Kurz vor der Abreise unserer Brigade haben sich dort vertretene Mitglieder von Jugendorganisationen zusammengesetzt. Ruth Schwake für die Naturfreundejugend Niedersachsen, Ronald Oberschelp für die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, Gruppe Aachen, Thomas Hartmann und Michael Winder für die Jungsozialisten in der SPD, Cornelia Schlemper für die Deutschen Jungdemokraten, Christa Clasen für die Guatemala-Solidaritätsbewegung, Karl-Heinz Theußen für Sevice Civil Internationale, Deutscher Zweig, Anita Kreß für die sozialistische Deutsche Arbeiterjugend, Werner Sohn für die Informationsstelle El Salvador und Stefan Kierstein für den Marxistischen Studentenbund Spartakus. Das Gespräch wurde geleitet von Elisabeth Thölke-Sommer.
Frage: Welche Erwartungen hattet ihr an Kuba? Wie treffen sich diese Erwartungen - jetzt am Ende unseres Aufenthaltes - mit der Realität?
Cornelia Schlemper: Wenn man selber da gewesen ist, kann man Mißtrauen leichter zerstreuen. Mir war es wichtig, direkt Leute zu fragen, wie sie die Dinge sehen und auch ganz bestimmte Dinge in Erfahrung zu bringen, die sich aus Büchern schwer erkennen lassen.
Stefan Kierstein: Mich persönlich hat besonders beeindruckt, wie stark die Revolution verankert ist. Wir sind durch Alt-Havanna gegangen. In fast jedem Haushalt hingen Bilder von Che Guevara und Camillo Cienfuegos. Was ich in gewisser Weise für einen Ausdruck wirklich menschlicher Verhältnisse halte, ist die unglaubliche Freundlichkeit, mit der wir hier von den Kubanern immer behandelt worden sind, und die auch zwischen den Kubanern selbst überall deutlich wurde.
Christa Clasen: Mein Erfahrungsstand über Kuba war ziemlich gering. Ich komme aus der Guatemalabewegung, und da gibt es ziemlich viel Probleme, viel Mißtrauen bezüglich der Kuba-Freundschaftsgesellschaft, was darin gipfelt, daß sich teilweise Leute dagegen wehren, daß Mitglieder der Freundschaftsgesellschaft in der Anti-Interventionsbewegung aufgenommen werden. Ich glaube, daß es wichtig ist, als Mitglied einer Solidaritätsbewegung mit einem Land Mittelamerikas auch Stellung nehmen zu können zur Position Kubas im Befreiungskampf der Länder Mittelamerikas. Die persönlichen Dinge, die ich hier erlebt habe, haben mir sehr viel Sicherheit gegeben, haben mir deutlich gemacht, daß Solidarität für Kuba und die Kubaner sehr, sehr wichtig ist und daß diese Solidarität im Volke sehr verankert ist.
Michael Winder: Ich wußte etwas über den Verlauf der Revolution. Darüber habe ich viel gelesen, u.a. von Che Guevara. Ich habe mir ein Bild über Kuba gemacht, das sehr idealistisch war. Für mich war Kuba das Land, das nach meinen Idealvorstellungen am nächsten an dem dran ist, was ich mir unter Sozialismus vorstelle. Was ich von meinen Vorstellungen von Kuba, die sehr positiv sind, jetzt revidieren muß, was gegen mein Kuba-Bild geht, ist die Geschichte mit den Intershops. Ich habe da Bauchschmerzen, daß das in die Richtung geht, daß Leute, die Dollars haben bzw. sich die besorgen können, dann etwas Besseres darstellen.
In bezug auf Angola hatte ich vorher mehr die Vorstellung, daß Kuba da Soldaten hinschickt, weil die Sowjetunion das fordert - Kuba wird ja von der Sowjetunion wirtschaftlich stark unterstützt. Die kubanischen Soldaten in Angola wären dann so eine Art Reparationsleistung. Das habe ich revidiert. Ich habe mit vielen Leuten geredet, die dort waren. Mir stellt sich das jetzt so dar, daß die das aus eigenem Antrieb, aus Internationalismus und Solidarität tun und nicht als Stellvertreter. Im großen und ganzen wurde das idealistische Bild, das ich mir gemacht habe, hier in Kuba voll bestätigt, und ich glaube schon, daß hier – mit Che gesprochen - eine Art neuer Menschentyp kreiert werden kann.
