Zum 25. Todestag von Tanja und Che
Ein Gespräch mit Nadja und Erich Bunke

Vor fünfundzwanzig Jahren wurde die einzige Frau in einer winzigen Truppe, als sie einen Urwaldstrom Boliviens überquerte, aus einem Hinterhalt erschossen. Wenige Wochen später starb Che Guevara, die ganze Gruppe wurde liquidiert. In der Korrupten Regierung von La Paz und in den CIA-Büros, die deren Guerillabekämpfung lenkten und belieferten, glaubte man, diese rebellischen Kubaner, Argentinier, Bolivianer würden bald vergessen sein.

Bald trugen jedoch unzählige Tausende von jungen Menschen, vor allem Süd- und auch Nordamerikaner, Trauerflor für Che. Als die Geschichte von "Tanja la Guerillera" allmählich bekannt wurde, noch mit allerlei Mysterien umrahmt, stieg auch schnell das Interesse an dieser jungen Frau von 30 Jahren.

Es kam heraus, daß Tamara Bunke ein Jahrzehnt lang in der DDR gelebt hatte, und das Interesse dort wuchs besonders an, von oben, aber eher auch von unten. Damals führte das zu "Namensgebungen; Tamaras Eltern, heute Bewohner eines Seniorenwohnheims in einem östlichen Vorort von Berlin, hielten jahrelang Kontakt mit fast 250 solcher Brigaden, Kollektive, Krippen und POS (Polytechnischer Oberschulen d.S.). Ein Buch über Tamara, 1974 in mehreren Sprachen erschienen, klärte viele der Mysterien auf und verstärkte die Ausstrahlung dieses liebevollen, erstaunlichen Menschen.

Heute ist der Name genauso verschwunden wie die Begriffe Krippe, Kollektive, POS. Heutige Kitas, Teams von Arbeitnehmern, Hauptschulen sind eher namenlos. Bei der Kindereinrichtung in meinem Wohngebiet hielt ihr Name lange; die Stelle im Außenputz sieht noch immer nackt aus.

Nadja und Erich Bunke lehnen die Schlußfolgerung ab, daß alles vergessen wurde. Nadja zählt Fälle auf: der Taxifahrer, der den Namen Bunke erkannt und sich zur Erinnerung an Tamara bekannte; der junge Telefonmonteur, der alle Bücher über Tanja und Che gekauft, gelesen und geschätzt hat; die Ausstellung über die beiden in Kreuzberg, auch die Schule in Nikagargua, die ihren Namen trotzig behält. Vor allem der schöne Film der Schweizerin Heidi Specogna. Die Eltern freuen sich über solche tröstlichen Fälle. Sie sind aber heute dünn gesät; das Erinnerungsvermögen an Menschen wie Tanja und Che darf man in Ostdeutschland, Ost- oder Westeuropa gewiß nicht allzu hoch einschätzen.

Etwa bei Angriffen gegen Ausländer und deren Rechtfertigung. Ich überlege, daß Tamara Bunke gerade das Gegenteil verkörperte. Sie war selbst meist Ausländerin. In Argentinien als Tochter deutscher Antifaschisten geboren, galt sie in der DDR 1952, bei der Heimkehr der Familie als Südamerikanerin. 1961 in Kuba angekommen, wurde sie als Deutsche oder Argentinierin angesehen. Zuletzt nachdem sie ein Jahr in Westeuropa eine neue Identität annahm, um die Polizei irrezuführen, wußten nur wenige, was für eine Nationalität sie hatte. Offiziell wurde sie durch eine kurze Zweckehe zur Bolivianerin. Doch Tamara gewann überall Freunde und Freundinnen, sie liebte einfach die Menschen. Genauso wie Che, ebenfalls in Argentinien geboren, nach Kuba gekommen und in Bolivien gefallen, sehnte sie sich nach dem Glück aller Nationen, wenn ihr auch Lateinamerika besonders Kuba nahestand. Dort liebte sie ja die Revolution, für die sie lebte und starb.

Tamaras Mutter erzählt stolz davon, nicht pathetisch oder überkandidelt, doch auf eine Art, die man heute so selten hört, daß sie altmodisch klingt:

"Wenn Tamara der Überzeugung war, daß sie in Kuba oder Bolivien arbeiten und kämpfen müßte, dann konnten und durften wir als Eltern sie nicht zurückhalten."

