Interview mit Hugo Avellanedas, Mitglied der nationalen Leitung und Repräsentant der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru MRTA aus Peru.
Fortsetzung aus Cuba Libre 2/92
Im ersten Teil des Interviews ist Hugo Avellanedas auf die Hintergründe des "autogolpe", des Putsches in Peru eingegangen und hat kurz die Geschichte seiner Organisation, der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru MRTA dargestellt. Im Folgenden zweiten und letzten Teil des Gesprächs gibt er Auskunft über die Haltung der MRTA gegenüber der maoistischen peruanischen Guerillaorganisation Sendero Luminoso, und er stellt die aktuelle Politik und Perspektive der MRTA dar. Außerdem nimmt er Stellung zur Bedeutung der Zerschlagung des sozialistischen Lagers und zur Rolle Kubas für die revolutionäre Linke in Peru.
Das Gespräch mit Hugo Avellanedas führten Inken Müller und Christian Eggers für CUBA LIBRE.
Wie ist das Verhältnis der MRTA zu anderen linken Organisationen?
Seit Bestehen der MRTA ist uns bewußt, daß wir Verbindungen suchen müssen zu anderen linken Organisationen im In- und Ausland. Unsere Beziehungen zu anderen linken Organisationen sind immer gut und herzlich gewesen. Wir gehen von dem Prinzip aus, daß wir in der Linken keine Feinde haben. Wir haben gute Beziehungen zur IU und zur traditionellen KP, wir führen Dialoge und bei einigen Anlässen versuchen wir, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Dies sind für uns die Bereiche potentieller Allianzen.
Und wie sind die Beziehungen zu Sendero Luminoso?
Mit Sendero Luminoso ist ein Dialog unmöglich, weil sie uns zu Feinden erklärt haben. Und es gibt eine Reihe von Vorfällen, die eine Annäherung verhindern, Aggressionen ihrerseits wie Morde usw.
Sendero Luminoso entstand bereits Anfang der sechziger Jahre. Welchen Einfluß hat die Organisation heute und welche Taktik und Strategie verfolgt sie?
Wie gesagt, entstand Sendero Luminoso aus einem Prozeß der sich in vielen Ländern Lateinamerikas abspielte, d.h. Die Linke teilte sich ab den sechziger Jahren wieder und wieder. Sendero Luminoso erscheint in den siebziger Jahren, die militärischen Aktivitäten beginnen Anfang der achtziger Jahre. Sie nennen sich maoistisch, charakterisieren die Gesellschaft auf sehr ähnliche Weise wie Mao China, sie sprechen von einem semifeudalen, semikolonialen Land. Sie glauben es existiert eine nationale Bourgeoisie im Land etc.
Sie wandten eine Strategie des Krieges vom Lande in die Stadt an. D.h. Sie haben während vieler Jahre so gekämpft, begannen in Ayacucho und wollten die Städte einkreisen. Sie haben selbst festgestellt, daß diese Taktik sie wachsen ließ aber irgendwann nicht weiter führte.
Was sie jetzt tun, ist, zu versuchen, sich vor allem in Lima zu verstärken. Sie bringen viele kampferfahrene Gruppen in die Zone um Lima. Die Methoden, die sie anwenden, kann man nicht revolutionär nennen. Sie pflegen z.B. einen Kult des Todes um des Todes willen. Sie mißachten das Leben. Nicht nur das des Feindes sondern auch das der Zivilbevölkerung. Die Basis ihrer Praktiken, die sehr autoritär und willkürlich sind, ist der Terrorismus.
In den letzten Monaten hat Sendero Luminoso Priester, Nonnen und Ausländer umgebracht. Das auffälligste in letzter Zeit ist, daß Sendero Anschläge auf alles macht, was Zeichen von Überlebensorganisation der Bevölkerung ist, z.B. Volksküchen oder die Aktion "Vaso de Leche". Sie haben Mütter umgebracht, die die Triebkraft dieser Organisationsform sind. In den letzten Monaten wurden ca. 108 Kader der Volksbewegung umgebracht, Linke, keine Rechten.
Wir sehen Sendero Luminoso, nicht nur als hinderlich für die Revolution sondern als Konterrevolutionäre Kraft an. Seine blutigen Methoden ähneln sehr dem rechten Terror. Sein infantiler Extremismus hat schon vor einiger Zeit dazu geführt, daß die Organisation mehr eine konterrevolutionäre Kraft geworden ist.
Warum hat Sendero Luminoso trotz seiner Methoden soviel Unterstützung in der andinen Bevölkerung?
Wir würden das nicht Unterstützung nennen. Sendero wächst und hat Kader, die in den zurückgebliebensten Sektoren des Landes rekrutiert werden, z.B. unter Bauern, die ohne Perspektive in die Stadt gehen. Auf dem Land werden die Bauern praktisch gezwungen, mitzumachen. Und in den Kokaanbaugebieten, z.B. in Hualloga, wächst Sendero, weil er viel Geld hat. Dort löst Sendero Luminoso einige grundlegende Probleme mit seinem Geld.