Ronald Oberschelp: Für mich war die Erfahrung wichtig, die kubanische Realität zu sehen und zu konfrontieren mit dem bei uns teilweise exotischen Bild von dieser Revolution - auch im vermeintlichen Gegensatz zu anderen sozialistischen Ländern. Sicher wirkt sich der Aufbau des Sozialismus durch die anderen Bedingungen hier anders aus. Aber die wesentlichen Prinzipien des Aufbaus sind die gleichen. Wenn für die Entwicklungsmöglichkeiten Angolas die kubanische Hilfe von entscheidender Bedeutung ist, gilt meines Erachtens ähnliches für die Hilfe anderer sozialistischer Länder. zum Beispiel für Vietnam. Persönlich beeindruckt haben mich immer wieder die Kinder. Es zeigt für mich viel über eine Gesellschaft, wie sie mit ihren Kindern umgeht. In 10 Jahren, diese Hoffnung geben mir diese Kinder, kann schon ein großer Schritt getan sein, hier einen neuen Menschen zu schaffen.
Frage: Vom Sachwalter Moskaus in Afrika zum neuen Menschen, der solidarisch dem angolanischen Volk hilft. Was hat zur positiven Bewertung des kubanischen Engagements in Angola geführt? Wo seht ihr die wesentlichen Motive für die internationalistische Hilfe der Kubaner”
Cornelia Schlemper: Für mich war das vorher eine ziemlich problematische Frage, die ich auch heute für mich noch nicht vollständig geklärt habe. Ich habe aber hier gesehen, u. a. bei meinem Besuch auf der Insel der Jugend, daß es eine sehr freundschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Ländern gibt, gerade wenn man die Kooperation im Bildungswesen betrachtet. Es ist für die Kubaner selbstverständlich, mit Befreiungsbewegungen zusammenzuarbeiten, und Länder zu unterstützen, in denen es eine Revolution gibt... Das wird von Kubanern nicht als "Export der Revolution" verstanden.
Thomas Hartmann: Die für mich wichtigste Information, die ich in allen Gesprächen bekommen habe, war, daß hier alle internationale Arbeit absolut freiwillig abläuft. Die Kubaner sehen es als eine Ehre an, im Ausland zu arbeiten. Sie sind stolz darauf, als Entwicklungsland in der Lage zu sein, anderen Ländern zu helfen.
Karl-Heinz Theußen: Was bei uns durch die Medien geht - Michael hat es angesprochen - daß die Kubaner von den Sowjets als Stellvertreter eingesetzt werden, ist hier überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Kubaner haben am eigenen Leibe erfahren, daß ein militärisches Potential notwendig ist, um die eigenen Errungenschaften zu verteidigen. Die Kubaner sind ja nicht in Angola, weil sie ihre Waffen in Afrika ausprobieren wollen, sondern weil Angola ständigen militärischen Aggressionen der südafrikanischen Rassisten ausgesetzt ist und die angolanische Regierung die Kubaner um Hilfe gebeten hat.
Stefan Kierstein: Eine wichtige Erfahrung, die ich hier in Kuba habe machen können und die mein politisches Denken stark beeinflußt hat, ist, daß die Kubaner nicht primär im Landesmaßstab, also in bezug auf Kuba denken. Die Kubaner denken im Maßstab ihres Kontinents, also Amerikas und auch im Maßstab ihrer Ursprünge, dazu gehört auch Afrika. Die Probleme, die in Kuba bestehen, werden von den Kubanern nicht nur als kubanische, sondern als weltweite Probleme gesehen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, wie diese Hilfe inhaltlich aussieht. In unserer Presse wird in erster Linie auf Waffengewalt und Militärhilfe eingegangen. Beim Besuch der Insel der Jugend konnten wir feststellen, daß dort Unterrichtsmöglichkeiten u.a. für Kinder und Jugendliche aus Mozambique bestehen. Bei uns in der Bundesrepublik wären wir Linken doch froh, wenn die Entwicklungshilfe so aussähe, daß unser Land anderen Ländern Möglichkeiten für Schulbildung zur Verfügung stellt. Statt dessen tun unsere Politiker nichts, wenn die USA in Mittelamerika Waffen und Folterinstrumente zur Verfügung stellen.
