Fehlern, üblen Verleumdungen und offenen Lügen. Im Zentrum steht die Behauptung, Tanja wäre eine "mit allen Wassern gewaschene Dreifachagentin" gewesen. Sie wäre nicht nur für den kubanischen Geheimdienst, sondern auch für die Sicherheit der DDR und die sowjetischen Sicherheitsorgane tätig gewesen. Die Staatssicherheit besitzt aber überhaupt keine Akte von Tamara Bunke. Nur ihr Name wird in der Akte von Günther Männel, einem ehemaligen Offizier der Staatssicherheit, ein paarmal erwähnt. Männel flüchtete am 29. Juni 1961 nach zwei Disziplinarverfahren wegen Trunkenheit und sexueller Nötigung in den Westen wenige Wochen nach Tamaras Abreise nach Kuba. Tamara war am 9. Mai 1961 in Anwesenheit von meinem Sohn und mir vom Berliner Flughafen Schönefeld abgeflogen, um über das revolutionäre Kuba nach Argentinien zurückzukehren. Sie war ja geborene Argentinierin und hatte somit die argentinische Staatsangehörigkeit auf Lebenszeit. Dort wollte sie in den Reihen der verbotenen Kommunistischen Partei Argentiniens kämpfen. Dazu steht dann in der Akte, Tamara hätte nun doch nicht mehr die Absicht, nach Argentinien auszuwandern, sondern wolle in Kuba bleiben und sogar die kubanische Staatsbürgerschaft annehmen. Und als letzter Satz steht dann eindeutig: "In Folge des Verrats (von Männel) ist dieser Vorgang nicht mehr verfolgt worden, Mit dem Moment ihrer Abreise nach Kuba ist der Kontakt zur Staatssicherheit also vollständig abgebrochen, und zwar von beiden Seiten aus.
Auch der Vorwurf, sie hätte für den KGB spioniert, ist völlig haltlos. Ich bin extra nach Moskau gefahren und habe sowohl vom Pressebüro der Auslandsaufklärung der Russischen Föderation, als auch von einem Offizier der sowjetischen Auslandsaufklärung, der sehr lange Zeit Verantwortlicher für den amerikanischen Sektor war, ein Schreiben erhalten, in dem eindeutig versichert wird, daß es keine Zusammenarbeit zwischen Tamara Bunke und der sowjetisch/russischen Auslandsaufklärung gegeben hat. Dieser Offizier, der 33 Jahre in der sowjetischen Staatssicherheit tätig war, hat mir sogar zugesichert, falls es notwendig wäre, hier als Zeuge vor Gericht aufzutreten.
Der Vorwand der dreifachen Agentin ist aber nicht Ihr einziger Kritikpunkt. Gibt es weitere Unwahrheiten in dem Buch?
Ja, natürlich, es sind so viele Unwahrheiten und Verleumdungen darin, daß ich sie gar nicht alle darstellen kann. Zum Beispiel behauptet Zapata, daß die Staatssicherheit mit uns, den Eltern, gesprochen habe und wir nichts gegen Tamaras Tätigkeit für die Staatssicherheit einzuwenden hatten. Und daß sogar unsere Wohnung gelegentlich für konspirative Treffen genutzt wurde. Das ist von A bis Z erlogen! Bedenken Sie mal die Ungeheuerlichkeit dieser Behauptung. Wenn man mit uns gesprochen hätte, dann hätte ich alles versucht, um Tamara davon abzuhalten, der Stasi solche Zusicherungen zu machen. Einfach aus dem Grund, weil wir wußten, daß sie in der verbotenen Kommunistischen Partei Argentiniens arbeiten wollte. Wir hatten sowieso schon große Sorgen, da uns klar war, daß sie früher oder später verhaftet wird. Wenn sich dann herausgestellt hätte, daß sie als Spionin für die Staatssicherheit arbeitet, was hätte das bedeutet?!
