Viele Stimmen in den Medien hierzulande sprechen derzeit von den letzten Tagen Fidel Castros. Was meinst Du als Cubaner dazu?
Wieder einmal wird von den letzten Tagen Fidels gesprochen. Das tut die Presse seit mehr als dreißig Jahren. Es ist nicht das erste Mal und es wird nicht das letzte Mal sein. Angesichts der Krisensituation, in der sich das Land befindet, sprechen die USA ein weiteres Mal mehr vom Verschwinden eines Regimes vom Verschwinden eines Mannes.
Wovon sie nicht sprechen können, und das ist das Entscheidende, ist das Verschwinden eines Volkes. Und das Volk, das in diesem Augenblick in Cuba unter der Führung von Fidel Castro kämpft ist ein ganzes Volk. Die Bilder von Menschen, die Cuba in kleinen Booten in Richtung USA verlassen, werden als der Exodus eines ganzen Volkes dargestellt. Aber das entspricht nicht der Realität.
Vielleicht gehen Tausende – aber Millionen bleiben in Cuba. Ich glaube, das ist das Entscheidende. Und zwar deshalb weil in schlimmeren Situationen, in noch schwierigeren Situationen, als wir uns am Rande eines Atomkrieges befanden, wie in der Oktoberkrise, dieses Volk bereit war, sich zu opfern.
Und heute, mit Fidel oder – wenn er eines Tages aus ganz natürlichen Gründen verschwunden sein wird – ohne ihn, wird das Volk nicht aufhören, die Fallen und die Lügen des Imperialismus zu entlarven.
Die cubanischen Revolutionäre haben ein ganze klares Bewußtsein: solange einer von ihnen existiert, lebt die Revolution weiter. Wir sind 11 Millionen Cubaner, und es ist nicht leicht, ein Volk zu vernichten.
Die Medien in den parlamentarischen Demokratien sind ein wichtiges Instrument zur Manipulation der öffentlichen Meinung – und leider arbeiten sie meistens gegen Cuba. Könntest Du etwas über Deine Erfahrungen mit der Presse in kapitalistischen Ländern sagen? Gibt es da große Unterschiede in der Berichterstattung zwischen den verschiedenen Ländern?
Ich bin über Madrid hierher gereist, und ich habe nicht nur spanische sondern auch deutsche, US-amerikanische und andere Presse gelesen. Und es gibt eine Konstante in all diesen Medien. In der sogenannten Freien Presse. Sie enthält dieselbe Information, weil diese Information aus derselben Quelle stammt. D.h., das was ein Deutscher in Bonn, in München oder in Berlin liest, ist dasselbe, was ein Spanier in Madrid oder ein Franzose in Paris liest. Weil der Redakteur Nordamerikaner ist. Und die Fotos und die Texte erreichen auf dem gleichen sehr mächtigen Weg jedes Land der Welt.
So verwandelt sich – wie ein chinesisches Sprichwort sagt – eine Lüge in Wahrheit, wenn sie nur oft genug wiederholt wird. Und das merkte ich auch, als ich hier mit deutschen Freunden sprach, daß sie sehr besorgt sind, und sie fragten mich: »Bleibst Du hier, jetzt wo Du hier zu Besuch bist?« Und ich erklärte ihnen, daß ich nicht hier bleiben würde, daß ich einer von Millionen bin, die zurückkehren.
Alles wird aus US-amerikanischer Sicht dargestellt.Der cubanische Standpunkt wird verschwiegen. Und in diesem Moment heißt es: »Fidel Castro ist Schuld, die Revolution ist Schuld« aber niemals sagt man, daß die USA diesen Leuten die Visa verweigert und sie darüber hinaus aufgefordert haben, Cuba in kleinen Schiffen zu verlassen und ihnen sagten, daß sie, wenn sie drüben ankämen, wie Helden empfangen würden.
Jetzt wollen sie sie nicht. Weil sie vorher die »Gefangenen Castros« waren und jetzt Gefangene der Vereinigten Staaten sind.
Welche Rolle spielen die ausländischen Solidaritätsbewegungen für Cuba in den cubanischen Medien? Kann die Berichterstattung – z.b. über die derzeit in Deutschland laufende Karawane – der cubanischen Bevölkerung etwas Mut geben, ihren Weg weiterzugehen?
