Tage nach der Invasion Grenadas empörte sich der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Walter Mondale: "Es ist das erste Mal in unserer Geschichte, daß die Regierung willkürlich Presse, Funk und Fernsehen ausgeschaltet hat."
Das Pentagon hatte eine neue Medientaktik getestet: Die totale Abschirmung des Invasionsschauplatzes gegen die internationale Presse und die gezielte Verbreitung von Fehlinformationen zur nachträglichen Rechtfertigung der Aggression. Allerdings, diese Taktik wurde nicht in den USA erfunden. Im Dritten Reich gab es dafür eigens in psychologischer Kriegsführung geschulte PK-Berichterstatter.
Bei dem Überfall auf Grenada übernahmen die Admiräle Wesley McDonald und Joseph Metcalf diese Funktion. Die beiden Oberbefehlshaber der Invasionstruppen mußten sich wohl auch deshalb selbst um das Herbeischaffen von "Beweisen" bemühen, weil die Militäraktion sogar bei den engsten Verbündeten der USA auf Ablehnung oder zumindest Befremden stieß. Die von Reagan genannten Gründe "Schutz der US-Bürger*" und "Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse" waren gar zu fadenscheinig.
Als erstes wurden die grenadischen Soldaten in zwei Bataillone schwerbewaffneter Kubaner verwandelt, die angeblich den US-Truppen heftigen Widerstand entgegensetzten (s. TIMES vom 28.10.). Das war von Anfang an eine bewußte Täuschung. Die USA hatten genaue Angaben darüber, wieviele kubanische Bauarbeiter, Ärzte und andere Fachleute wo auf der Insel tätig waren. Das Lager der kubanischen Bauarbeiter mit ca. 600 Mann war zusammen mit den beiden Flugplätzen das erste Ziel der Invasion, die um 5.40 Uhr begonnen hatte. Bereits um 9.04 Uhr waren die Kubaner vollständig von US-Truppen eingekreist. Zu ihrer Verteidigung im Falle einer Aggression waren ihnen ein paar Monate vorher leichte Waffen von der grenadischen Regierung ausgehändigt worden. Als die Kubaner von den Marines angegriffen wurden, verteidigten sie sich, solange sie Munition hatten. Wegen Munitionsmangel mußten sich die meisten Kubaner noch am ersten Tag ergeben. Während der ganzen Kampfhandlungen blieben sie jedoch bis zuletzt von US-Truppen eingeschlossen.
Die Bestätigung dafür, daß Washington genau über Bewaffnung, Funktion und Aufenthaltsort der Kubaner auf Grenada unterrichtet war, lieferten die USA noch am Tag der Invasion selbst. In ihrer offiziellen Note an die kubanische Regierung vom 25.10. hieß es: "...Die USA wissen, daß das ... kubanische Personal weder die Waffen noch die Munitionsreserven für längere Gefechte hat..." Trotzdem hielt das Pentagon die Mär von "schwerbewaffneten kubanischen Soldaten" noch eine Woche lang aufrecht.
Wer den Kampf gegen die Yankees wirklich führte, berichtete der Augenzeuge und selbständige Journalist Claude Urraca in der Zeitung LE MONDE vom 29.10.: "...eine revolutionäre Volksarmee, die nicht mehr die Mittel hat, um zurückzuschlagen, die aber - entgegen der Erwartung der Invasoren - nicht als Folge des Angriffs auseinanderlief... Die Soldaten General Austins sind nicht in Panik geraten. Sie sind ruhig und diszipliniert geblieben..."
Am selben Tag, als in Frankreich auch von der bürgerlichen Presse die ersten wirklichen Informationen über den Widerstand verbreitet wurden, ergaben sich die Schreiberlinge der FAZ dem freien Flug ihrer Phantasie: "...Vor allem die hohe Zahl kubanischer Soldaten auf Grenada - sogar der Entsenderstaat bestätigte sie - und deren mehrtägiger, kraftvoller Widerstand haben manche Einwände (gegen das US-amerikanische Eingreifen) relativiert..." Das ist seriöser Journalismus a la Bundesrepublik: Einer dicken Pentagon-Lüge eine noch dickere eigene als "Beweis" hinzuzufügen! Natürlich gab es keine solche Bestätigung von der kubanischen Regierung - genausowenig, wie es kubanische Soldaten auf der Insel gab. Was die Zahl der Kubaner auf Grenada betrifft, zeigten FAZ und WELT die gleiche Flexibilität, wie die US-Regierung: Aus 1.800 in der ersten Woche wurden 600-750 in der zweiten. Ebenfalls am 29.10. erging sich die WELT in einem anderen Zahlenspiel. Diesmal handelte es sich um Waffen: "...Das Arsenal, das den einmarschierenden Truppen in die Hände fiele, übertraf selbst alle amerikanischen Geheimdiensterkenntnisse. Lagerhaus reihte sich an Lagerhaus. Waffen für ‚Tausende von Terroristen‘, nach vorsichtigen Schätzungen für die bis 10.000 Mann..." Ach, hätte die WELT doch lieber auf die amerikanischen Geheimdienstinformationen zurückgegriffen, als dem Pentagon zu glauben. Denn als etwas später Journalisten den Wahrheitsgehalt dieser US-Army-Meldung nachprüfen wollten, fanden sie in den ersten drei Lagerhallen ausschließlich zivile Güter (Nahrungsmittel, Kleidung, sogar Spielzeug) und in den anderen - ganze 190 Kisten mit Waffen. Komplett wurde die Blamage dadurch, daß ein Teil dieser Kisten Gewehre aus dem Jahr 1870 enthielt
