Ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu einer untergeordneten Abteilung des US-Außenministeriums verkommen? Großbritannien und auch Frankreich befinden sich wie stets im Einklang mit Washington, Rußland schielt nach dem Wohlwollen und Dollars und die VR China katzbuckelt, um den Platz des Himmlischen Friedens vergessen zu lassen. Kein Wunder, daß dort das State Department weniger Diskussionen zu führen hat als im US-Kongreß. Oft torpedierten die USA in der Vergangenheit UNO-Stellungnahmen mit ihrem Veto.
Insgesamt machten zwischen 1945 und dem 31. Mai 1990 die fünf Ständigen Mitglieder 279 mal von dem nur ihnen zustehenden Veto-Recht Gebrauch. Danach ist diese Maßnahme im Sicherheitsrat unbekannt, die neue Weltordnung nimmt dort konkrete Dimensionen an.
Konturen einer "neuen Weltordnung"
Als die USA den Krieg gegen den Irak forderte, da war der Sicherheitsrat einverstanden – Rußland und die VR China dachten nicht im Traum daran, ihr Veto-Recht zu nutzen, so wie dies früher die USA ungeniert taten. Wo blieben aber Aktionen oder auch nur Deklarationen gegen andere Länder, die seit Jahren fremdes Territorium besetzt halten? Die USA wünschen nicht darüber zu sprechen, und so wird darüber nicht gesprochen. Rechtens scheint in dem Illustren Gremium nur das zu sein, was den USA angenehm ist; gleiches Vorgehen bei ähnlich gelagerten Fällen ist nicht vorgesehen. Zwei Beispiele aus diesem Jahr belegen, welche Konturen die neue Weltordnung annimmt.
Zweierlei Maß
Zu Beginn dieses Jahres forderten die USA von Libyen die Auslieferung von zwei Personen, von denen angenommen wird, daß sie den Anschlag gegen eine US-amerikanische PANAM-Maschine 1988 sowie gegen eine französische UTA-Maschine 1989 geplant und durchgeführt hatten, bei beiden Anschlägen verloren 441 Menschen ihr Leben. Die Indizien waren nicht sehr überzeugend, selbst gewichtige US-Zeitschriften meldeten Zweifel an Libyens Verantwortung an. Hinzu kommt, daß die Auslieferung an die USA rechtlich nicht unproblematisch ist. Als Libyen die Auslieferung verweigerte, forderten die USA im UN-Sicherheitsrat Sanktionen. Beschlossen wurde mit der Resolution 748 u.a. ein Luftfahrt-Embargo, das am 15. April in kraft trat und auch heute noch wirksam ist. Zur Begründung hieß es damals u.a., daß "der Sicherheitsrat tief besorgt ist wegen der illegalen Aktivitäten gegen die zivile Luftfahrt und das Recht aller Staaten bekräftigt, im Einklang mit der Charta der UNO und den Prinzipien des internationalen Rechts ihre Bürger vor Aktivitäten des internationalen Terrorismus zu schützen." Beweis der internationalen Entschlossenheit, mit aller Härte gegen Terroristen vorzugehen? Nun, Zweifel sind angebracht, ob tatsächlich alle Staaten gleiche Rechte haben.
Anschlag auf ein cubanisches Flugzeug
Nach dieser Resolution brachte Kuba im Sicherheitsrat einen ähnlichen Antrag wie die USA ein. Erinnert wurde daran, daß am 6. Oktober 1976 kurz nach dem Abheben vom Flughafen in Barbados eine DC-8 der "Cubana de Aqviación" explodierte. Alle 75 Insassen verloren ihr Leben. Die beiden Attentäter Freddy Lugo und Hernán Ricardo waren mit der Maschine nach Barbados geflogen und hatten die Bombe im Flieger deponiert. Im Taxi das sie am Flughafen genommen hatten, malten sie sich die Folgen des Attentats ausführlich aus, in der Meinung, daß der Taxifahrer kein Spanisch spricht. Das war nicht der Fall, die beiden wurden verhaftet, gestanden, wurden am 4.8. 1987 zu zwanzig Jahren Haft verurteilt und sitzen heute noch in einem Knast in Venezuela ein.