Ich will zuerst davon sprechen, daß die Anwesenheit von Freunden aus aller Welt in Cuba eine Ermutigung, einen Ansporn für die Bevölkerung darstellt, die mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Man muß sich darüber im Klaren sein, daß Menschen die ihren Wohlstand aufgeben und nach cuba kommen, ei es um zu arbeiten oder auch einfach um uns zu besuchen und sei es als Touristen, uns dadurch zeigen, daß wir nicht allein sind und daß wir überall Freunde haben. Aufgrund meines Berufes war ich zeuge vieler internationaler Brigaden, die dort gearbeitet haben, und unter ihnen waren auch viele deutsche Gruppen. Und das sind Menschen, die, wenn sie nach Cuba kommen nicht nur die Realität der cubanischen Revolution, sondern auch das cubanische Volk entdecken. Weil ihnen in diesem Volk Menschen begegnen, die aufrichtig sind, die überzeugt sind, die optimistisch sind. Und leider können diese kleinen Gruppen selbst mit all ihrer Kraft diese Erfahrungen nicht weitertragen. Und sie sehen sich wieder einmal von den Massenmedien unterdrückt.
In Cuba ist die Tatsache, daß eine Solidaritätskarawane in Deutschland existiert und die wir über unsere Medien bekanntmachen werden, bin ich davon überzeugt, daß dies ein großer Ansporn sein wird. Es gibt einen Vorgänger dieser Aktion: die Karawane in den USA. Diese erfuhr große Beachtung in der cubanischen Öffentlichkeit.
Ich glaube, daß dies im Falle der Karawane in Deutschland noch viel mehr der Fall sein wird. Warum? Weil diese Aktivität auf eine Übereinkunft der erklärten Freunde Cubas zurückgeht, und weil diese Aktion unmittelbar vor einem anderen großen Kongreß stattfindet, der im November in Havanna durchgeführt wird und wo erneut die Solidarität mit dem cubanischen Volk bekräftigt wird.
Ich glaube, daß die Karawane sowie jede Spende, die nach Cuba gelangt, vor allem einen moralischen Wert hat, viel mehr als eine materielle Bedeutung. Die materielle Hilfe ist zwar wichtig, sie kann die eine oder andere Wunde schließen, sie kann den einen oder anderen Mangel beheben, sie kann das eine oder andere praktische Problem lösen helfen, wie z.B. ein Ersatzteil für einen Bus oder was auch immer. Aber viel wichtiger als diese materielle Unterstützung ist der moralische Wert. Weil die Materialspenden zwar eine Hilfe darstellen aber das Problem letztendlich nicht lösen.
Und die Cubaner sind davon überzeugt, daß die Solidarität das wichtigste von allem ist. Vor allem deshalb, weil sie über viele Jahre solidarisch gewesen sind. Während 35 Jahren haben die Cubaner Solidarität mit vielen Völkern der Welt geübt, und sie tun dies weiterhin.
Sie haben ihr Blut gegeben, und sie haben in vielen Ländern der Welt ihr Gesundheitswesen und ihr Bildungswesen weitergegeben, als Lehrer, als Ärzte und als Techniker. Zeitweise waren Cubaner in mehr als 30 Ländern beschäftigt.
Und sie taten dies oftmals unter den ungünstigsten Bedingungen unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit und unter Zurücklassung ihrer Familien für ein oder zwei Jahre, um diese Solidarität zu demonstrieren.
Wie schätzt du die Bedeutung der Herausgabe der Granma in deutscher Sprache ein – sowohl in Bezug auf die deutschen Touristen in Cuba als auch hinsichtlich ihrer Wirkung im deutschsprachigen Raum ein?
Ich glaube, es ist eine große Errungenschaft, daß die Granma jetzt auch in Deutsch erscheinen kann. Ich glaube außerdem, daß dies eine Notwendigkeit war. Der Aufenthalt von Touristen aus Deutschland in Cuba ist sehr bedeutungsvoll. Man muß berücksichtigen, daß es überhaupt sehr wichtig ist, daß Menschen aus europäischen Ländern Cuba besuchen. Das gilt natürlich auch für die anderen deutschsprachigen Länder wie z.B. Österreich, die diese Zeitung bekommen.
Ich glaube, daß diese Zeitung eine große Anstrengung unternimmt, und mit der Hilfe der Freunde aus Deutschland wurden bereits einige Nummern veröffentlicht. Ich denke, die Bedeutung liegt darin, daß sie auf einfache und angenehme Weise etwas über das Denken und die Realität in Cuba in ihrer eigenen Sprache vermitteln kann.
Ich glaube auch, daß diese Zeitung einen alten Wunsch erfüllt: Bis jetzt erschien die Granma International in Englisch, in spanisch, in Französisch und in Portugiesisch, und ich wiederhole, daß das Erscheinen der Zeitung in deutsch einen alten Wunsch erfüllt.
Wo sind die Versorgungsschwierigkeiten im Bereich des Druck- und Zeitungswesens in Cuba am größten, und wie können ausländische Organisationen Euch in dieser schwierigen zeit am besten helfen?
Das Pressewesen verursacht für Cuba große Probleme. Zumal die Herstellung von Zeitungen und die dafür benötigten Materialien sehr teuer sind.
