Der Tod eines Mörders in Hamburg

Am Donnerstag, den 1. April 1971 gegen 9.30 Uhr betritt eine ca. 30jährige Frau das bolivianische Generalkonsulat in der Hamburger Heilwigstraße 125. Sie hatte sich bereits eine Woche zuvor telefonisch angemeldet und in englischer Sprache ein Visum für eine kleine australische Folkloregruppe beantragt. Nun ist sie gekommen, um die Formalitäten zu erledigen.

Sie bittet die Sekretärin, ihr einige Fotos von Bolivien zu geben, um den Mitgliedern einen Eindruck von Land und Leuten vermitteln zu können. In diesem Moment betritt Roberto Quintanilla Pereira das Zimmer, der einige Tage zuvor von seiner Regierung als Generalkonsul abberufen worden ist. Er führt die Geschäfte noch kommissarisch weiter bis sein Nachfolger eintrifft. Da Quitanilla in seinem Büro Fotos hat, bittet er die Besucherin dort hinein. Kaum sind sie eingetreten, zieht die Frau einen Revolver und schießt dreimal auf den Ex-Generalkonsul. Von zwei Schüssen getroffen, bricht er zusammen.

Die Frau steckt Quintanilla einen Zettel in die Jackentasche und läßt die Waffe sowie eine blaue Umhängetasche zurück. Als sie das Büro verlassen will, gerät sie in ein kurzes Handgemenge mit der Gattin des Ex-Generalkonsuls, die nach den Schüssen hereingestürzt kommt und ihren Mann am Boden liegen sieht. Die Besucherin verliert ihre Perücke und ihre Brille, schließlich gelingt es ihr aber, das Konsulat zu verlassen.

Quintanilla stirbt auf dem Weg ins Universitätskrankenhaus Eppendorf. Er wird in die Leichenhalle des Gerichtsmedizinischen Instituts gebracht. Am Nachmittag sprechen dort zwei Männer vor, die sich unter Tränen als Verwandte des Toten ausgeben. Sie wollen Quintanilla noch ein letztes mal sehen, sagen sie. Als sie allein in der Halle sind, holt einer der beiden einen Fotoapparat aus der Tasche und fotografiert die Leiche. Dabei werden sie gesehen, können aber unerkannt das Institut wieder verlassen.

Von der letzten Besucherin Roberto Quintanillas fehlt jede Spur. Die einzigen Hinweise, die gefunden werden, sind ihre Brille, die allerdings Gläser aus Fensterglas hat, eine graumelierte Perücke, der Colt "Cobra 38 Spezial" und der Zettel, den die Konsulatsbesucherin Quintanilla in die Jackentasche steckte. Auf dem steht: VICTORIA o MUERTE ! ELN"

Die von Che Guevara 1967 gegründete Nationale Befreiungsarmee Boliviens ELN schickt wenige Stunden nach dem Attentat auf den Ex-Generalkonsul eine Erklärung an verschiedene bolivianische Zeitungen in La Paz. Darin heißt es: "Eine unserer Kampfgruppen hat Oberst Quintanilla hingerichtet. Es handelt sich um einen revolutionären Akt der Gerechtigkeit. Wir hatten eine alte Rechnung mit dem hauptverantwortlichen für die Ermordung Inti Peredos zu begleichen. Wir versprechen, daß kein Schuldiger im Bett sterben wird, wo immer er sich auch verstecken mag. … Wir haben im Auftrag unserer gefolterten und toten Genossen, im Auftrag der abgeschlachteten Bergleute und des gedemütigten und geplünderten Volkes gehandelt. … Der Krieg geht weiter, Sieg oder Tod! ELN"

Roberto Quintanilla Pereira hatte 1948 die bolivianische Polizeiakademie absolviert. Später bekam er eine Zusatzausbildung an der interamerikanischen Polizeischule in Washington und an verschiedenen anderen US-Einrichtungen in Panama und Puerto Rico. Er war Fachmann für Verhörtechniken. 1966 wurde er stellvertretender Innenminister Boliviens und Chef des Geheimdienstes. 1967 unterrichtete er die CIA vom Aufenthalt Che Guevaras in Bolivien. Daraufhin wurden in aller Eile bolivianische Sondereinheiten in die nordamerikanischen Ausbildungszentren nach Panama geflogen. Sie kehrten gemeinsam mit US-counterinsurgency-Spezialisten nach Bolivien zurück, um Che zu jagen. Unterdessen zerschlug Quintanilla das Nachrichten- und Informationsnetz der ELN in La Paz.

Als Che Anfang Oktober 1967 schwer verletzt gefangengenommen wurde, flog Quintanilla in die Kampfzone und befahl nach einem erfolglosen "Verhör", dessen Ermordung. Die ELN war aufgerieben. Nur einige wenige Guerillas konnten entkommen. Sie flüchteten über Chile nach Kuba. Unter ihnen war auch der Stellvertreter Ches, Inti Peredo. Nach kurzem Aufenthalt auf Kuba kehrte er zurück nach La Paz und reorganisierte die ELN. Am 9. September 1969 wurde sein Versteck in der Hauptstadt entdeckt. Roberto Quintanilla ließ das Haus umstellen. Inti und seine Gruppe leisteten heftigen Widerstand, aber schließlich wurden sie von der Übermacht des Feindes besiegt. Inti wurde gefangengenommen und erschossen. Kurz darauf ließ Quintanilla sich stolz neben dem toten Nachfolger Che Guevaras fotografieren.

