Grenada – Ende einer friedlichen Revolution

Grenada 1982 - Jahrestag der Revolution
1982 feierten ca. 35.000 Grenadier ihren 3. Jahrestag der Revolution

Im ganzen Prozeß des gesellschaftlichen Wandels hat es innerhalb des New Jewel Movement Differenzen über mögliche Wege zur Lösung bestehender Probleme gegeben, wie sie wahrscheinlich in allen Zusammenschlüssen verschiedener politischer Organisationen zu finden sind. Finanzielle Schwierigkeiten standen dabei ebenso im Vordergrund wie die reale Interventionsgefahr durch die USA, der Mangel an qualifizierten Funktionären und die daraus resultierende dauernde Überlastung der Beteiligten spielten ebenso eine Rolle wie das Thema: Allgemeine Wahlen und/oder "Grass root democracy", kollektive Führung des Staates durch den New Jewel oder durch möglichst viel Einfluß aus den Vollversammlungen bzw. Maurice Bishops.

Zu den möglichen Lösungen der aktuellen wirtschaftlichen Probleme meint Ullrich Theis vom Karibik-Informationszenrtum, der die letzten drei Monate an einem Forschungsprojekt auf Grenada gearbeitet hat: "Seit Anfang des Jahres gab es erhebliche Finanzprobleme in Grenada. Über den Weg, sie zu lösen, bestand keine Einigkeit. In groben Zügen existierte die Alternative, entweder so weiterzumachen, die laufenden Projekte möglichst aus eigenen Kräften fortzusetzen oder, weil das kaum möglich schien, teure Programme einzustellen, um die Gesamtheit der Revolution zu retten. D.h. eine Option,politische und finanzielle Probleme technisch zu lösen, stand die Gefahr, sich auf der Suche nach Krediten nach rechts orientieren zu müssen. Letzteres vertrat der Flügel um Maurice Bishop, der mit dem Vorwurf konfrontiert war, das nationale Kapital nicht genügend zu schröpfen. Das wiederum war nach Auffassung der Bishop-Leute nicht möglich, weil dann die Entwicklungshilfegelder aus kapitalistischen Ländern versiegten. Die EG, Mexiko, Kanada und Venezuela investierten in Grenada gerade deswegen, um Grenada von einem ‚zu linken’ Kurs abzuhalten. Der Schutz dieser Länder sei aber bei Interventionsdrohungen durch die USA oder deren Verbündete wichtig. Das etwa war die Politik, die Maurice Bishop vorhatte. Die Führung des New Jewel Movement wollte den anderen Weg beschreiten."

Was den demokratischen Prozeß angeht, hielt die Gruppe um Bernhard Coard, die in dem New Jewel die Mehrheit hatte, einen "Demokratischen Zentralismus" von oben nach unten für das beste, während die Gruppe um Bishop in der Regierung mit Mehrheit den "grass-root"-Weg aufrechterhalten bzw. ausbauen wollte.

Blackward never?

Wenn man sich alle denkbaren Kombinationen ausmalt, die durch eine solche Konstellation möglich sind, kann man vielleicht verstehen, daß Bishop nichts an einer kollektiven Führung lag, die das Aus des karibischen Weges von unten bedeutet hätte und daß er die parteiintern diskutierten Probleme öffentlich machen wollte. Ehe in dieser Art eine Problemlösung möglich wurde, versuchte die Fraktion Coards durch den Ausschluß Bishops und seine Absetzung als Premier die Regierungsmacht in die Hände zu bekommen. Dagegen wehrten sich die Grenadier durch ihre Art von "peoples democracy". Sie gingen auf die Straße, und als es ihnen zu lange dauerte, bis ihre Forderungen nach Freilassung des unter Hausarrest gesetzten Bishop entsprochen wurde, befreiten ihn Tausende von Demonstranten ohne größere Probleme.


Wir glauben, daß Bishop der geeignete Führer des Landes war. Er hatte großes internationales Ansehen. Er war ein sehr kluger Mensch und außerdem kein Extremist. Er war ein Revolutionär, der die Situation seines Landes sehr gut verstanden hat, und wir hatten den Eindruck, daß er es sehr gut regierte... Alles, was wir in unseren Botschaften gesagt haben, alle Warnungen, daß die Spaltung tragisch war, haben sich bestätigt. Es gibt also nicht den geringsten logischen Grund zu glauben, daß wir hinter diesem absurden Machtwechsel stecken könnten.

Fidel Castro, 26. Oktober 1983



Dazu der Augenzeuge Thomas Poese aus Hamburg:

"Ich werde diese zwei Stunden zwischen der Befreiung und der Schießerei nie vergessen, weil ich so etwas an ausgelassener Freude in meinem Leben noch nicht gesehen habe, Freude darüber, daß sie ‚Maurice’ befreit hatten. Die Leute tanzten und sangen. ‚Dies ist der größte Tag in der Revolution Grenadas’, sagte einer zu uns, ‚was wir heute erleben, ist tatsächlich die Macht des Volkes’."


