Erlebnisse und Begegnungen mit Kubanern

Im Freizeitpark Soroa

Der große Raum ist angenehm kühl und luftig, an den Seiten ist er offen, und das Palmstrohdach liegt auf hölzernen Pfeilern. Für uns sind lange Tische gedeckt worden, auf jedem stehen mehrere Platten voller frischem Obst und große Wasserkaraffen, die den ersten Durst löschen und die Zeit, bis das Mittagessen kommt, überbrücken sollen. Und was dann für ein Mahl serviert wird! Zuerst eine Suppe, dann Teller, auf die riesige Portionen von Fleisch gehäuft sind, wozu wir uns von den Reis-, Salat- und Gemüseplatten nach Belieben nehmen können. Dazu gibt es frischen Limonensaft und kühles Bier, als Nachtisch Kaffee, Kuchen und Obstsalat.

Ohne Musik geht nichts in Kuba, und so haben wir auch beim Mittagessen Musikbegleitung. Die Band ist vom Swimmingpool in den Speisesaal umgezogen und spielt für uns sämtliche kubanischen "Hits": die "Guantanamera" natürlich, den "Baile del buey cansado", "Dile a Katalina" und - nicht zu vergessen "Cuba, que linda es Cuba", so geht das ununterbrochen. Die Kubaner haben schon beim Essen angefangen, den Rhythmus mit Messern und Löffeln an die Bierflaschen zu schlagen, und jetzt,als sie fertig sind, sind sie mit allen Geräuschen, die man aus einem leergegessenen Tisch herausholen kann, an der Musik beteiligt. Bald hält es sie auch nicht mehr auf ihren Sitzen, und rhythmisch bewegen sie sich dorthin, wo Platz zum Tanzen ist. Mich schleifen sie mit, allerdings sieht das bei mir wohl weniger rhythmisch und elegant aus. Spaß macht es trotzdem, und immer mehr Brigadisten lassen ihren Nachtisch stehen und machen mit. Der Eßsaal wird bald zu klein, und das Fest verlegt sich nach draußen auf den sonnigen Platz vor dem Haus. So geht dann also unser "son" (1) tägliches Mittagessen - in Soroa zu Ende.

In der Viehzuchtkooperative "Valle del Perú"

Es ist ein Sonntagmorgen, und wir sind in die Landkooperative "Valle del Perú" gefahren. Von einer Gruppe von Schulkindern sind wir feierlich empfangen worden, ein kleines Mädchen hat die Begrüßungsrede gehalten, und jetzt wollen wir die Kooperative besichtigen. Die Menschen leben in vierstöckigen, blau gestrichenen Wohnblocks, vor denen blühende Gärten liegen. In einen solchen Wohnblock strömen wir nun alle hinein und drängen in eine kleine Wohnung,in der eine ältere Frau uns in bewundernswerter Gelassenheit ihre Küche und alle Zimmer begucken läßt. Dann zieht die Invasion wieder ab, um sich die Schule, das Krankenhaus, die Landwirtschaft, und was es sonst noch gibt, anzusehen.

Christa und ich haben angefangen, uns mit der Frau zu unterhalten. Wir erzählen ihr, weshalb wir in Kuba sind, wo wir herkommen, und sie ist sehr interessiert. Da kommt ihr Mann von der Arbeit, hängt seinen verbeulten Strohhut über die Stuhllehne, und seine Frau stellt ihn uns vor. Ein kleines Mädchen und zwei Söhne kommen auch dazu. Wir erzählen von der Bundesrepublik, sie befragen uns über Arbeitslosigkeit, Krankenversorgung, Schulwesen und schütteln immer wieder mitleidig den Kopf, denn über die meisten Dinge, nach denen sie fragen, können wir beim besten Willen nicht allzuviel Positives erzählen. Er sei schon in Europa gewesen, erzählt der Bauer, im spanischen Bürgerkrieg. Und später, bei Fidel, habe er auch mitgemacht, klar! Wir erfahren, wie die Familie früher gelebt hat, in einer kleinen Hütte, ohne Licht und Wasser, oben in den Bergen, wie die Kinder den weiten und gefährlichen Weg in die Schule hatten reiten müssen, weshalb sie schließlich ganz daheim geblieben und auf dem Feld halfen, und wie hart die Arbeit dort oben gewesen ist. Heute ist die Arbeit noch immer schwer, aber man tut sie mit- mit- und füreinander, kann sie sich einteilen und erhält einen angemessenen Lohn dafür. Die Schule liegt um die Ecke, und alle Kinder sind in der Ausbildung, oder haben schon einen Beruf, keiner muß Angst haben, wenn er einmal krank wird.