Aber nicht nur die Zerschlagung der bolvianischen Guerilla machte Quintanilla sich einen Namen. Er war auch in allerlei Skandale der bolivianischen Innenpolitik verwickelt. Im Februar/März 1971 wurden in den bolivianischen Zeitungen "La Prensa" und "hoy" schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Zwei Jahre zuvor, im April 1969, war der damalige Präsident Boliviens, Barrientos, mit seinem Hubschrauber abgestürzt. Sein Nachfolger wurde General Ovando. In der Folgezeit wurden einige prominente Bürger Boliviens ermordet: ein oppositioneller Senator, ein Landarbeiterführer und ein Verlegerehepaar. Die Zeitungen behaupteten, Ovando hätte gemeinsam mit Barrientos Waffen und anderes Kriegsmaterial nach Israel verschoben und dabei 10 Millionen Dollar verdient. Dann hätte Ovando Barrientos und einige Mitwisser ermorden lassen. Quintanilla, so die Zeitungen weiter, sei in alle Verbrechen verwickelt gewesen und hätte darum nach den Morden um Versetzung auf einen Auslandsposten gebeten. Im Mai 1970 wurde er Generalkonsul Boliviens in Hamburg.

Aufgrund der Zeitungsveröffentlichungen in La Paz wurde Quintanilla am 28. Februar 1971 von seinem Posten und von dem Mittlerweile amtierenden Präsidenten Torrez aufgefordert, nach Bolivien zurückzukehren, um sich zu den Anschuldigen zu äußern. Der Ex-Präsident Ovando, inzwischen Botschafter in Madrid wurde ebenfalls zurückgerufen, woraufhin er erkrankte und darum Spanien nicht verlassen konnte.

Quintanilla hatte offenbar auch nicht vor, sofort nach Bolivien zurückzukehren. Er reagierte auf die Anschuldigungen mit einem Brief, in dem er alles als unwahr zurückwies: "Das ist faßbar nur solchen Geistern, die krank sind oder nicht Gott, nicht Ehre und nicht Vaterland kennen." Den Brief schrieb er am 25. März, und in den folgenden Tagen überlegte er ziemlich lange, ob er nach Bolivien zurückkehren solle oder besser nicht. Einigen Leuten erzählte er, er überlege, in der BRD um politisches Asyl zu bitten. Am 2. April 1971 meldete DIE WELT allerdings, Quintanilla "entschloß sich, in Hamburg zu bleiben – nicht aus Vorsicht …, sondern um seine 'Polizeiausbildung fortzusetzen', wie er sagte."

Diese weitere "Polizeiausbildung" wurde dann am 1. April 1971 durch die ELN beendet.

Am 27. April 1971 berichtete die Mailänder CORRIERE DELLA SERA, Quintanilla sein von der Deutschbolivianerin Monika Ertl erschossen worden. Außerdem sei der italienische Verleger und Freund Fidel Castros Giangiamcomo Feltrinelli maßgeblich beteiligt gewesen. Feltrinelli soll den Revolver "Cobra 38 Spezial", mir dem Monika Ertl auf Quintanilla geschossen habe, 1968 in Mailand gekauft haben.

Anfang Juli 1971 erklärte der bolivianische Innenminister Adet auf einer Pressekonferenz in La Paz, "der Mord an Quintanilla ist aufgeklärt". Zwei gefangene Guerilleros der ELN hätten übereinstimmend ausgesagt, die Erschießung Quintanillas sein in Santiago de Chile von Feltrinelli und den beiden bolivianischen ELN-Kommandanten Chato Peredo (ein Bruder Intis) und Gordo Carlos geplant worden. Mit der Tat seien eine Deutsche namens Monika Ertl sowie einige andere Ausländer beauftragt worden.

Monika Ertl war 1946 als Kind gemeinsam mit ihrer Familie nach Bolivien gekommen. 1968 wurde sie Mitglied der ELN und ging Anfang 1970 in die Berge. Kurze Zeit später reiste sie, laut HAMBURGER ABENDBLATT, "in ein sozialistisches oder kommunistisches Land, das die ELN unterstützt." Wann und wie oft sie danach wieder nach Bolivien kam, ist nicht bekannt. Vielleicht hielt sie sich am 1. April 1971 in Hamburg auf. Sicher ist aber, daß sie im März 1973 mit einem argentinischen Paß der auf den Namen Nancy Molina ausgestellt war, in Bolivien einreiste. Zu dieser Zeit befand sich die Nationale Befreiungsarmee Boliviens ELN gerade in einer Phase der Neu-Organisation. Gemeinsam mit der Bewegung MIR, den Tupamaros aus Uruguay und dem Revolutionären Volksheer ERP aus Argentinien wollte die ELN, wie von Che Guevara geplant, eine Revolutionäre-Koordinationsjunta (JCR) bilden, um den bewaffneten Kam´f in Lateinamerika endlich zu kontinentalisieren. Am 15. Mai 1973 umstellte die bolivianische Geheimpolizei ein Haus in der Nähe von La Paz, weil sie darin ein ELN-Kommando vermutete. Bei dem anschließenden Feuergefecht wurden der Guerillero Ucasqui Urval und die Guerillera Monika Ertl von den Polizisten erschossen.

Während ihrer Zeit als Militant der nationalen Befreiungsarmme Boliviens trug Monika die nomes de guerre "Imilla" und "La Gringa".

CUBA LIBRE
Christian Eggers

CUBA LIBRE 3-1992