Um das lädierte Ansehen US-amerikanischer Medienpolitik zu verbessern, warf sich Reagan nun selbst in die Bresche: "...Grenada war eine sowjetisch-kubanische Kolonie, die zu einem großen Militärstützpunkt für die Ausfuhr von Terror und Unterwanderung der Demokratie ausgebaut werden sollte. Wir haben gerade noch zur rechten Zeit eingegriffen...." Grenada hätte als unsinkbarer Flugzeugträger 56 Prozent der US-Erdölimporte bedroht. Womit wieder einmal mehr der neue internationale Flughafen von Point Salines als "Beweis" für die angeblich kriegerischen Absichten der Regierung Grenadas herhalten mußte. Ein Sprecher des britischen Großkonzerns Plessey bestätigte doch Ende Oktober auf einer Pressekonferenz in London: "Der Flughafen hat eindeutig zivilen Charakter". Dieser Konzern ist immerhin Lieferant der gesamten Flughafenelektronik (s. Auch CUBA LIBRE Nr. 3/1983). Grenada ist auf seine Einkünfte aus dem Tourismus angewiesen. Der neue Flughafen ermöglicht die Landung von Direktmaschinen aus Europa und Kanada. Der zweite Flughafen bei Pearls im Norden der Insel ist so klein, daß er nur von zweimotorigen Propellerflugzeugen oder DC-3-Turboprops aus den Nachbarinseln angeflogen werden kann.
Alleine mit der möglichen militärischen Verwendung des neuen Flughafens ließ sich die Stützpunkt-These also nicht halten. So fielen den Marineinfanteristen des Admirals Wesley McDonald flugs kubanische Geheimdokumente in die Hände, aus denen hervorging, daß die Kubaner kurz vor einer Machtübernahme auf Grenada gestanden hätten. U. a. sollten nach diesen Dokumenten 4.340 "gut ausgebildete Soldaten" nach Grenada geschickt werden. Bis heute wartet die Weltöffentlichkeit mit Spannung - aber wie es aussieht, auch weiter vergeblich - darauf, daß die US-Streitkräfte diese Dokumente der Presse zeigen. Statt dessen erklärte eben dieser selbe Admiral McDonald, daß die USA möglicherweise auf Grenada einen ständigen Militärstützpunkt einrichten werden: "...Wir würden das hinsichtlich der Szenarien, die es in ganz Mittel- und Lateinamerika gibt, nicht ausschließen..." Das ist blanker Hohn: Kuba und der Sowjetunion anzudichten, was man selbst plant.
Es geht weiter. Anscheinend sind die Kubaner sehr unvorsichtig bei der Aufbewahrung von Geheimdokumenten. Wie die Internatinoal Herald Tribune am 29./30.10 aus Pentagon-Quellen berichtete, sei in einer kubanischen Militäreinrichtung in der Stadt Frequente ein Geiselnahme-Plan für die US-Staatsbürger auf Grenada gefunden worden. Diesen Plan hätte die Regierung Grenadas unter der Anleitung kubanischer Berater ausgearbeitet. Es sei gleich vorweg gesagt: Auch dieses Dokument wurde bis heute nicht veröffentlicht. Möglicherweise hat der CIA bei der Fälschung dieses Dokuments immer noch keine befriedigenden Ergebnisse erzielt. Seit dem Reinfall mit dem Salvador-Weißbuch ist die Weltöffentlichkeit mißtrauischer geworden.
Zwei Tage vorher, am 28.10. hatte der US-amerikanische Kriegsminister Weinberger eine klassische Begründung für Präventivkriege verkündet, zu der das Geiselnahme-Dokument eine willkommene Ergänzung abgeben würde: "...Wenn die US-Truppen erst interveniert hätten, um bereits gefangengenommene Amerikaner zu befreien, wäre die Lage viel schwieriger gewesen. Viel Blutvergießen und Todesopfer konnten vermieden werden..."
Mit solchen Aussprüchen hat man für jede nur mögliche Intervention einen Vorwand. War es Zufall, daß der von den US-Truppen "gerettete" CIA-Agent und angebliche Student Jim Fister bei seiner Ankunft in den USA theatralisch den Boden küßte? Als hätte er um Haaresbreite überlebt? Waren die US-Staatsbürger wirklich mit Geiselnahme bedroht? Gary Solin, der Rektor der Medizinischen Hochschule in Points Salines, an der die meisten der auf Grenada lebenden US-Bürger studierten, war anderer Meinung. In seiner Geburtsstadt Chicago zurückgekehrt, sagt er: "Unsere Sicherheit war zu keiner Zeit gefährdet... Diese Regierung hat uns als Entschuldigung mißbraucht, um in Grenada einzufallen. Sie brauchten einen Grund, um einzumarschieren, und wir waren dieser Grund...! (IHT vom 29./30.10). Am Abend vor der Invasion hatte ihm General Hudson Austin persönlich noch einmal die Sicherheit der Studenten garantiert.