Der zweite Komplex, der mich besonders angeht, ist die Erziehung. Zapata schreibt, daß die Eltern und vor allem die Mutter, betont er extra ihr schon als kleines Kind Wörter wie "Subversion" oder "Weltrevolution" eingetrichtert hätten. Außerdem hätte Tamara schon als kleines Kind an geheimen Treffen der Kommunistischen Partei Argentiniens teilgenommen und wäre Zeugin heftiger Debatten gewesen. Das ist selbstverständlich völliger Unsinn. Denn erstens fanden solche Treffen erst abends um 21 Uhr statt, wenn die Kinder schon längst schliefen, und zweitens haben wir schon aus konspirativen Gründen strengstens darauf geachtet, daß die Kinder nichts davon erfahren, damit sie sich in der Schule nicht aus Versehen verraten.
Außerdem schreibt er, daß Tamara Haß auf die Eltern gehabt hätte, weil wir sie hierher in die DDR gebracht haben. Natürlich, sie ist in Argentinien aufgewachsen und wäre lieber dort geblieben, aber genauso fasziniert war sie vom Aufbau des Sozialismus in der DDR. Kaum hatte sie an der ersten FDJ-Versammlung teilgenommen, war sie begeistert und wollte so schnell wie möglich Mitglied der FDJ werden. Sie trat sofort nach ihrer Aufnahme in die Clara-Zetkin-Oberschule im September 1952 in die FDJ ein und nicht erst 1955, wie Zapata behauptet. Sie wurde auch Mitglied der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft, der Gesellschaft für Sport und Technik, in der sie Reiten und Sportschießen lernte, sowie der Betriebssportgruppe Stahl. Sie war überall gesellschaftlich sehr aktiv. Nach dem Abitur 1956 ging sie nach Berlin, um im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten zu arbeiten. Während ihrer Tätigkeit dort, später als Pionierleiterin und schließlich als Studentin an der Humboldt-Universität wurde sie oftmals als Dolmetscherin und Betreuerin von lateinamerikanischen Delegationen eingesetzt
Das Buch von Zapata trägt den Titel "Tanja. Die Frau die Che Guevara liebte". Seit Jahrzehnten gibt es die Behauptung Tanja wäre die Geliebte von Che Guevara gewesen. Gelingt es Zapata, dafür Belege zu bringen?
Nein, überhaupt nicht, in dem ganzen Buch gibt es nur einen halben Satz darüber! Und zwar an der Stelle, wo Zapata über Che Guevaras zweitägigen Besuch 1960 in der DDR berichtet. Che Guevara besuchte damals als Präsident der Nationalbank von Kuba zunächst Leuna und dann Leipzig. In Leipzig traf er sich mit kubanischen und anderen lateinamerikanischen Studenten. Und zu dieser Konferenz hatte der Zentralrat der FDJ eine offiziellen Vertreter geschickt, zusammen mit der Dolmetscherin Tamara Bunke. Von Leipzig ist Che Guevara dann nach Berlin weitergefahren, hat die Außenhandelsabkommen unterzeichnet und ist schon abends mit dem Zug nach Polen weitergereist. Und in dem Buch steht dann, völlig ohne Belege, daß Tamara wahrscheinlich da schon intime Beziehungen mit Che hatte, ein halber Satz, mehr nicht! Und dann kommt das nie wieder vor, nur im Titel und in diesem halben Satz! Auch für diese Verleumdung gibt es keine Beweise. Aber dafür gibt es niemanden in dem Buch, mit dem Tamara angeblich keine Liebesbeziehung gehabt haben soll. Ein Kubaner aus der kubanischen Vertretung in Prag, ein Maler
Tamara wird als eine Topagentin beschrieben, die berechnend, skrupellos, herzlos ist und ihre Liebhaber wie Hemden wechselt je nachdem ob sie gerade nützlich sind oder nicht. Er kann sich anscheinend nicht vorstellen, daß Tamara Bunke bzw. Laura Gutíerrez Bauer, der Name unter dem sie in La Paz als Kundschafterin tätig war, andere Qualitäten und Fähigkeiten hatte. Tamara gewann die Sympathie und das Vertrauen der Menschen durch ihre außerordentliche Ausstrahlung, ihr kontaktfreudiges Wesen, als eine hübsche, attraktive junge Frau, die mehrere Sprachen beherrschte und sich sehr für Folklore, Archäologie und Ethnologie interessierte. Sie gewann so viele Freunde, die sie sehr schätzten und ihr gerne halfen. Auf den Kontakt mit diesen Zeugen legte Zapata aber anscheinend keinen Wert.