Durch den derzeitigen Mangel an Papier mußten z.B. die Auflagen reduziert werden und das Erscheinen von Zeitungen eingestellt werden. Zeitungen mußten von täglichem auf wöchentliches bzw. auf monatliches Erscheinen reduziert werden. Außerdem mußte die Auflage und der Umfang der Zeitungen verringert werden. Dies trifft auch für die Granma zu.
Die Granma erschien früher in einer Auflage von 800.00 Stück. Heute kann sie nur noch in einer Auflage von 400.000 Stück erscheinen, und sie ist die einzige Tageszeitung. Sie besitzt ein kleines Format und hat einen begrenzten Umfang.
Über die meiste Zeit hinweg wurde die Granma mit eigenen Papierreserven hergestellt. Zur Zeit arbeiten wir mit Papierkontingenten, die irgendwo gekauft oder von Freunden gespendet wurden.
Wenn wir nicht auf die Hilfe der Solidarität der Freunde Cubas zählen können, glaube ich, daß wir im Zeitungswesen, insbesondere im grafischen Bereich, in den nächsten Monaten noch schlimmeren Zeiten entgegensehen. Das wären Probleme, die alle Aspekte des Zeitungswesens betreffen würden: Das Fehlen von Schreibmaschinen, das Fehlen von Papier, das Fehlen von Farbbändern, der Mangel an Kugelschreibern, das Fehlen von Tonbandgeräten. Weil Cuba, wie bekannt ist, eine sehr tiefgreifende Wirtschaftskrise durchläuft.
Und logischerweise muß die Führung der Revolution angesichts dieser Situation die Prioritäten in den Bereichen Gesundheit und Nahrungsmittelversorgung setzen, während wir im Zeitungswesen mit dem arbeiten, was wir haben.
Ich will Dir ein Beispiel dafür geben, was für uns in diesem Bereich die Solidarität bedeutet.
Im vergangenen Jahr haben die Franzosen uns eine bedeutende Spende zukommen lassen. Und diese Spende bestand aus Geld.
Dieses Geld wurde zur Beschaffung von notwendigen Materialien für das Zeitungswesen verwendet, wie zum Beispiel Filme. Dinge, die für das tägliche Erscheinen einer Zeitung notwendig sind.
Ich denke, daß unsere Freunde in Deutschland uns auf viele Arten helfen können.
Vielleicht dadurch, daß sie mit uns über unsere Bedürfnisse reden und uns in materieller Hinsicht helfen. Angefangen bei Papier und Bleistift bis hin zu Schwarzweißfilmen und dergleichen mehr. Es geht dabei weniger um Papier für den Druck, weil es sehr teuer und sehr schwer ist. Hier wäre eine finanzielle Hilfe sinnvoller, um das Papier von nähergelegenen Orten zu kaufen.
Die Situation der Presse ist auch aus einem anderen Grund sehr schwierig, und ich möchte dies wieder an dem Beispiel Granma verdeutlichen: Als die Granma noch in einer Auflage von 800.000 Stück erschien und es noch weitere Zeitungen gab, stand für jeweils sieben bis acht Cubanerinnen und Cubaner eine Zeitung zur Verfügung. Ein Verhältnis, das schätzungsweise dem eines entwickelten Landes entspricht. In einem Land wie Cuba, dessen Volk ein gewisses Niveau im Bereich der Bildung und der Kultur erreicht hat, gibt es einen großen Bedarf an Lesestoff. Und derzeit ist die zahl der Exemplare bestenfalls auf etwa eines pro 40 Personen gesunken. Und daher setzen wir Mittel ein, die einfach Mittel der »periode especial« sind. Wenn z.B. eine Zeitung in eine Fabrik geht, dann wandert diese Zeitung von Hand zu Hand, damit alle sie lesen können.
Wir nutzen auch den Rundfunk, der auch die Informationen weitergibt, die in der Zeitung stehen. Auch das Fernsehen zitiert oftmals die Granma, damit die Informationen eine möglichst große Zahl von Personen erreichen kann.
Das sind im wesentlichen die Schwierigkeiten, die wir haben, und ich wiederhole, daß die Freunde Cubas überall auf der Welt in diesem Fall in Deutschland, viel für das Medienwesen tun können. Das kann die Sendung von Materialien sein oder andere Formen der Hilfeleistung sein, die gerne entgegengenommen werden.
Die Meinung der Führung des Landes und aller Journalisten des Landes ist es, daß die Granma weiterhin erscheinen wird, unter welchen Bedingungen auch immer. Wenn sie auch nur aus einem Blatt bestehen sollte, wenn auch in geringem Umfang aber sie wird erscheinen. Auch in Kriegszeiten war immer klar, daß die Granma erscheinen würde, denn die Granma ist die Stimmer der Revolution.
Arsenio, wir danken Dir für dieses Gespräch.
30.8.1994
CUBA LIBRE 3-1994