Wir sitzen in dem kleinen Wohnzimmer, das offen auf einen Balkon mündet, sehen über die Felder, die draußen in der Mittagshitze liegen, und reden und reden, bis wir unten plötzlich unsere Leute wieder auf die Busse zusteuern sehen. Wir verabschieden uns herzlich, und die Bäuerin fragt uns, ob wir nicht ein Erinnerungsfoto machen wollen. Ja, natürlich - die Kinder lachen sich augenzwinkernd an - sie hätten jetzt schließlich auch eine Erinnerung an uns, meinen sie, und holen stolz einen Riesenradiorekorder unterm Tisch hervor, mit dem sie unsere ganze Unterhaltung aufgenommen haben!

La Habana Vieja - die Altstadt von Havanna

Wir gehen in der Abenddämmerung in den Gäßchen von Alt-Havanna spazieren, langsam gehen überall die Lichter an, und plötzlich, wie immer, ist es dann Nacht. Die Straßen sind voller Menschen, vor allem fällt auf, wie viele Kinder draußen spielen. Drei von uns Brigadisten sind zusammen mit Ubaldo und Effrain, kubanischen Freunden aus dem Campamento, unterwegs. In einer Bar spendiert Ubaldo jedem von uns ein Eis, dann kommen wir zum Platz der Kathedrale. Durch kleine Laternen heimelig beleuchtet liegt er vor uns - genauso wie er wohl schon zu Kolonialzeiten hier gelegen hat. Der Platz ist bis zu den Pflastersteinen liebevoll restauriert, hier sieht man, daß Havanna Anstrengungen macht seine Altstadt zu erhalten und wiederherzustellen, denn zum Teil sind die Häuser erschreckend verkommen. Effrain erklärt uns das sehr einleuchtend: Um dem Strom von Zuwanderern entgegenzuwirken, die vom unterentwickelten Land in die Hauptstadt kamen, wodurch - wie das überall in Lateinamerika an der Tagesordnung ist - überbevölkerung und damit Slums und noch größere Armut entstehen. beschloß die Regierung nach dem Triumph der Revolution zunächst einmal die unerträglichen Bedingungen auf dem Land zu verbessern. Alle verfügbaren Mittel wurden in die Entwicklung einer Infrastruktur auf dem Lande gesteckt; überall wurden Schulen, Krankenhäuser und bessere Wohnungen gebaut, so daß schließlich die Hauptursachen beseitigt waren, die früher dazu führten, in der trügerischen Hoffnung auf ein besseres Leben in das bereits bis an die Grenzen des Möglichen belastete Havanna zuziehen. Auf diese Weise sind Prioritäten gesetzt worden, und erst jetzt, nachdem die grundlegendsten Probleme auf dem Land gelöst sind, kann sich Kuba eine Restaurierung von Alt-Havanna und eine verstärkte Entwicklung der Städte leisten. Von der "Catedral" sind es nur wenige Schritte bis zur "Bodegita del Medio", einer der beiden ehemaligen Stammkneipen von Ernest Hemmingway. Wir quetschen uns in die kleine vollbesetzte Bar, in der sich schon eine ganze Menge anderer Brigadisten versammelt hat. In der keineswegs unangenehmen Enge schlürfen wir mehrere Mojitos (1) und kommen aus dem Schauen nicht mehr heraus. Wir ergänzen das wirre, rauchverfärbte Unterschriftenmuster an den Wänden durch unsere Namen, und ein kleines Kind, das neben mir auf dem Arm seiner Mutter sitzt, bohrt mir ein Mojito-Rührstäbchen in die Backe. Es quietscht vor Vergnügen, wenn ich darauf schiele oder mit dem rechten Ohr wackle. Anschließend gehen wir noch zu Ubaldo nach Hause, der in der Altstadt wohnt. Seine Familie sitzt um einen großen Tisch herum und spielt angeregt Domino. Ubaldos Mutter kocht uns Kaffee zur Begrüßung. Währenddessen zeigt mir ihr Sohn das große Bücherregal, das im Schlafzimmer steht, und er schenkt mir ein Buch nach dem anderen aus seinem Schatz. Ich wehre ab, das kann ich doch nicht annehmen, aber Ubaldo und seine ganze Familie bestehen darauf, daß ich die Geschenke mitnehme. Es ist sehr gemütlich, aber um 23.00 Uhr fahren unsere Busse zurück ins Campamento, und Ubaldos Onkel bringt uns im Auto zum ICAP. (3)

In Miramar

Mit Julia, Diana und Alfonso fahre ich an einem unserer freien Nachmittage in Havanna mit dem Bus nach Miramar, einem der schönsten Viertel von Havanna. Wie schon der Name sagt, liegt es am Meer, und an der Kaimauer gibt es sogar eine Art Felsenstrand, wo Leute im Badeanzug auf den Steinen sitzen und sich sonnen. Eine ältere Kubanerin, die neben uns auf der Mauer sitzt, bedeutet mir, daß ich mich umdrehen soll, und dann reibt sie mir den Rücken mit Sonnenöl ein. "Beinahe hättest du sonst einen Sonnenbrand bekommen", meint sie, und schon ist sie wieder in ihre "Granma" (4) vertieft.

