Brutal werden in Kuba die Menschenrechte verletzt. Erst kürzlich mußten dies in Havanna zwei Journalisten aus der CSFR und Polen schmerzlich erfahren. Was war geschehen?
Bekanntlich kommen aus den ehemaligen Ländern des real deformierten Sozialismus nicht nur die agilsten Wendehälse und die dümmsten Apologeten des vulgären Kapitalismus, sondern auch die größten Verächter der Idee des Sozialismus – Hinweis auf den vielleicht größten Fehler des ersten massiven Versuches, die Idee des Sozialismus in die Praxis umzusetzen: Die Gewinnung der Köpfe gering zu schätzen, eigenständiges und kritisches Denken durch hohlen Pathos und Phrasendrescherei zu ersetzen.
In Havanna arbeitet Andrei Cachina für die CSFR-Presseagentur CTK, Jacek Hinz für die polnische PAP. An einem Abend im Mai 1992 trafen sich die beiden "gewöhnlich gut unterrichteten Kreise" in der vorzüglichen Bar des Hotels Victoria, ein Rum zog den anderen nach sich; sie überboten sich gegenseitig, "ihren" Sozialismus grauer und grausamer zu schildern, und Kuba? Natürlich alles Scheiße. Ihr Pech: In ihrer Nähe saß der seit Jahren in Havanna als free-lancer arbeitende US-Journalist Ronald Ridenour, der auch den Añejo sehr mag. Er mußte sich das Geschwätz anhören, hielt sich anfänglich zurück, brummelte, dann etwas von "Verrätern" und "Schwachköpfen", anschließend steigerte er seine Kommentare sowohl in der Lautstärke wie in der Aussagekraft erheblich. Die beiden ehemaligen Realsozialisten fanden das nicht nett, äußerten dies, was Ronald dazu brachte, seine Argumente handgreiflich zu bekräftigen. Cachinas Gesicht war mehrfach das Ziel von Ronalds Fäusten, während Hinzes Auge erst Ronalds kräftigen Mittel-Finger sah und dann zu spüren bekam – danach hatte Hinz nicht mehr das geringste Verlangen, sich mit dem US-Amerikaner auseinanderzusetzen.
Nun, wie in jedem Land kam die Polizei und verfrachtete die drei Streithähne einschließlich ihrer erheblichen Promille-Werte zur nächsten Wache. Cachina erhielt dort, wer weiß aus welchen Gründen, von Ronald noch kräftig einen auf die Nase, worauf er schwankend, aber der historischen Bedeutung voll bewußt lallte: "Das ist eine Verletzung der Menschenrechte!" Diese wichtige Nachricht wurde von der spanischen Presseagentur EFE und der mexikanischen Notimex der ganzen Welt mitgeteilt.
Was interessiert Cuba Libre eine Wirtshausschlägerei und die Dispute dreier Besoffener in Havanna? Interessant sind eigentlich nur die Folgen. Daß EFE und Notimex über ihre Telex- und Fax-Geräte in der Welt verbreiteten, mag damit zusammenhängen, daß der Dissident vom Dienst nichts zu bieten hatte. Damit aber nicht genug: Keine 24 Stunden waren vergangen, da mußte der kubanische Botschafter in Prag ganz offiziell den Protest des CSFR-Außenministers Jiri Dienstbier entgegennehmen. Der ehemalige Genosse Jiri forderte die kubanischen Behörden energisch auf, "die Sicherheit aller tschechischen Bürger zu garantieren" und gab auch gleich das Rezept mit: "Die kubanische Regierung muß die notwendigen Anstrengungen unternehmen, um das Land zu demokratisieren." Da Dienstbier offensichtlich die Kubaner für unfähig hält, dies richtig zu verstehen, klärte er auf: Er rügte das Einparteiensystem in Kuba und "die Verfolgung jedes Ansatzes von Opposition"; und äußerte den Wunsch, daß Kuba "sich bald in die Reihe der normalen Länder einreihen möge".
Prost Dienstbier!
Horst-Eckart Gross
CUBA LIBRE 3-1992