Oliver North und die Contras
Wer aber hatte ihnen den Auftrag erteilt? Sehr schnell war offenkundig und unbestreitbar, daß die Hintermänner des Attentats die kubanischen Konterrevolutionäre Orlando Bosch und Posada Carriles waren. Im Oktober 1976 wurden beide in Venezuela verhaftet. Nach vier Prozessen wurde 1987 Bosch freigesprochen und Posada Carriles verurteilt. Letzterem gelingt jedoch die Flucht aus dem Gefängnis nach einem Besuch eines hohen Offiziers der DISIP. Die Wachen erklären, daß Posada Carriles das Gefängnis verlassen konnte, als sie "gerade mit dem Rücken zur Tür standen und daher nichts bemerken konnten." So einfach ist das. Offensichtlich sind alle Gefangenen in Venezuela freiwillig in Haft.
Posada Carriles war vor 1959 Mitglied der Batista-Polizei, flüchtete nach dem Sieg der Revolution in die USA, wo er von der CIA angeheuert wurde. 1967 siedelt er nach Venezuela über, wo er leitende Funktionen in der Geheimpolizei DISIP übernimmt. US-Publikationen veröffentlichen später Berichte, nach denen die Flucht organisiert wurde von Oliver North und Jorge Más Canosa, dem Chef der militanten exilkubanischen Organisation "Cuban-American Natioanl Foundation". Letzterer ist ein guter Freund von George Bush; der Sohn des US-Präsidenten steht auf seiner Lohnliste. 1986 wird Posada Carriles erkannt, als er unter einem Decknamen in El Salvador die von Oliver North im Auftrag Ronald Reagans organisierten Waffenlieferungen an die Contras in Nicaragua auf den Weg bringt. Seitdem ist sein Aufenthaltsort unbekannt.
Orlando Bosch, Contra und Killer
Orlando Bosch ist nach Angaben von CIA und FBI einer der aktivsten Terroristen, die jemals auf dem amerikanischen Kontinent tätig waren. Die New York Times vom 24.10.1976 berichtete, daß er seit 1960 im Sold der CIA steht, bis er aus dem Ruder lief. Stolz war er auf Sabotage-Aktionen in Kuba, und besonders auf einen Angriff, bei dem ein Mann und drei Kinder das Leben verloren. Er war 1970 verantwortlich für einen bewaffneten Angriff gegen einen in Miami ankernden polnischen Frachter. Das ging selbst den US-Behörden zu weit und so wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber bereits nach vier Jahren freigelassen. Daraufhin organisierte er 1974 eine Reihe von Attentaten gegen kubanische Einrichtungen in sieben Ländern. Im selben Jahr erklärte das FBI ihn verantwortlich für die Erschießung von José Elias de la Torriente – es handelte sich um einen Machtkampf innerhalb der exilkubanischen Kreise in Miami. Bosch setze sich sich dann nach Chile ab, wo Pinochet ihm Asyl gewährte. 1976 gründete Bosch die extrem rechte exilkubanische Organisation COUR in der Dominikanischen Republik. Nach 11 Jahren Untersuchungshaft wurde er 1987 von einem venezolanischen Gericht wegen des Attentats gegen den Cubana-Flieger freigesprochen, reiste dann nach Miami und wurde dort verhaftet. Er ist ein so unverbesserlicher Terrorist, daß seine Aktivitäten nach Aussagen des US-Justizministeriums "schädlich für die Interessen der USA sei". Er sollte ausgewiesen werden, doch 31 Länder verweigerten seine Aufnahme. Viele Freunde setzten sich für ihn ein, darunter Jorge Más Canosa, die Kongreßabgeordnete für Florida Ileana Ros Lethinen, Senator Mack, der Bischof von Miami Monsignore Agustín Román, und so wurde er am 17. Juli 1990 aus der Haft entlassen.
