Besuch beim CDR

Für das angekündigte Treffen mit dem CDR habe ich mein Notizbuch mitgenommen und denke mir Fragen aus, während wir mit dem Bus in die Stadt fahren. Dort sehen wir, daß die Straße geschmückt ist. Die Leute stehen vor ihren Häusern und feiern offenbar. Neugierig schauen wir hinaus. Bunte Fähnchen, ein Tisch mit Essen, Menschen in Feststimmung und -kleidung. Ich denke, das ist wohl eine Hochzeitsfeier und finde es schade, daß wir nicht dazugehören.

Die Busse quälen sich weiter durch die enge Gasse. Offenbar handelt es sich um ein größeres Fest. Viele Häuser sind bunt geschmückt, und die ganze Straße ist belebt. Einige winken uns zu - das finde ich nett. Weiter geht die Fahrt, die bunte Kulisse reißt nicht ab. Alle Häuser sind irgendwie verziert: mit Palmwedeln, Plakaten, bunten Sternen, mit Fahnen. Immer wieder stehen gedeckte Tische auf der Straße.

Die Leutefreuensich über unser Kommen. Doch warum? Da lesen wir: "Bienvenido a la Brigada José Martí". Oderist es ein Irrtum? Irgendwie kann ich es nicht verstehen. Ich schaue mich genauer um: Die ganze Straße ist auf den Beinen. Alle haben irgendwie ihr Haus, das Stück Straße geschmückt, haben Essen und Trinken herbeigeschafft wie für einen Empfang. Und in der Tat: Man scheint uns zu erwarten. Unvorstellbar: keine Aussprache mit dem CDR, keine Reden; ein Fest für uns und mit allen, die hier wohnen. Und nicht nur ein Fest, ein ganz warmes, herzliches, stürmisches Willkommen, Haus für Haus, Familie für Familie. Jeder hat etwas beigesteuert. Das Gedränge vor den Busfenstern wird immer dichter. Wir biegen in eine andere Gasse. Dort dasselbe Bild. Ich brenne darauf, rauszukommen, rein in das Treiben, in den Rhythmus, das Singen und Wogen der vielen Leute, das Gewimmel der Kinder. Im Bus wird uns das Winken lästig und unangenehm, man kennt es nur aus dem Fernsehen und von ganz anderen Leuten. Und ich will mich auch bedanken, irgendwie zeigen, daß ich mich freue und wie sehr.

Endlich stehen wir auf der Straße, inmitten unserer Gastgeber und sind erstmal ganz unsicher. Doch das macht nichts, es wären ja keine Kubaner um uns herum. Denn kaum haben wir uns leicht verlegen umgesehen, wird jedem von uns ganz persönlich ein Kärtchen mit "Bienvenido" angeheftet. Die Kinder haben große bunte Schmetterlinge ausgeschnitten und bemalt, ebenfalls mit einem Willkommensgruß und schenken sie uns. Wir bekommen Blumen und andere Kleinigkeiten, jede ist mit viel Liebe und Mühe gemacht. Plötzlich legt die Band aus dem Stadtteil los, alte und junge Leute zusammen. Kurze Pause mit offizieller Begrüßung und kurzem Dankeschön, dann geht’s schon wieder weiter mit Musik. Die Kinder umringen uns, mit ihnen kommt man am schnellsten ins Gespräch. Vor lauter Verlegenheit, selbst keine Gastgeschenke zu haben, verteilen wir verstohlen einige Chicklets-Kaugummi, obwohl wir wissen, daß das von den Erwachsenen nicht gern gesehen wird. Mit Geheul bilden sich Knäuel schwarzkrauser Haarschöpfe und ein Gewirr von Händen.

Dann werden wir zur Tafel gerufen, die für uns vorbereitet ist: Mit viel Mühe und liebevoll sind dort kleine Spezialitäten aufgebaut: Fleischröllchen in Fett gebacken und paniert, Brötchen aus dem für diese Gegend typischen Bröckelteig. Aus einem Haus wird Bier gereicht. Und Süßes gibt's: karamelisierte Nüsse, Kuchen, Obstsalat, Plätzchen. Außerdem einen Minzlikör, offenbar selbst angesetzt, ganz blau und stark und süß. Stolz wird all das von den Frauen präsentiert, die geschäftig den Nachschub überwachen und uns immer wieder zum Zugreifen und Probieren auffordern. Unser Lob und unsere Anerkennung müßten eigentlich viel größer sein. Die Männer und die Kinder bekommen erst mal nichts, zunächst ist alles für die Gäste reserviert. Erst als es uns nach vorn zum Tanzen schiebt, wird die strenge Überwachung der Tafel gelockert.

Dort trauen wir uns zunächst zu gar nichts, selbst auffordern oder warten? Die da drüben sieht nett aus, wie alt mag sie sein? Schon ist sie nicht mehr zu sehen. Zwei Mädchen schieben mich einfach auf die Tanzfläche. Die enge Gasse ist bis zum Platzen gefüllt von Musik, Rufen, Singen, es ist unmäßig heiß von den vielen Menschen. Alle tanzen dicht an dicht, so muß wohl karibischer Karneval sein, denke ich und freue mich, daß es noch nicht so spät ist. Doch schon um halb zwölf sollen wir heim. Mit "baile si— guagua no!" drücken wir unsere Enttäuschung aus. Aber alle sind echt begeistert von diesem Treffen mit dem CDR.

CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 3-1983 Extraausgabe