Anita Kreß: Kuba hat nicht vergessen, wie seine eigene Geschichte aussah. Auch Kuba hatte internationale Solidarität nötig, um sich entwickeln zu können. Meiner Meinung nach haben auch wir viel Verantwortung. Die Solidarität wird oft komplizierter, wenn eine Befreiungsbewegung an der Macht ist. Das, was heute Nicaragua vorgeworfen wird, daß sich über Kuba dort der sowjetische Einfluß ausbreiten würde, behaupten die Herrschenden in jeder erfolgreichen Revolution. Es ist unsere Aufgabe, da gegenzusteuern.
Ruth Schwake: Anita hat es angesprochen: Es wird komplizierter, Solidarität zu entwickeln, wenn eine Befreiungsbewegung an der Macht ist. Das ist an der Geschichte der Kuba-Solidariät ebenso zu erkennen wie in den Solidaritätsbewegungen mit Vietnam, und es deutet sich in der Nikaragua-Solidarität an. Solange eine Befreiungsbewegung um die Macht kämpft, wird sie von der Linken unseres Landes durchgängig bis zur "Verklärung" unterstützt. Ist sie an der Macht und steht sie damit auch vor der Aufgabe, diese Macht zu verteidigen, scheiden sich häufig die Geister. Gerade wenn eine Revolution an der Macht ist, gilt es, die konkreten Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen. Dazu gehört auch - wie im Falle Angola - das Recht, ein anderes Land um Hilfe zu bitten und - wie im Falle Kuba - , diese Hilfe zu gewähren.
Frage: Hier in Kuba werde ein "neuer Menschentyp kreiert", hat Michael gesagt. Wie ist er, dieser "neue Mensch"?
Anita Kreß: Ich hatte von Leuten, die in Kuba waren, immer wieder gehört, daß die Kubaner anders miteinander umgehen, miteinander reden. Es ist für mich sehr beeindruckend, daß hier jeder mithelfen will, die Idee von einem anderen Leben zu verwirklichen. Das findet nicht nur im Kopf, sondern auch mit den Gefühlen statt. Bei uns hört man ja, daß hier alles nur um Fidel Castro geht, daß dessen Familienclan alles entscheidet. Den Eindruck hatte ich überhaupt nicht. Es steht fast jeder hinter der Revolution. Fidel lieben sie, weil er für sie die Verkörperung der Revolution ist.
Werner Sohn: Der neue Mensch war eigentlich auch für mich am wichtigsten. Man konnte erfassen, wie sich die gesellschaftlichen Veränderungen auf den Menschen auswirken. Ich bin nicht ganz der Meinung von Anita, daß uns hier der neue Mensch begegnet sei. Ich wüßte auch nicht, wie das in so kurzer Zeit möglich sein sollte. Nach gut 20 Jahren, in denen die Mehrheit der Bevölkerung zunächst mal lesen und schreiben gelernt hat, gelernt hat, über das eigene Dorf hinauszudenken.
Ich bin davon beeindruckt, wie in den Komitees zur Verteidigung der Revolution. den CDRs. die Menschen miteinander diskutieren, wie sie lernen, selbst über ihre Belange zu entscheiden. Manchmal ist dabei allerdings mein Eindruck - wobei ich nicht weiß. ob es schon anders möglich wäre - , daß Entscheidungen vorgegeben werden. Fidel Castro ist zweifelsohne ein hervorragender Revolutionär. Aber seine Rolle wirkt sich teilweise so aus, daß die Kubaner sagen: "Genosse Fidel hat erklärt". Das kann die Menschen einschränken, selbst nachzudenken. Mir scheint der Weg manchmal zu gradlinig. Die Geschichte wird nicht in ihrer Widersprüchlichkeit dargestellt. In so kurzer Zeit ist kein neuer Mensch zu schaffen. Ich finde es schade, daß über Schwierigkeiten manchmal leicht hinweggegangen wird. Dabei wäre das gar nicht nötig, bei den großartigen Leistungen, die die Revolution vollbracht hat, und die sicher auch ein Vorbild ist für andere lateinamerikanische Länder. Die Veränderung von Menschen ist für mich abhängig von den materiellen Voraussetzungen und von den gesellschaftlichen Bedingungen. Wir haben bei der Fabrikbesichtigung gesehen, daß hier teilweise unter sehr harten Bedingungen gearbeitet werden muß. Solche Arbeit trägt meines Erachtens nicht gerade zur Entfaltung der Persönlichkeit bei. Der Mensch wird durch diese Arbeit auch eingeschränkt, wird nicht in seinen Begabungen gefördert.