Nachdem daraufhin Maurice Bishop seine letzte Rede hielt, sahen einige seiner Opponenten ihre letzte Chance in seiner Ermordung.




Von einem angerasten Militärfahrzeug aus wurde in die um Bishop versammelte Menge geschossen, und als alle geflüchtet und die, die sich gewehrt hatten, tot waren, wurde Maurice Bishop zusammen mit anderen Ministern exekutiert. Ulli Theis: "Für die Menschen auf dem Platz war das alles überhaupt nicht zu fassen. Aber es war ihnen klar, daß diejenigen erschossen würden, die zur Unterstützung Maurice Bishops an-träten. Es gab ein Bild der Verzweiflung. Viele Leute saßen an der Straße und heulten, manche waren völlig abwesend. Wer in Grenada war, hat eine Vorstellung davon, was es schon bedeutet, wenn sich Menschen nur unfreundlich anrempeln. Das gibt es ja dort gar nicht. Und nun war ihr Prime Minister erschossen worden, den zu hören sie sich versammelt hatten.

Ab diesem Moment war die Invasion für die USA so einfach wie noch nie. Daß hinter der Ermordung Maurice BiShops, um den jetzt, als er tot war, alle "westlichen Demokratien" in Krokodilstränen ausbrachen, am wenigsten Kuba steckt, mag dabei als ein kleiner Beleg die Stellungnahme Kubas vom20.10. 1983, zeigen (s. Beitrag von P. Garcia)

Der Ablauf von der Beseitigung der Volksregierung bis zur anschließenden Invasion durch unsere westliche Schutzmacht, gleicht schon eher Projekten, die der CIA in der Vergangenheit realisiert hat. Vorwände zur Invasion

Die amerikanischen Medizinstudenten waren von der Invasion in keiner Weise begeistert und ließen nach einer Vollversammlung Reagan durch ihren Rektor wissen, daß sie sich durch eine Invasion mehr bedroht fühlten als durch die Grenadier. Auch Sir Paul Scoon, General Governor von Gnaden Gairys und Ihrer Majestät, hat keine Probleme, in aller Öffentlichkeit zu erklären, daß er die USA erst nach der Invasion um Hilfe gebeten hat.

Was einen bei all diesen Vorwänden und Lügen verwundert hat, ist der "begeisterte Empfang", den die "Befreier" von den Grenadinern bekommen haben.

Ulli Theis schreibt den "Jubel" zwei Tage nach der Invasion: "An diesem Donnerstag passierte etwas, was man vorher in Grenada nie gesehen hatte. Es fanden sich größere Menschengruppen zusammen, die einfach nur schweigend an der Straße saßen. Wer einmal in Grenada gewesen ist, wird wissen, daß die Leute sich unentwegt etwas zu erzählen hatten, wann immer sie aufeinanderstießen, quer über die Straße, ins Fenster rein oder wie auch immer. Aber sicher nicht, daß sie mit völlig versteinerten Gesichtern am Straßenrand stehen. Das war am Donnerstag so, als die mit Waffen vollbepackten US-Soldaten durch die Straßen von St. Georges’ zogen.

Die freundliche Stimmung kippte um, als sie kompanieweise die Häuser durchkämmten den Finger am Abzug und Leute suchten. Zu Anfang waren die Soldaten für die Grenadiner die Befreier von der neuen Militärdiktatur, doch es ging jetzt gar nicht mehr darum, wie ihnen klarwurde, sondern um die Etablierung US-freundlicher politischer Kräfte, und das wollten viele nicht." Sogar Sir Scoon betont inzwischen anläßlich des angerichteten Schaden in Millionenhöhe, er hätte die USA um Hilfe, nicht aber um eine Invasion gebeten ...

Die Austin/Coard-Regierung hatte bis auf eine Kaderschicht kaum Unterstützung in der Bevölkerung, und schon bald nach der Ermordung Bishops desertierten Angehörige der Milizen und der Armee und schlossen sich teilweise zu "autonomen Widerstandsgruppen" zusammen. Dies und die Wirtschaftsblockade der anderen Länder des karibischen Wirtschaftsverbunds hätten der Regierung auch ohne Invasion ein baldiges Ende bereiten können.

So weit wollten es die USA nun doch nicht kommen lassen, denn schließlich lag ihnen an einer grundsätzlichen Lösung es grenadischen Problems in "ihrem Hinterhof".

Es wird ihnen allerdings schwerfallen, eine Galionsfigur zu finden, die ihre Interessen ohne ihre militärische Präsenz wahrnehmen kann. Im "Karibik-Informationszentrum Hamburg" glaubt man, daß die Grenadiner auf "türkische Wahlen" mit Verweigerung antworten werden. Im übrigen schätzt man, daß die Revolution durch diese Invasion nicht tot ist, dafür ist der Stolz auf die Errungenschaften der fünfeinhalb Jahre karibische Revolution zu groß, und deren "Nachwirkungen" werden auch nicht einfach wegzuwischen sein.

CUBA LIBRE
Helmut Schaaf
AStA, Uni Köln, war kurz vor der Ermordung Bishops in Grenada

CUBA LIBRE 4-1983