Obwohl es sich als unwahr herausstellte, daß General Austin nach der Invasion zu seinem eigenen Schutz Geiseln genommen hatte, gab es auf Grenada massive Geiselnahme. Und wieder einmal waren die Verhältnisse genau umgekehrt. Am 31.10. traf der grenadische US-Botschafter in Begleitung zweier hoher US-Militärs mit dem Botschafter Kubas auf der Insel zusammen. Auf die Frage des kubanischen Würdenträgers nach dem Schicksal der gefangenen, toten und verwundeten Landsleute antwortete der US-Botschafter: Um die Toten und Verwundeten kümmert sich das Rote Kreuz. Der Rest des Personals kann erst evakuiert werden, "wenn die Feindseligkeiten beendet sind..." Um es noch deutlicher zu sagen: Hier ging es absolut nicht darum, daß das Fortdauern der Feindseligkeiten den Rücktransport der Kubaner behindert hätte - denn gekämpft wurde nur noch im Innern der Insel. Hier ging es um nackte Erpressung. Die Kubaner sollten als Geiseln herhalten, damit nach Vorstellung der USA die kubanische Regierung auf die Grenader im Sinne der Einstellung der Kampfhandlungen Druck ausüben sollte.
Auch mit dem Märchen vom Geiselnahme-Plan war das Repertoire der US-amerikanischen Propaganda-Artisten nicht erschöpft. Der Welt wurde am 28.10. ein verschwommenes Foto von angeblichen Raketenbunkern vorgelegt. Nach einer Darstellung des Hamburger Abendblattes handelte es sich um "Bunker des Typs, wie er auch in der Sowjetunion und den Satelliten-Staaten zur Lagerung von Raketen mit einer Reichweite von 60 bis 300 km existiert." Wo doch die USA mehr als 2.000 km entfernt liegen. Auch diese Meldung entpuppte sich bald als eine von denen, die das Weiße Haus nicht bestätigen konnte.
Am 29.10. setzte Washington den Propagandafeldzug gegen Kuba mit einer weiteren Lüge fort. In einer Note an die kubanische Regierung verbreitete die US-Administration die Behauptung, Kuba hätte angeordnet, "gegen im Ausland ansässige US-Bürger Terrorakte durchzuführen". Die Note schloß mit der Drohung, daß "die Vereinigten Staaten bei der Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Beantwortung solcher Akte nicht schwanken werden." Darauf Kubas Antwort am Nachmittag desselben Tages: "Die Vorstellung, Kuba habe Anweisung gegeben, Terrorakte gegen US-Bürger im Ausland durchzuführen, ist eine Ausgeburt der Phantasie oder der Panik, in die die Regierung der Vereinigten Staaten das schlechte Gewissen über ihre Verbrechen stürzt, … oder eine grobe Lüge mehr seitens der Regierung dieses Landes. Die Solidaritäts-Manifestationen, zu denen Kuba aufruft, tragen immer politischen Charakter... Kuba war immer dagegen, daß Unschuldige zum Gegenstand von Racheakten werden..." Alle Wahrheitsverdrehungen und Lügen haben es trotzdem nicht vermocht, die USA vor weltweiter Verurteilung zu retten. Am 2.11. wurde Washington von 108 Staaten bei einer UNO-Abstimmung als Aggressor bezeichnet und zum sofortigen Rückzug aufgefordert. Weitere 27 Staaten, darunter die Bundesrepublik und Großbritannien, enthielt sich der Stimme. Dagegen stimmten mit den USA die 6 Karibikstaaten, die an der Invasion teilgenommen hatten sowie El Salvador und natürlich Israel. Als Reagan von Reportern um eine Stellungnahme zu dieser Resolution gebeten wurde, drückte er seine Mißachtung für die Weltmeinung mit folgenden Worten aus: "Sie hat mir das Frühstück kein bißchen verdorben ..."
P.S.Nach Abschluß dieses Artikels, am 7.11., grub der Sprecher des US-Außenministeriums, John Hughes, ein besonderes makabres Gerücht aus. Angeblich sei südlich vom neuen internationalen Flughafen ein Massengrab entdeckt worden. Wörtlich: "Es wird angenommen, daß es sich um das Grab jener handelt, die hingerichtet wurden. Wir glauben, daß in dem Grab 100 bis 150 Menschen sind... Vielleicht auch die Leiche Bishops..." (Süddeutsche Zeitung v. 9.11.). Am nächsten Tag dementierte ein anderer Sprecher desselben Ministeriums: "Wir haben offensichtlich einen Fehler gemacht." (Welt v. 9.11.). Es fragt sich nur: Mit welcher Absicht?
Peter García
CUBA LIBRE 4-1983