Wie wir aus dem Bericht der Botschaft sehen konnten, hat sich die gesamtwirtschaftliche Lage seit Januar – unserer letzten BDK – nicht verbessert.
Die Blockadepolitik der USA mit seinen Satelliten im Schlepptau zwingt das kubanische Volk immer noch in die Knie, zwingt ein Volk zum alltäglichen Überlebenskampf. Angesichts dieser nicht enden wollenden Notsituation, stellt sich die Frage, wir groß kann die Leidensbereitschaft eines Volkes sein; wie lange hält die Bevölkerung noch durch?
Lösungen sind zu suchen, die schnell und flexibel zu handhaben, eventuell auch wieder zu korrigieren sind, um diese traumatischen Zustände zu beenden.
Eine der einschneidendsten Maßnahmen – und sicherlich ein Rückschritt in der Geschichte der kubanischen Revolution – war dieses Jahr die Freigabe des Dollars als Zweitwährung. Die Reaktionen unter den Linken sowie bei Freunden Kubas waren sehr unterschiedlich. Von Unsicherheit "Wie gehe ich mit dieser Tatsache um?" bis hin zu "Verrat an der kubanischen Revolution!" war alles vertreten.
Viele Fragen entstanden:
- Welche Konzeption steckt dahinter?
- Welche Auswirkungen hat die Freigabe des Dollars auf die Bevölkerung?
- Ist das die schleichende Einführung des Kapitalismus auf Kuba?
- Ist das der Wegbereiter für eine 2-Klassen-Gesellschaft?
- Welche weitere Entwicklung wird Kuba nehmen?
Die Aufzählung von Fragen ließe sich endlos fortsetzen und damit auch die Spekulationen, die sich aus möglichen Antworten ergeben. Aber wohin führen diese Spekulationen? Mann sollte lieber den Tatsachen ins Auge sehen.
Sicher: Diese Maßnahme ist unpopulär, sie ist problematisch, vielleicht sogar gefährlich. Aber gibt es eine andere Möglichkeit für eine Regierung, dessen Volk mit dem Rücken zur Wand steht? Ich behaupte: Nein!
Es gibt kein vergleichbares sozialistisches Land, das in dieser Form durch eine 34-jährige Blockadepolitik von der Welt abgeschnitten wird. In einer Welt, deren Machtverhältnisse sich völlig geändert haben, in der dem Kapitalismus Tür und Tor geöffnet wurde. In dieser Weltwirtschaft wird Kuba gezwungen und es muß an dieser Weltwirtschaft partizipieren, wenn das Volk nicht verhungern soll. Um aber an dieser Wirtschaft teilnehmen zu können, benötigt es in erster Linie Dollars.
So schmerzlich es auch ist, daß es diesen "socialismo puro" nicht mehr gibt, ist es doch erklärtes Ziel und erste Priorität der Kubaner, ihre sozialen Errungenschaften zu erhalten.
Welche Aufgaben kommen in dieser Situation in der Solidaritätsarbeit mit Kuba auf uns zu?
Als erstes muß uns klar sein bzw. werden, daß die politischen Entscheidungen und Maßnahmen in Kuba allein Sache der Kubaner ist. Von manchen konnte in der Vergangenheit diese Tatsache wohl nicht akzeptiert werden, und sie bauten sich als Dozent mit erhobenem Zeigefinger auf, um den Kubanern zu sagen, wo und wie's lang geht. Gerade wir deutschen Linken sollten mit unseren deutschen Erfahrungen vorsichtig damit umgehen.
Das heißt nicht, daß es keine unterschiedlichen Sichtweisen geben darf; aber sie sollten solidarisch diskutiert und geklärt werden, um damit den kubanischen Freunden zu helfen. Diskussionen – wie auch im vergangenen Berichtszeitraum vorgekommen -, die unter die Gürtellinie gehen, die politische und private Fronten verhärten, das permanente, üble Nachtarocken nutzen weder einer Solidaritätsbewegung insgesamt, geschweige denn den Kubanern.
Wir müssen den Kontakt zu den offiziellen Stellen Kubas weiter pflegen und noch mehr ausbauen. Wir benötigen direkte und aktuelle Informationen aus Kuba, um damit in die aktuelle Diskussion einsteigen zu können (Möglicherweise hilft und hier eine 4-6-wöchige öffentliche Informationsrunde mit der kubanischen Botschaft weiter, muß allerdings noch geklärt werden).