Cuba fordert die Auslieferung
Am 28. April 1992, also wenige Tage nach der Verurteilung Libyens durch den Sicherheitsrat, verlangte Kuba die Untersuchung des Anschlages gegen das kubanische Verkehrsflugzeug sowie anderer terroristischer Aktivitäten der USA gegen Kuba und verlangte die Auslieferung der beiden Verantwortlichen für das Attentat.
Der damalige kubanische Botschafter vor der UNO und heutige Außenminister Ricardo Alarcón verwies auf die Resolution 748, in der es hieß, daß "jeder Staat darauf verzichten sollte, terroristische Aktionen durchzuführen oder solche zu ermutigen", und fragte, warum dies nicht auch für die Staaten gilt, die Mitglied im Sicherheitsrat sind. Er verurteilte die Attentate gegen die PANAM- und UTA-Maschine und verlangte gleichzeitig die Verurteilung des Anschlages gegen die kubanische Maschine.
Ein vertrauliches Dokument aus den USA
Die US-Vertreter waren verblüfft. Die erste Reaktion war die Erklärung, daß das Attentat doch bereits vor 15 Jahren geschehen war. Die Sitzung des Sicherheitsrates aber ließ auf sich warten. Kuba setzte nach und legte am 8. Mai ein vertrauliches Dokument aus den USA vor: Es handelt sich um die Ausweisungsanordnung des US-Justizministeriums vom 26.6.1989, in dem festgestellt wird, daß Bosch verantwortlich ist für das Attentat gegen die Cubana-Maschine 1976. Festgestellt wurde ferner: "Wir können nicht Mr. Bosch decken und unsere Glaubwürdigkeit aufrechterhalten". Aber der Sicherheitsrat behandelte immer noch nicht den kubanischen Antrag, und so stellte Kuba am 14. Mai einen Dringlichkeitsantrag.
Gespenstische Sitzung
Am 21. Mai wurde dann endlich der kubanische Antrag behandelt: Kuba beantragte u.a., daß die USA sämtliche Informationen über die Hintergründe des Attentats offenlegt und Bosch und Posada an Kuba ausliefern soll. Die Sitzung muß gespenstisch gewesen sein, denn nach den Ausführungen des kubanischen Botschafters antwortete der US-Botschafter Perkins, der die Sitzung im voraus als Zeitverschwendung bezeichnet hatte, daß alles nur kubanische Propaganda sei, ansonsten wüßte die US-Regierung nichts. Danach war Schweigen im Wald, kein Mitglied des Sicherheitsrates äußerte sich, und damit war die Sitzung beendet. Auch später beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat nicht mehr mit dem kubanischen Antrag. So einfach ist da.
Glanzleistung des Sicherheitsrates
Den Sanktionen gegen Libyen wurde in den Massenmedien viel Platz eingeräumt, der kubanische Antrag und das Verhalten des Sicherheitsrates kaum beachtet – nun. Eine Glanzleistung des Sicherheitsrates war es ja nun wirklich nicht. Merke: Rechtens und beachtenswert sind die Initiativen der USA und der anderen Großmächte, kleine Staaten wie Kuba hingegen haben zu kuschen. Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, daß die großen kapitalistischen Staaten, bisher servil von Rußland und China unterstützt, weltweit den politischen Kurs bestimmen wollen – und alle Länder scheinen dies zu akzeptieren.
Blauhelme nach Cuba?
Ist es angesichts dieser internationalen Entwicklung sowie bei der Dynamik der politischen Entwicklung in der BRD undenkbar, daß in nicht allzu ferner Zukunft darüber diskutiert werden könnte, ob nicht im Rahmen der neuen Weltordnung deutsche Blauhelme aktiv den US-Truppen bei der Einführung von "Marktwirtschaft und Demokratie" in Kuba helfen müßten?
Im 2. Weltkrieg waren schließlich keine deutschen Truppen in der Karibik.
Horst-Eckart Gross
CUBA LIBRE 3-1992