Ruth Schwake: Die Arbeitsbedingungen sind teilweise sehr hart. Diese Bedingungen müssen jedoch eingeordnet werden in den Entwicklungsstand des Landes. Werner, du sagst selbst, daß 20 Jahre eine sehr kurze Zeit sind. Für die Frage der Verwirklichungsmöglichkeiten des Menschen ist zunächst entscheidend, daß der Mensch überhaupt Arbeit hat. Damit will ich nicht abstreiten, daß die Form der Arbeit den Grad der Verwirklichung mit beeinflußt. Grundlage ist jedoch die Arbeit an und für sich.
Werner Sohn: Arbeit zu haben ist besser als keine Arbeit zu haben. Aber wir diskutieren hier um den neuen Menschen. Es geht mir nicht darum, Erfolge unterzubuttern. Es ist Konsens bei uns, daß es den Kubanern bessergeht als anderen Lateinamerikanern. Es gibt jedoch Probleme, unter anderem durch die Form der Arbeit. Ein Beispiel: Auf dem Bau werden die Dächer heute noch mit Eternit gemacht. Das ist eine billige Möglichkeit, Dächer zu bekommen, es birgt jedoch eine Gefahr in sich: Eternit enthält Asbest. Die Dachplatten werden in Kuba produziert. Es ist bekannt, daß Asbest verarbeitet wird, daß das gesundheitsschädlich, krebserzeugend ist. Mir wurde dazu von einem Ingenieur gesagt, daß es im Wohnungsbau noch viele Schwierigkeiten gäbe, daß sie gerne anders wollten, aber noch nicht könnten. Auf dem Bau haben wir die Probleme selbst gesehen. Eine Betonmischmaschine schafft an einem Tag mehr als 50 Brigadisten. Es gibt jedoch gegenwärtig noch den Zwang, das mit der Hand zu machen. Auch da kommt noch einmal der Internationalismus hinein: Wir sehen, wie schlecht die Straßen hier oft sind, und dann ist in der Zeitung zu lesen, daß eine Brigade mit den besten Baumaschinen nach Nikaragua gegangen ist, um eine Straße zu bauen. Eine Ost-West-Verbindung, die vor der Revolution nie errichtet wurde. Das Land war quasi in zwei Teile geteilt, und nur mit dem Flugzeug konnte man von der Pazifik- zur Atlantikküste gelangen. Kuba, obwohl es selbst noch viele Schwierigkeiten ‚hat, hilft, diese Straße zu bauen.
Stefan Kierstein: Meiner Meinung nach bezieht Werner nur einen Anteil der Arbeit ein. Werners Position vermittelt überspitzt den Eindruck, als seien wir in der Bundesrepublik auf dem besten Wege zum neuen Menschen, weil unsere Arbeitsbedingungen zum großen Teil technisierter sind. Bei uns besteht sicherlich eher die Möglichkeit, Dächer ohne Eternit zu bauen. Dennoch kann man in der Bundesrepublik schwerlich vom neuen Menschen sprechen. Entscheidender als die Form der Arbeit ist, wer über die Arbeit bestimmt, wie jeder einzelne in Entscheidungsprozesse einbezogen ist, inwieweit Kollektivität hergestellt ist. Bei uns in der Bundesrepublik ist die Arbeit in hohem Maße technisch entwickelt, aber das Moment der Konkurrenz, die Bedrohung, den Arbeitsplatz zu verlieren, beeinträchtigt das Verhältnis unter den Arbeitern. Das gibt es in Kuba nicht. Die Arbeit ist auf niedrigerem technischen Niveau, aber es gibt keine Konkurrenz, keine Kündigungsdrohungen. Ohne Konkurrenz zu arbeiten, schafft die Bedingungen, auch ohne Konkurrenz zu leben. Damit gibt es Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Menschen. Wobei ich Werner zustimme, daß es ein langer Weg ist, ausgehend von diesen Voraussetzungen in allen Bereichen des Lebens neue, gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Menschen zu entwickeln.
Cornelia Schlemper: Auch ich bezweifele nicht, daß schon sehr viel geschafft wurde. Ich habe jedoch oft den Eindruck gewonnen, daß die Kubaner wenig problemorientiert sind, daß sie unkritisch Schwierigkeiten vom Tisch wischen. Das gilt besonders in bezug auf Fragen, die in unserer Diskussion eine große Rolle spielen, z.B. die Emanzipation der Frau. Häufig bekommt man auf die Frage nach dem Machismo die Antwort, daß heute alles in Ordnung sei, daß man als Frau ohne Angst über die Straße gehen könne. Mir reicht das aber nicht.