Wir gehen weiter bis zu einer der großen Villen im Kolonialstil. Darin befindet sich ein Arbeiterklub, so eine Art Freizeitzentrum. Wir gehen hinein, durch eine hohe Marmorhalle, und kommen auf eine Terrasse, die halb überdacht ist und direkten Blick aufs Meer bietet. Im Schatten stehen kleine Tische und Gartenstühle, wir holen uns an der Bar etwas zu trinken, setzen uns hin und verschnaufen nach der Havannawanderung, die wir hinter uns haben, erst einmal richtig. Um uns herum sitzen Menschen: Großväter genau wie Kleinkinder und Jugendliche, die Kaffee trinken, Schach oder Domino spielen, oder einfach allein vor einem Bier sitzen und gemütlich Zeitung lesen.

Am Nebentisch sind ein paar Polizisten beim Biertrinken und Würfeln. Einige junge Leute stehen um sie herum, feuern lautstark an und geben dem Sieger noch ein Bier aus. Alfonso fragt mich, warum ich so erstaunt gucke, und ich sage, daß mir nur gerade unsere „Startbahn West“, Hausbesetzungen u. ä. durch den Kopf geht. Zur Veranschaulichung male ich ihm das Bild eines bundesdeutschen Polizisten im Einsatz auf einen Zettel, und er schreibt daneben kopfschüttelnd die Eigenschaften, die seiner Meinung nach einen kubanischen Polizisten kennzeichnen: Respekt, Freundschaft, Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Verständnis, Fröhlichkeit.

Langsam füllt sich die Terrasse, es ist Feierabend. Viele kommen nach der Arbeit auf einen Schoppen oder ein Schwätzchen hierher. Man kann auch schwimmen oder ins Kino gehen, für Betriebsangehörige ist alles gratis. Einen kleinen Laden gibt es auch; dort kaufen Julia, Diana und ich noch ein paar Postkarten, dann machen wir uns auf den Rückweg zum ICAP, um dort zu Abend zu essen.

Playa Giron - die Schweinebucht

Auf der Fahrt nach Sancti Spiritus ist unsere erste Station Playa Giron – die Schweinebucht. Hier herrscht eine ungeheure Hitze, und wir sind froh. in das kühle Museum geführt zu werden. Das „Museo de Giron“ informiert umfassend über alles. was mit der Landung der US-Amerikaner und Exilkubaner im Jahre 1961 hier in den unwegsamen Sümpfen der Schweinebucht zusammenhängt. Auch die Waffen, mit denen gekämpft wurde, sind hier ausgestellt. Einmal springe ich erschrocken zur Seite, als ich mich umdrehe und in die Mündung eines Schnellfeuergewehres auf mich gerichtet sehe. Die meiste Zeit verbringe ich vor der Vitrine, in der die kleinen persönlichen Dinge liegen. die Kubaner, die ihr Land „bis zum letzten Blutstropfen“ verteidigten, bei sich hatten, als sie fielen. Da liegt ein angeschmorter Studentenausweis; ein Kamm, der von Erde verschmiert ist: Mütze und Abzeichen von "Brigadistas", Lehrern in der Alphabetisierungskampagne, zerknitterte Fotos neben Nähutensilien, abgegriffenen Küchenmesserchen: ordentlich zusammengefalteten, bestickten Taschentüchern und solchen, die voller vertrocknetem Blut sind - all diese Kleinigkeiten machen aus den Namen der Gefallenen, die an der Wand stehen, Menschen, von denen jeder eine eigene Geschichte und einen eigenen Tod hatte. Aber gemeinsam ist ihnen, daß sie "diese Revolution der Armen, durch die Armen und für die Armen" verteidigten, dem Yankee-Imperialismus seine erste schwere Niederlage zufügten und so dazu beitrugen, den Mythos von der Unbesiegbarkeit der USA zu zerstören.