Laß und auf die MRTA zurückkommen. Kannst Du uns Zahlen über die militärische Stärke der Organisation nennen?
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Laut Washington Post von Anfang 1992 haben wir ca. 2.000 Leute in Waffen. Dazu kommt natürlich eine große Zahl von Frauen und Männern, die uns unterstützen. Ich will natürlich keine genauen Zahlen nennen, aber halten wir uns an die zahlen der Washington Post.
Die Entwicklung der MRTA ist sehr schnell gewesen. MRTA taucht offiziell im Jahr 1984 auf. Wir sind besonders in den urbanen Strukturen sehr schnell gewachsen, und unsere Leute sind sehr spezialisiert. Wir haben sehr komplexe Operationen erfolgreich durchgeführt, und uns ohne Probleme zurückgezogen. D.h. Wir haben ein hohes professionelles Niveau bei den urbanen Gruppen und ebenso bei den Kolonnen auf dem Land. Von November bis Januar wurden dem Feind tiefe Schläge versetzt. Zwei Kasernen wurden zerstört, mit Waffen, die von Mörsern, Bazukas bis GPG reichten. Und dabei haben wir viele Waffen erbeutet.
Hat die MRTA Rückhalt in den Massenbewegungen auf dem Land und in der Stadt?
Im Krieg sind die Massen sehr wichtig. Man sagt, wer die Massen hat, hat den Krieg praktisch schon gewonnen. Wenn wir die Massen verlieren, müssen wir auch den Krieg verlieren. Davon ausgehend ist unsere grundlegende politisch-militärische Aktivität die Bewußtseinsschaffung und die Organisation der Massen.
Die militärische Struktur der Guerilla auf dem Land arbeitet direkt mit der Bevölkerung. In der Ausbildung, Bewußtseinsschaffung, der Politisierung und der Organisierung. An allen fünf Fronten.
In der Stadt haben wir besonders in der letzten Zeit ein Wachsen der organisierten Bewegung erreicht. Ich kann ohne Übertreibung sagen, daß wir momentan die zweitstärkste Massenbewegung im Land sind. Wir sind in den Gewerkschaften, in den Gremien der Lehrer, Krankenschwestern, Bauern, Studenten, in den Armenvierteln etc. Es gibt eine sehr wichtige Präsenz der MRTA in all diesen Organisationen.
Es gibt in Peru eine Art von Organisation, die es wahrscheinlich nirgendwo anders gibt, das sind die Volksverteidigungsfronten. Das sind Zusammenschlüsse, an denen die ganze Bevölkerung eines Ortes, bis zu Teilen der Bourgeoisie, teilnimmt. Die MRTA ist in vielen dieser Fronten präsent, in einigen stellt sie die Mehrheit der Leitung.
Gibt es überhaupt eine Perspektive für den Bürgerkrieg, angesichts der militärischen Stärke des Feindes? Ist ein Sieg realistisch?
Das Problem der Guerilla ist nicht eines der Waffen, sondern der Menschen. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, heißt auch, herauszufinden, wie wir die Massen in dieser Konfrontation gewinnen können.
Wir sind der Überzeugung, daß in Peru die revolutionären Kräfte dem Volk viel näher stehen und ihm andere Alternativen zu bieten haben als Militär und Polizei. Deren einziges Angebot sind Tod, Zerstörung und die Verteidigung einer sozialen Ordnung, die dem Volk bisher nur mehr Elend, Hunger und Repression gebracht hat.
Zum militärischen Aspekt: Man könnte denken, daß es praktisch unmöglich ist, eine Armee zu besiegen. Jedoch die Armeen in Lateinamerika sind nicht für den Bürgerkrieg ausgebildet und ausgerüstet, sondern für Kriege zwischen Ländern. Wir meinen, daß eine Guerilla, auch wenn sie ganz klein anfängt und wenig Waffen hat, durchaus in der Lage ist, an Stärke zu gewinnen. Sobald eine Guerilla genug Menschen, Waffen und Stärke hat, kommt sie in eine neue Phase, die des sogenannten strategischen Gleichgewichts und kann einen Positionskrieg führen. Und wir meinen, daß, wenn wir dem weisen Prinzip des "vom Kleinen zum Großen" folgen und die Massen hinter uns haben, ein Sieg über die Armee möglich ist.
Ein militärischer Sieg ist nicht nur realistisch, er ist möglich. Und es gibt dafür konkrete Beispiele. Kuba ist ein Beispiel in Lateinamerika, Vietnam hat einen Sieg über den politisch, ökonomisch und militärisch mächtigsten Gegner der Welt erreicht.
Aber immerhin gibt es heute kein sozialistisches Lager mehr. Die weltweiten Kräfteverhältnisse habe sich dadurch verändert. Welchen Einfluß hat der Zusammenbruch des sozialistischen Blocks auf die Diskussion in der MRTA?