Thomas Hartmann: Meine Erfahrung ist, daß es keine Tabuthemen gibt, daß über alles diskutiert werden kann und wird. Allerdings gibt es eine andere Rangordnung von Problemen als bei uns.
Frage: Es ist Konsens, daß mit der Revolution grundlegende Voraussetzungen für ein anderes Leben geschaffen wurden. Dennoch: Sind diszipliniert wartende Schüler in Schuluniformen und Frauen, die zwar ohne Angst nachts über die Straße gehen können, aber weitgehend alleine die Hausarbeit machen, zusammenzubringen mit der Vorstellung sich selbst verwirklichender. freier Menschen?
Werner Sohn: Für mich ist das widersprüchlich. Die Frage nach dem Machismo wurde häufig beantwortet mit "nein, die Probleme gibt es nicht mehr". Gleichzeitig gibt es den hervorragenden Film "Theresa", indem die Situation von Frauen bei der Arbeit und zu Hause offen angepackt werden. Das macht mir Mut. Denn wenn die Probleme auf den Tisch kommen, können sie auch diskutiert und schließlich gelöst werden. Es ist für mich eine großartige Leistung, daß es in Kuba keine Analphabeten mehr gibt, daß alle Kubaner etwas lernen, viele studieren. Aber wie in der Schule Unterricht gemacht wird, das finde ich noch nicht gelöst. In der Bundesrepublik wird das auch nicht staatlich verordnet, sondern in linken Intellektuellenkreisen diskutiert. Hier in Kuba gäbe es die Möglichkeit, das zu realisieren. Ich sehe, daß andere Aufgaben Priorität haben; ich sehe auch, daß die Menschen beginnen, sich selbst zu organisieren und über ihre Probleme diskutieren. Es gibt große Chancen, daß dieser Prozeß zum selbstbestimmten Menschen Schritt für Schritt weitergeht. Es gibt jedoch keinen traumhaften Zustand, sondern es muß noch viel daran gearbeitet werden.
Ruth Schwake: Setzt man die Ziele der Frauenbewegung in der Bundesrepublik in Beziehung zur kubanischen Realität der Lage der Frauen, so klafft in der Tat eine Lücke. Ich halte diesen Vergleich jedoch für falsch. Hier in Kuba geht es darum, die Gleichberechtigung der Frauen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durchzusetzen. Dazu wurden mit der wirtschaftlichen, politischen und juristischen Gleichstellung die Voraussetzungen geschaffen. Allein mit der Durchsetzung von gleichem Lohn für gleiche Arbeit sind die Kubanerinnen schon wesentlich weiter als die Frauen in der Bundesrepublik. Es ist etwas anderes, in linken Intellektuellenkreisen über pädagogische Konzepte zu diskutieren. Als Chancengleichheit und Bildung für alle zu verwirklichen. Ich will damit weder Macho-Traditionen verteidigen noch gegen die breite Diskussion neuer pädagogischer Konzeptionen sprechen. Ich halte lediglich solche Vergleiche für falsch.
Karl-Heinz Theußen: Für mich ist das letztlich Entscheidende, daß eine Entwicklung sichtbar ist, die den Menschen zur Hauptsache macht. Bei uns sehen viele Menschen nur noch die Möglichkeit, sich in Nischen zurückzuziehen, viele haben resigniert. sind orientierungslos. Hier ist nahezu durchgängig festzustellen, daß sich die Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung beteiligen, daß sie ihre Vorstellungen, aber auch ihre Wünsche und Hoffnungen in die Diskussion um die Entwicklungsperspektive einbringen.
Christa Clasen: Die Strukturen sind hier offen. Trotz noch bestehender Probleme ducken Arbeiter sich nicht, wenn der Direktor vorbeikommt. Die Menschen werden nicht politisch dumm gehalten, Kinder auf der Straße können erklären, was die Bewegung der Nichtpaktgebundenen ist. Natürlich kann man sich fragen, warum alle Schüler die gleichen Socken tragen. Für mich wurde das unwichtig, weil ich gesehen habe, daß es für die Schüler völlig unwichtig ist. Im Gegensatz zu uns schaffen die es, ihre Individualität etwas zurückzustellen, und sich trotz allem im Kollektiv zu verwirklichen.
CUBA LIBRE 3-1983 Extraausgabe