In der "Escuela Vocación Ernesto Che Guevara" begrüßen uns 3000 jubelnde Schulkinder, die an den Seiten des Eingangsweges und von den Balkonen der Schule begeistert mit roten Tüchern winken. In einer Begrüßungsrede wird die Schule ausführlich erklärt, wir durchlaufen eine große Besichtigungsrunde, und dann kommt eine überraschung: eine Kulturveranstaltung der Schüler in der supermodernen Aula. Es ist faszinierend, was schon diese Jungen und Mädchen uns an musikalischem Können bieten, und besonders beeindruckt sind wir von einem halbpantomimischen Theaterstück, indem das Leben Che Guevaras vor dem Hintergrund des Kampfes des kubanischen Volkes dargestellt wird. Die Kalashnikow (5) die in dem Stück eine wichtige Rolle spielt, geht am Schluß krachend los. Zum Abschied schenken die Schüler jedem von uns eine rote Rose.

Als wir nach Sancti Spiritus zurückfahren, ist wieder einmal etwas mit den Guaguas nicht in Ordnung. Wir, mit dem vordersten Bus, müssen fast eine Stunde auf die übrigen warten, die unterwegs irgendwo hängengeblieben sind. Wir halten auf der Landstraße mitten zwischen ausgedehnten Zuckerrohrfeldern. Jeder vertritt sich ein bißchen die Beine, oder schlägt sich wegen sonstiger Bedürfnisse ins Zuckerrohr. Beim Spazierengehen treffe ich einen alten Bauern. Er hatte von weitem gedacht, wir hätten einen Unfall. und nun will er sehen, ob er irgendwie helfen kann. Ich beruhige ihn, daß nichts passiert sei, und wir unterhalten uns, bis die anderen Busse wieder auftauchen. Hinter dem Zuckerrohr sieht man die Escambray-Berge liegen, und der alte Mann erzählt, wie er in den sechziger Jahren mit anderen Bauern aus der Umgebung gegen die Banditen und Konterrevolutionäre gekämpft hat, die dort ihr Unwesen trieben, mehrere Alphabetlehrer und ihre Schüler ermordeten und Sabotageaktionen verübten. Er hat soviel zu erzählen, ich könnte ihm noch stundenlang zuhören, aber die "Panne" ist leider vorbei, und wir fahren heim zum Abendessen.

In Sancti Spiritus

Wir haben den Abend frei in Sancti Spiritus. Ich ziehe zusammen mit Julia, Klaus, Cecilia, Christa und Pepe los, und als erstes haben wir Lust, ein richtig schönes Eis zu essen. Ins hiesige "Copelia" führt uns ein kleiner, vielleicht zehn Jahre alter Junge, Juan. Er lacht mit uns über Witze, die Julia auf Spanisch macht, stellt allerlei Fragen, zeigt uns interessante Sachen und gehört bald ganz selbstverständlich dazu. Nach dem Eisessen (Copelia-Eis wird durch nichts in der Welt übertroffen!!) überlegen wir gemeinsam, was wir jetzt unternehmen könnten, und Juanito stellt sich als absoluter Experte für das Nachtleben von Sancti Spiritus heraus. Er weiß, welche Bar wann schließt, wo es die beste Pizza gibt,wo man tanzen gehen kann - irgendwann erinnere ich mich, daß unser neuer Freund gerade zehn Jahre alt ist und bei uns in Deutschland längst im Bett liegen müßte. Ich frage ihn, wann er denn zu Hause sein muß, und er meint: "Och, so um zwölf." Ob seine Eltern denn keine Angst um ihn haben, wenn er so spät noch draußen herumläuft, fragen wir, und er sieht uns nur höchst erstaunt an: Angst - aber wovor denn? Außerdem sind Ferien! Er lacht über unsere Verwunderung und rennt vor, um nachzusehen, ob das Tanzlokal, in das er uns führen will, auch wirklich auf hat.

1) son — traditioneller, sehr beliebter kubanischer Rhythmus
2) mojito = ein gar köstliches Mixgetränk aus Rum, Limonensaft und Selterswasser mit darin schwimmenden Minzblättern (span. Herba buena) und natürlich Eis
3) Instituto Cubano por la Amistad con los Pueblos (Kubanisches Institut für Völkerfreundschaft)
4) Große Tageszeitung, Organ der PCC (Partido Comunista de Cuba), benannt nach dem keinen Schiff, mit dem Fidel Castro, Che Guevara, Camilo Cienfuegos und weitere 79 Kämpfer am 2.12.1956 auf Kuba landeten.
5) Kalashnikow = Maschinenpistole sowjetischer Bauart


CUBA LIBRE


CUBA LIBRE 3-1983 Extraausgabe