Sozialismus, Kapitalismus oder nicht-kapitalistische Entwicklung
Eine Entgegnung, aber keine Antwort auf Christian Eggers' "Joint Venture mit Hanns Seidel"

Che soll einmal sinngemäß geäußert haben: "Revolutionäre dürfen keine dogmatischen Wortklauber sein, sondern müssen die Realität analysieren und entsprechend handeln".

Rückzugsgefechte sind bitter, oft notwendig und unumgänglich, auch wenn sie nicht immer eine Etappe auf dem Weg zum Sieg sind. Bitter war es nicht nur für Fidel Castro, 40 Jahre nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne als zentrale Aussage die Legalisierung des Dollars als Zweitwährung in Kuba zu verkünden und begründen zu müssen. Weitere Maßnahmen wurden nur vage angedeutet. Damit waren die enormen Erwartungen an seine Rede in keiner Weise erfüllt, denn viel war in Kuba spekuliert und diskutiert worden über die wirtschaftlichen Reformen, die Fidel am 26. Juli 1993 verkünden würde. Fidel selber erwähnt in seine Rede die "enorme Erwartung" und bremste sogleich: "Es gibt kein Bündel von Maßnahmen und es gibt auch keine Maßnahmen, die Wunder vollbringen können ..." So blieb es dann weitgehend bei der Begründung der Legalisierung des Besitzes ausländischer Währungen, von Carlos Lage bereits vorher in einer Pressekonferenz angekündigt. Am 13. August, also genau zum 67. Geburtstag Fidels, trat das Decreto-Ley 140 des Staatsrates in Kraft, mit der die Ankündigungen von Carlos Lage und Fidel Castro zum Gesetz wurden.

In seiner Rede am 26. Juli kündigte Fidel Castro ferner an, daß in einem größeren Umfang als bisher der Besuch von Exilkubanern und die Überweisung von Geldern nach Kuba gestattet werden. Die Gebühren für Sendungen von Lebensmitteln und Medikamenten werden reduziert. Weiterhin wird es zu einer "größeren Öffnung" für Investitionen ausländischen Kapitals kommen, ohne daß Details genannt wurden. Er führte dazu nur aus: "Das ist eine der Formeln, über die wir heute in einer Schwierigen Lage verfügen." Auch wird über die Einführung einer freikonvertierbaren kubanischen Währung diskutiert, allerdings soll gleichzeitig der Peso, als nationaler Währung festgehalten werden. Ganz allgemein wies Fidel Castro darauf hin, daß mehrere Maßnahmen im Bereich der Binnenwirtschaft und der Dienstleistungen vorbereitet werden, ohne auch nur ansatzweise auf Einzelheiten einzugehen. Insgesamt wurde damit eine umfassende Wirtschaftsreform lediglich in Aussicht gestellt.

Mit der Legalisierung des Dollars verspricht sich die kubanische Führung eine Abschöpfung zumindest eines Teils der im Lande zirkulierenden "Fulas", wie die US-Währung volkstümlich genannte wird. Egal wie viele Millionen Dollar damit den Weg zu den Tresoren der Banco Nacional de Cuba finden: Wer über Dollar verfügt, kann die Waren erwerben, die von den anderen KubanerInnen nicht gekauft werden können. Oder wie Carlos Lage es formulierte: "Es werden Unterschiede auftreten, wie wir sie in den bisherigen Jahren der Revolution nicht kannten. Das bedeutet eine Privilegierung eines Teils der Bevölkerung und wir meinen, daß dies kompatibel ist mit unserem Prozeß in dem Maße, wie dies alle verstehen.

Dieses Verständnis ist aber nicht einfach zu erreichen. In ganz Kuba findet darüber eine heftige Diskussion statt, viele Menschen akzeptieren die Maßnahmen nicht. Verständlich: Zum ersten Mal im Verlauf der Revolution wurde ein Grundprinzip aufgegeben, nämlich die egalitäre Versorgung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung. Zu den Zeiten des "Parallelmarktes" konnte sich ein Teil der Bevölkerung aufgrund höherer Einkommen mit zusätzlichen Waren versorgen, aber damals war über die Libreta die Grundversorgung der gesamten Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gesichert. Heute hingegen garantiert die Libreta diese Grundversorgung nicht mehr. Wer auf welchem Wege auch immer Zugang zu Devisen hat, kann Seife, Zahnpasta, Textilien usw. kaufen. Wer hingegen nur über kubanische Peso verfügt, der kann seine Ernährung nicht garantieren, muß monatelang mit einem Stück Seife auskommen, erhält keine Zahnpasta, usw. Diese Unterschiede zu akzeptieren ist das zentrale Problem bzw. die große Herausforderung für die Revolution. Diese Diskussion spiegelt sich auch in den Medien wieder: Nie zuvor wurden so offen Probleme und Widersprüche in den kubanischen Zeitungen thematisiert. Selbst die Granma geht ein auf die zirkulierenden Gerüchte über die Entlassungen in dem von der spanischen Hotelgruppe Guitart übernommenen Hotel "Habana Libre" und verneint indirekt, daß dort hauptsächlich Schwarze entlassen wurden.

Kuba also auf dem Weg zum Kapitalismus? Oder kann diese Maßnahme dazu beitragen, "das Vaterland, die Revolution und die Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen", wie Fidel Castro am 26. Juli ausführte? Diese Frage dürfte heute noch nicht entschieden sein.

Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Sozialismus-Modells gab es für Kuba lediglich zwei Alternativen: Integration in den kapitalistischen Weltmarkt oder wirtschaftliche Isolation. Letztere Variante also praktisch die Einführung der Subsistenzwirtschaft, wurde nicht ernsthaft diskutiert, sie hätte auch eine Rückkehr in das Mittelalter bedeutet und wäre in Kuba gesellschaftlich auch nicht ansatzweise durchsetzbar. Alle Anstrengungen konzentrierten sich also auf die Integration in den Weltmarkt. Dies implizierte eine umfassende Umstrukturierung der Wirtschaft einschließlich einer Öffnung für den Tourismus und für ausländisches Kapital.

Allein damit ist die Frage jedoch nicht beantwortet. Auch heute gibt es grundlegende Unterschiede zwischen dem in faktisch allen Ländern Lateinamerikas praktizierten neoliberalen Wirtschaftsmodell und dem kubanischen Projekt. Im ersteren werden immer größere Teile der Bevölkerung (in einzelnen Ländern bereits 70%) zu absoluter Armut verurteilt, in Kuba gibt es ein Gesundheits- und Bildungssystem für die gesamte Bevölkerung – auch wenn es z.T. Erhebliche Engpässe gibt. In Kuba wird das nationale Vermögen nicht an Privatunternehmen verkauft, und auch bei Joint-Ventures ist Grund und Boden noch Staatseigentum. Kulturelle Identität, Internationalismus, nationale Würde, Souveränität sind in Kuba reale, mit konkreten Handlungen belegte Werte und nicht inhaltsleere Floskeln. Und die vom Staat eingenommenen Devisen – auch die, die durch die Legalisierung des Dollarbesitzes in die Staatskassen fließen – werden zum Nutzen des ganzen Volkes eingesetzt. Das sind Errungenschaften, die verteidigt werden. Daher ist auch heute die materielle und politische internationale Solidarität mit Kuba weit mehr als humanitäre Hilfe, sondern Unterstützung für ein alternatives Gesellschaftsmodell.

Aber jubeln nicht die Friedrich-Ebert- und Hanns-Seidel-Stiftungen? Fazit einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom April 1993 über "Stand und Perspektiven der 'Joint-Vetures' in Kuba ": "Mit ihrer Politik der ökonomischen Öffnung ist die Regierung derzeit die einzige Kraft, die überhaupt ein Konzept zur Krisenbewältigung hat; es zu unterstützen scheint die vernünftigste aller Alternativen ..." und "Das Warten auf einen Volksaufstand in Kuba ist nicht nur inhuman, sondern auch unrealistische."

Selbstverständlich versuchen alle möglichen politischen Kräfte, Einfluß in Kuba zu gewinnen. Und wer liest oder hört, mit welchen Worten in der Bundesrepublik Deutschland Kubaner für Investitionen auf der Insel werben, der kann durchaus die Frage stellen, was das noch mit Sozialismus zu tun hat. Aber sind das nicht eher Randerscheinungen? Grundlegend ist doch die allgemeine Ausrichtung der kubanischen Wirtschaft, und die ist bei aller Öffnung und bei Übernahme zahlreicher kapitalistischer Methoden z.B. im Management auf die Interessen der gesamten Bevölkerung und nicht einzelner Unternehmen gerichtet.

In welche Richtung wird die zukünftige Entwicklung in Kuba laufen? Es gibt dort immer mehr kapitalistische Unternehmen, die prosperieren und den Kapitaleignern gute Gewinne sichern, die meisten kubanischen Staatsunternehmen kämpfen hingegen mit großen Problemen (Rohstoffe Betriebsstoffe, Energie), Produktivität und Effizienz sind häufig (aber nicht immer) gering. Es ist kein Geheimnis, daß unter diesen Bedingungen die Arbeitsmoral allgemein nicht besonders hoch ist, auch wenn es nicht wenige Ausnahmen gibt. In den Contingentes arbeiten aber z.B. lediglich 6% der kubanischen Arbeitskräfte. Die zentrale Frage ist, ob sich die kubanische Wirtschaft erholt, also effizient und rentabel produzieren kann. Dabei steht an erster Stelle die ausreichende Produktion von Nahrungsmitteln, der Dreh- und Angelpunkt für das Überleben der kubanischen Revolution. Die bisherigen Ergebnisse waren nach Aussagen von Carlos Lage nicht ausreichend. Werden in der Landwirtschaft den privaten Bauern neue Möglichkeiten eingeräumt, werden Reformen bei den Genossenschaften die Produktion steigern können? Viele sind überzeugt, daß die Eigentumsfrage hier eine zentrale Rolle spielt und es gibt Hinweise, daß diese Frage in Kuba intensiv diskutiert wird. Darüber hinaus ist es eine einfache Rechnung, daß das umfassende Gesundheits- und Bildungssystem von der Wirtschaft finanziert werden muß, durch die Notenpresse ist es nur in einem sehr beschränkten Zeitraum zu bezahlen. Jeder Peso, der für einen Arzt oder einen Lehrer ausgegeben wird, muß in einem Wirtschaftsunternehmen erwirtschaftet werden.

Carlos Rafael Rodriguez am 31.5. 1991, also bereits im Periodo Especial: "Ohne eine solide Wirtschaft werden alle politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen zu utopischen Träumen."

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CUBA LIBRE 3-1993