Sind diese Verleumdungen denn neu?
Nein, die sind fast 30 Jahre alt und werden in den verschiedenen Versionen immer wieder aufgewärmt. Nachdem ab Anfang März 1968 die ersten Artikel über die heldenmütige Revolutionärin und Kampfgefährtin Che Guevaras, Tanja la Guerillera, in Kuba erschienen, begannen die Verleumdungen in der reaktionären Presse. Es begann mit dem Artikel des erwähnten flüchtigen Stasioffiziers Günter Männel am 25.5.1968 in der Welt am Sonntag. Darin schrieb er, Che Guevara hätte Tanja nicht nur als gute Schützin, sondern auch als Frau geschätzt, und er hätte sie den sowjetischen Sicherheitsorganen geliehen, um sie auf Che Guevara anzusetzen. Und das soll alles im Mai 1968 passiert sein, denn danach war Tanja schließlich in Kuba?! In dem Jahr, als Che kubanischer Industrieminister wurde, soll sie von den sowjetischen Sicherheitsorganen auf ihn angesetzt worden sein? Dabei hatte er doch nichts davon gesagt, Kuba verlassen zu wollen! Na ja, jedenfalls gingen ab 1968 die Verleumdungen durch die Reaktionäre Presse der Welt. Der ehemalige bolivianische Innenminister Antonio Arguedas hat 1969/70 in der Pressekonferenz in La Paz selbst berichtet, daß die CIA ihn gezwungen hat, solche Artikel über Tanja la Guerillera in die Offiziellen bolivianischen Zeitungen zu setzen. Darin wird sie dann als dreifache Agentin und Geliebte von Che bezeichnet. Artikel mit dem gleichen Inhalt erschienen danach auch im britischen Observer, in der US-amerikanischen New York Times sowie in brasilianischen, finnischen und anderen Zeitungen
In der DDR trugen 242 Jugendbrigaden, Frauengruppen, Kindergärten und Schulen den Namen Tamara Bunke. Wieviele davon haben die Einverleibung durch die BRD überlebt?
Der einzige, der meines Wissens noch existiert, ist der Jugendclub im Berliner Bezirk Friedrichshain. Alle anderen sind umbenannt worden oder bestehen gar nicht mehr. Aber was nicht verhindert werden kann ist, daß sich viele Menschen noch an Tamara Bunke erinnern. Wieviele Menschen mich fragen, ob ich mit Tamara verwandt bin, Taxifahrer, eine Serviererin
Es erwärmt mir immer wieder das Herz, wenn ich sehe, daß die Menschen sie nicht vergessen haben. In Kuba gibt es unzählige Kollektive und Institutionen, die den Namen Tamara Bunke oder Tanja la Guerillera tragen. Und sowohl in Kuba als auch in Bolivien tragen viele Kinder den Namen Tanja oder Ernesto.
Letztes Jahr wurden die sterblichen Überreste Che Guevaras und sechs seiner Kampfgefährten gefunden. Sobald die Überreste Tanjas gefunden werden, was soll mit ihnen geschehen?
ich habe den Kubanern eine Vollmacht ausgestellt, die sterblichen Überreste von Tamara zu suchen, zu bergen und zu identifizieren. Mein innigster Wunsch ist es, daß Tanja in Kuba bestattet wird. Im Mausoleum in Santa Clara, wo Che Guevara liegt, wurden insgesamt 38 Nischen für alle Partisanen, einschließlich Tanja eingerichtet.
Interview: Christoph Wiesner
Junge Welt, 7./8. März 1998
CUBA LIBRE 2-1998