Auf politischem, organisatorischem und militärischem Gebiet sind die Auswirkungen gleich null, weil der politisch-militärische Vorschlag der MRTA nichts enthält, in dem man den Einfluß Osteuropas erkennen könnte.
Aber wir meinen, daß es wichtig gewesen wäre, dieses sozialistische System zu erhalten. Trotz de ganzen Mängel, die es gehabt hat, dem Autoritarismus, dem Bürokratismus. Uns scheint, dort hat eine größere Beteiligung der Massen, eine Demokratisierung gefehlt, die es erlaubt hätte, daß die Massen selbst das System erneuern. Leider kam der Versuch der Veränderung auch von oben, bürokratisch, aufgesetzt. Das endete dann im Zerfall des Systems.
Das Problem ist, daß durch das Verschwinden des sozialistischen Lagers die USA als einziger "Weltpolizist" übrig geblieben sind. Sie können machen, was sie wollen, und wo sie es wollen.
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Das Verschwinden des sozialistischen Blocks hat den Rechten Mut gegeben, den sogenannten Denkern der Bourgeoisie, die jetzt das "Ende der Geschichte" verkünden. Daran glauben wir nicht. Wir glauben, daß in Lateinamerika ein schöpferischer, wissenschaftlicher Sozialismus möglich ist, der die großen Mengen von Ressourcen, Traditionen, Geschichte und Kultur Lateinamerikas aufnimmt. Wir denken an einen neuen Sozialismus, dessen zentraler Aspekt die Demokratie der Massen ist. Ein Sozialismus, der Erneuerungsmechanismen hat, durch die die Massen mitentscheiden können und in dem die Funktionäre regelmäßig ersetzt werden, damit keine unnötige Bürokratisierung entsteht. Dieser Sozialismus muß menschlich sein und nicht nur gut für eine Einheitspartei oder eine Funktionärskaste, die sich festsetzt. Wir haben in Peru eine alte Tradition des Kollektivismus, die noch aus den Zeiten der Inkas stammt.
Und Kuba? Welche Bedeutung hat die kubanische Revolution heute noch für die MRTA und für die Linke in Lateinamerika?
Seit Fidel Castro die Macht erlangt hat, steht Kuba in Lateinamerika für einen neuen Weg, einen anderen Weg, und zwar die Macht durch den bewaffneten Kampf zu erlangen. Kuba hat aber noch viel mehr Aspekte, z.B. die Idee der Schaffung des Neuen Menschen von Ernesto Che Guevara.
Kuba ist für uns heute ein sehr wichtiger Schützengraben, ein Bollwerk. Es ist eingekreist vom Imperialismus und blockiert in Lateinamerika. Der Imperialismus versucht, das System des Sozialismus in Kuba zu zerstören.
Wir glauben, daß Kuba viel erreicht hat, und für uns ist es wichtig, das Erreichte herauszustellen. Die Probleme, die Mängel und die Fehler, die Kuba hervorgebracht hat, wie dies jeder soziale Prozess tut, sind lösbar, und die Verantwortlichen selbst sind in einem Prozess der Diskussion und Suche. Sie sind die Betroffenen der Diskussion, die Betroffenen der Kritik und Selbstkritik.
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Kuba darf nicht fallen, weil Kuba gezeigt hat und bis heute zeigt, daß es das einzige Land in Laeinamerika ist, in dem das Volk seine Würde wiedererhalten hat. Also jenseits der Bedeutung, die der Falls Kubas im Sinne der Zerstörung eines bestimmten Systems hätte, ist Kuba für uns ein Beispiel eines heroischen Volkes. Eines Volkes, das die Einkreisung und die Offensive aushält und dennoch die Ideale der Revolution verteidigt. Deswegen ist der Erhalt und die Konsolidierung der kubanischen Revolution sehr wichtig.
Kannst Du uns zum Schluß noch etwas über Deine eigene politische Geschichte und über Deine Aufgabe in Europa erzählen?
Ich bin einer von hunderten von Tupacamaristas, die im Moment die Waffen in unserem Land ergriffen haben, um unsere Gesellschaft zu verändern. Ich bin Mitglied der nationalen Leitung der MRTA. Einige Jahre war ich in der peruanischen Linken, vor allem beim MIR aktiv. In Europa bin ich aufgrund einer Entscheidung der MRTA-Leitung. Das Ziel unserer Anwesenheit hier ist, über den Kampf unseres Volkes zu informieren. Damit die Informationen direkt von Personen aus Peru kommen, und nicht nur von der Berichterstattung der bürgerlichen Presse, der Presse, die praktisch nur die Telexe der großen internationalen Nachrichtenagenturen reproduziert. Andererseits sind wir auch hier auf der Suche nach Solidarität mit einem langen Befreiungskampf in unserem Land.
CUBA LIBRE 3-1992