Wie wichtig es war, den Dialog mit der Botschaft zu suchen, um Mißverständnisse und Standpunkte zu klären und gegenseitiges Verständnis zu erreichen, zeigte uns das vergangene Jahr. Viele Punkte konnten schnell und unbürokratisch geklärt werden.
Für unsere politische Arbeit hat uns die Botschaft einen Reader über die gegen Kuba verhängte Blockade überreicht, der von Zeit zu Zeit mit aktuellem Material ergänzt wird. Dieser Reader ist uns eine große Hilfe, denn die erste Priorität unserer politischen Arbeit muß der Kampf gegen die Blockadepolitik der USA, EG und BRD sein.
Der Vorstand muß deshalb mehr als bisher sein politisches Mandat wahrnehmen. Zum Teil ist es gelungen, wie z.B. mit der Kuba-Demonstration im Oktober, mit der Ausrichtung des Kuba-Seminars im Juni, mit dem Solidaritätsfest im Juli, mit einzelnen Aufrufen. Aber diese Mandate wurden von einzelnen wahrgenommen und nicht, wie es wünschenswert gewesen wäre, von allen als Team in gleichem und ausreichenden Maße.
Wir müssen eine noch viel breitere Öffentlichkeit schaffen, als uns das bisher gelungen ist. Durch unsere Arbeit müssen wir einen viel stärkeren Gegenpol zur hiesigen Medienlandschaft entwickeln und ebenso die Informationsblockade durchbrechen.
Das kann einmal FG-intern geschehen, zum anderen muß dies in der Arbeit mit Bündnissen erfolgen. Es ist uns dieses Jahr nicht gelungen, ein Konzept für eine konkrete bündnispolitische Arbeit zu entwickeln. Über einen losen Kontakt zu anderen Organisationen und Solidaritätsgruppen kamen wir nicht hinaus. Gerade Organisationen aus Lateinamerika werden immer wichtiger, allein damit wir wieder unsere Sichtweise schärfen, wie wichtig den Linken Lateinamerika Kuba ist. Welche zentrale Rolle Kuba für die Länder der dritten Welt spielt. In diesem Zusammenhang sei das Sao-Paolo-Treffen in Havanna erwähnt, an dem so viele Organisationen und Parteien teilnahmen wie noch nie zuvor.
Aber ein vorstand, bestehend aus Leuten, von denen jeder einzelne viel Zeit und Arbeit für die Freundschaftsgesellschaft aufgebracht hat, kann die Fülle von Aufgaben ,die anstehen und die sich noch ergeben werden, nicht allein bewältigen. Er ist angewiesen auf die einzelnen Gruppen vor Ort. Wir haben es nicht geschafft, einen engeren Kontakt zu ihnen herzustellen und sie mehr in die Arbeit miteinzubinden. Oft entsteht der Eindruck, der Vorstand rödelt vor sich hin und die Gruppen rödeln parallel dazu vor sich hin. Das kann nicht Sinn eines effizienten Arbeiten sein. Vielleicht sollte man sich an dieser Stelle Gedanken darüber machen, ob die Strukturen, so wie sie bestehen, nicht modifiziert werden können – z.B. in Form von Vorstandssitzungen, die abwechselnd bei den Gruppen vor Ort stattfinden -, um konkrete und bessere Ergebnisse zu erzielen.
Gerade bezüglich der letzten UNO-Vollversammlung, auf der mehrheitlich die US-Blockade gegenüber Kuba verurteilt wurde, ebenso nach der Verurteilung des US-Embargos durch das Europäische Parlament, können sich möglicherweise neue Ansätze für unsere Solidaritätsarbeit ergeben, die durchaus spannend sein können. Es werden neue Ideen und Konzepte benötigt, und zwar von allen. Wir brauchen jedes einzelne Mitglied der Freundschaftsgesellschaft mit all seinen Ideen, Vorstellungen und seiner Kraft, um von hier aus unseren Freunden in Kuba den Rücken freizuhalten, damit sie ihre schwierige Situation mit dem Wissen, Freunde zu haben, meistern können.
Gabriele Ströhlein, Vorsitzende
CUBA LIBRE 4-1993