Wir dokumentieren im Folgenden die Konzeption des Referats, das Hans Jürgen Burchardt auf dem Kuba-Seminar der Freundschaftsgesellschaft in Nürnberg gehalten hat.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Länder und die Errichtung der sogenannten "Neuen Weltwirtschaftsordnung" hat das soziale Projekt Cuba vor ernsthafte Herausforderungen und schwierige Probleme gestellt.
Mit dem Wegfall der Handelsbeziehungen zu den ehemaligen RGW-Staaten verlor Cuba bekanntermaßen 2/3 seiner Importe und Absatzmärkte. Diese kritische Situation wird durch die Verschärfung der völkerrechtswidrigen Wirtschaftsblockade der USA noch verschlimmert.
Dennoch stellt sich die cubanische Regierung dieser komplizierten Lage und versucht, Cuba an die neuen Bedingungen der Weltwirtschaft anzupassen, ohne die sozialistische Option einer sozialen und gerechteren Gesellschaftsordnung aufzugeben.
Bekannte Maßnahmen sind z.B. die Zulassung von Joint-Ventures mit ausländischen Kapitalanteilen oder die vor kurzem stattgefundene und umstrittene Legalisierung von Devisenbesitz für alle Cubaner.
Obwohl Cuba immer wieder in den Medien erwähnt wird, erfahren wir durch eine traditionell tendenziöse Berichterstattung meistens nur Halb- oder Unwahrheiten über die reale Situation und über die Maßnahmen der Regierung, die Krise zu bewältigen.
Dieses Informationsdefizit kann jetzt behoben werden.
Der Bremer Ökonomie- und Soziologiestudent H.-J. Burchardt ist Ende Mai 1993 von einem 16-monatigen Studienaufenthalt aus Cuba zurückgekommen.
In Zusammenarbeit mit dem cubanischen Kultusministerium, der Universität von Havanna, dem Forschungszentrum für Weltwirtschaft und dem Studienzentrum für Entwicklung hat er, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, die unterschiedlichen Diskussionen und Maßnahmen des politischen und wirtschaftlichen Umbaus der cubanischen Gesellschaft verfolgt und studiert.
Als erstes Ergebnis stellt er dazu einen Vortrag vor, der eine präzise Bestandsaufnahme der ökonomischen, politischen und sozialen Situation und der Perspektiven Cubas liefert.
Betrachtet und kommentiert wird die Entwicklung Cubas von Beginn der Krise 1989 bis zu der neuesten Entwicklung der Dollarfreigabe im Juli 1993.
Weiterer Forschungsschwerpunkt sind die Analysen und Interpretationen cubanischer Sozialwissenschaftler zu dem Zusammenbruch des Sowjetsozialismus. Gefragt wird, welche neuen Denkansätze für eine sozialere Gesellschaftsordnung nach dem Scheitern dieses Modells nach vorhanden sind, und woran sie sich orientieren können.
Der Vortrag versucht, ein möglichst reales Bild Cubas zu zeichnen. Dabei werden die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunftsperspektiven der Karibikinsel in ihren spezifischen Zusammenhang gestellt, um zu eigen, was die Besonderheiten des cubanischen Sozialismus sind, die ihn auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion überleben ließen.
Inhaltsangabe:
1. Geschichtliche Einblicke in die cubanische Revolution und die Bildung einer eigenen Identität. Aufklärung über Mythen wie neokoloniale Abhängigkeit von der UdSSR, grenzenlose Subventionspolitik des RGW, etc.
2. Kurze Bestandsaufnahme der wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Bereiche am Vorabend der Krise 1989 anhand von aktuellen Daten.
3. Auswirkungen der Blockadeverschärfung.
4. Schilderung der Wirtschaftskrise seit 1990, der "periodo especial", die schrittweise Verschlechterung des Produktions- und Versorgungsbereichs bis Herbst 1993.
5. Soziale, politische und wirtschaftliche Folgen der Krise:
5.1. Engpässe der Grundversorgung, Energieprobleme, aktuelle Situation des Gesundheits- und Bildungssystems.
5.2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung: Zuckerernte, Joint-Ventures und Auslandsinvestitionen, Tourismus, Lebensmittelplan zur Selbstversorgung, Erhalt sozialer Errungenschaften und vorzeigbare Sozialpolitik.
5.3. Wirkungsbereich des Schwarzmarktes: Spekulation, Prostitution, Freigabe des Devisenbesitzes und andere Gegenmaßnahmen.
5.4. Innenpolitische Maßnahmen der Regierung: IV. Parteikongreß 1991, Verfassungsänderung und Nationalratswahlen 1993, Beschreibung des reformierten Wahl- und Staatssystems, das politische Einparteiensystem Cubas im internationalen Vergleich, Positionsbestimmung in der "Menschenrechtsdebatte".
5.5. Außenpolitische Maßnahmen: Neue diplomatische Initiativen zur Integration in Lateinamerika, die Beziehungen zur USA, Politik in der UNO.
6. Strategien und Perspektiven.
6.2. Einschätzbare interne und externe Faktoren für den Fortbestand des sozialen Projektes Cubas.
6.3. Möglichkeiten und Grenzen von Solidaritätsarbeit.
7. Anschließende Diskussion
Konzeption
Der Vortrag ist für ein unspezifisches Publikum konzipiert und soll einem größeren Personenkreis die Möglichkeit geben, das soziale Projekt Cubas und die dazu nötige Solidaritätsarbeit kennen zu lernen.
Deshalb handelt es sich weder um einen Revolutionsromantik verbreitenden Reisebericht, noch um eine trockene, wissenschaftliche Abhandlung. Stattdessen vermittelt eine Mischung aus historischen Fakten, aktuellen Daten, Diskussionen und Erlebniseindrücken die Realität Cubas nachvollziehbar.
Es wird nicht nur aus der abstrakten Welt der Wissenschaften, der geschönten Welt ausländischer Delegationen, sondern auch aus der alltäglichen Welt der Cubaner erzählt.
Aus diesem Grunde wird zum Vortrag auch noch eine Fotoausstellung mit über 60 Fotos angeboten, bereichert mit cubanischen Bildern und Karikaturen, Titelblättern von Zeitungen etc. die dem Betrachter wichtige Bereiche des cubanischen Lebens vorführen, und den Vortrag visuell unterstützen, ihn erfahrbarer machen.
CUBA LIBRE 3-1993