Sie sinnt weiter zurück: "Es war als ob alles, was sie gemacht hatte, sie für ihren letzten Kampf vorbereitete: ihre Sammlung von Tonbändern der lateinamerikanischen Musik, ihre Erfahrungen mit dem Deutschunterricht, ihr Leistungssport, auch das Sportschießen und ihre eisern Selbstdisziplin: alles hat ihr in ihrer letzten Lebensetappe in Bolivien geholfen."

Sie zitiert eine Freundin von Tamara: "Sie gehörte zu den seltenen Menschen, bei denen Taten und Worte übereinstimmen."

War das nicht alles umsonst? Bolivien bekommt immer wieder korrupte Regierungen. Die eine Heimat, die DDR, ist untergegangen, wie so viele andere Länder auch. Und Kuba … ?

Nadja und Erich hegen absolut keinen Zweifel, daß Tamara auch heute Kuba unterstützen würde: "Fidel erinnerte jetzt an die lebendige Tradition von José Martí – dazu gehört auch die Selbstbestimmung Kubas, besonders gegen die nordamerikanische Beherrschung, das Ende aller Formen des Rassismus, die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, daß jeder genug zu essen bekommt und es keine Armut mehr gibt. Das waren die Ziele vor 100 Jahren, und auch die von Fidel, Che und Tamara. Und das sind auch die Ziele des Sozialismus."

"Die Kubaner werden alles tun, um zu behalten, was sie haben", sagt sie überzeugt. "Ein einfacher Kubaner sagte uns: 'Wir haben die Freiheit; wir sind ja die Regierung, denn alle haben Waffen.'"

Die mit 80 noch sprachgewandte Nadja, der ruhigere, nicht mehr so gewandte Erich, gerade 89 geworden, halten engen Kontakt mit dem Adoptivland der Tochter. Erich hofft, die traditionelle Flasche Kuba-Rum zum Geburtstag zu bekommen. Als Tamara auf ihrer Geheimmission von Kuba wegfuhr, - erst nach Westeuropa, dann nach Bolivien – wußten die Eltern nichts davon. Sie wußten aber von einem Kubaner, den sie liebte und "nachher" heiraten wollte. Es gab kein Nachher, er wartete noch lange, als er doch heiratete und Vater wurde, schickt er seine Kinder auch einmal zum Besuch nach Berlin. Nadja zeigt mir stolz das Foto des kleinen dunkelhäutigen Jungen mit dem mühevoll geschriebenen Grußworten. Die Verbindungen bleiben. Für ise ist Kuba eine Hoffnung, wie damals für ihre Tochter.

Ich bohre weiter nach den Zeichen von Depression, von Resignation beim alten Ehepaar, das einst, als Tamaras Bruder ein Baby war, von der Gestapo bedroht und später von der argentinischen "Antikommunisten-Kommission" schikaniert wurde. Gegen die überalterte DDR-Führung schimpfen sie schon, und müssen zusehen, wie sie mit den Problemen von heute zurechtkommen, aber: "Wir sind alte Antifaschisten, wir werden nicht so leicht gebrochen und – trotz tragischer Entwicklungen – bleiben wir unseren Idealen treu. Wir haben ein Leben lang für sie gekämpft und tun weiter das, was uns noch möglich ist. Was Tamara betrifft, sind wir überzeugt, daß sie so lebte wie sie es wollte. Damit hat sich ihr Leben auch erfüllt."

Ich denke daran, daß es nicht nur haßtriefende, planvoll geworbene Neofaschisten gibt, sondern auch Leute, junge Leute, die ihnen trotzen und sich solidarisch neben die Ausländer stellen. Und auch solche, die ihre blicke weiter werfen. Darunter einige, die sich "Cuba Sí" nennen – meist sind es Ost-Berliner – und tonnenweise Hilfsgüter für Kuba sammeln, unentwegt "Hände weg von Kuba" fordern und sich ausdrücklich auf Tamara berufen – am 8. März wurde der Frauentag ihr gewidmet.

Vielleicht ist der Geist von "Tanja la Guerillera" nicht ganz vergessen und verloren. Vielleicht geht er nie verloren, wird er nie vergessen.

Dann war ihr Leben nicht umsonst!

CUBA LIBRE
Bill Rogers

CUBA LIBRE 3-1992